© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

Greenpeace und die Angst vor dem Absturz
Kampf um einen begrenzten Spendermarkt: Eine wachsende Zahl von Öko-NGOs ringt hinter selbstlosem Image hart um Einfluß und Geld / Wie Industrie-Lobbyisten mischen sie bei Gesetzgebungsverfahren und Ämterbesetzungen mit
Marc Schmidt

Der spektakuläre Absturz eines beauftragten Straftäters beim ersten EM-Spiel der deutschen Mannschaft und der Einbruch und Schlüsseldiebstahl bei VW rückten in den vergangenen Tagen mit Greenpeace eine Organisation in den Mittelpunkt, um die es länger still gewesen war. Dies ist ein guter Zeitpunkt, einen genaueren Blick auf die grüne Industrie der Nichtregierungsorganisationen, der Non-Government-Organizations (NGOs) zu werfen, für die Greenpeace seit Jahren eine lukrative Flaggschiff-Marke am Markt ist.

Die Umwelt-NGOs streiten wie Geschwister um Aufmerksamkeit

NGOs sind meist in Vereinsform organisierte Wirtschaftsunternehmen. So werden aus der repräsentativen Zentrale von Greenpeace in der exklusiven und teuren Hamburger Hafencity mehr als 300 hauptamtliche Mitarbeiter geführt, sieben davon sitzen allein in Berlin, um Bundesregierung und Bundestag zu „informieren“. Eine solche Infrastruktur zu unterhalten kostet Geld. Der Jahresabschluß 2019 als letzte Veröffentlichung weist allein für Greenpeace 71 Millionen Euro Spendenaufkommen aus. Und hier liegen die Probleme der NGO-Unternehmen.

Obwohl die Unternehmen der grünen Industrie kein richtiges Produkt haben, herrscht ein starker Verdrängungswettbewerb. Da die Zahl der Spender in der Bevölkerung nicht so schnell wächst wie die Zahl der Nichtregierungsorganisationen, streiten immer mehr Akteure um ein bestenfalls langsam steigendes Spendenvolumen. Die potentiellen Spender sehen allerdings nicht den Aufwand der Lobbyarbeit, der Stellungnahmen in Verfahren und der Positionspapiere. Sie bewerten den permanenten, langjährigen Kontakt zu aufsteigenden grünen Politikern ebensowenig wie die Mitarbeit in Planungsgruppen oder bei nicht öffentlichkeitswirksamen Planfeststellungsverfahren. Für die Spender zählt das, was sie als öffentliche, spektakuläre Aktionen wahrnehmen, Recht und Gesetz sind keine Bewertungsmaßstäbe, wenn es um eine vermeintlich gute Sache geht. Je spektakulärer und medienwirksamer die Taten ausfallen, desto größer der Zuwachs an Renommee.

Greenpeace war viele Jahre der Prototyp der Spendensammelorganisationen. Wie in der Wirtschaft üblich, rufen erfolgreiche Konzepte aggressive Nachahmer auf den Plan. In juristischen Verfahren zur Behinderung der Infrastruktur hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die Führung übernommen, bei Abmahnungen führt die Deutsche Umwelthilfe das Feld an. Auf der Straße dominieren Extinction Rebellion und Fridays for Future, deren Mitglieder sich vor 30 Jahren wahrscheinlich bei Greenpeace organisiert hätten. Der Wettbewerb mit diesen Organisationen ist kein Wettbewerb der Inhalte, sondern eine kooperative Rivalität um Aufmerksamkeit. Durch gemeinsame Akteure und jahrelange Kooperationen sind die NGOs gut übereinander informiert, sie streiten lediglich wie Geschwister um Aufmerksamkeit.

Die Hoheit über die öffentlichkeitswirksamen Aktionen ist Greenpeace bereits vor Corona entglitten. Für die Jugend und die Massen organisierten marketingoptimierte Personen wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer im Rampenlicht medienwirksame Verkehrsstörungen; für die radikalen, kriminellen Momente mobilisierte Extinction Rebellion bezahlte Akteure. Dem zwischenzeitlich ergrauten Personal von Greenpeace war das Momentum, ein Teil der Spitze der grünen Industrie zu sein, entglitten. Entsprechend heftig versucht die Organisation in den vergangenen Wochen durch medienwirksame Straftaten, wieder in eine Spitzenposition zu gelangen. Auf den Diebstahl von tausend Autoschlüsseln bei VW folgte der spektakulär gescheiterte Angriff auf das EM-Spiel Deutschland–Frankreich. Bezeichnenderweise wurde diese letzte Straftat von Kai von S., einem fast 40jährigen Arzt, begangen. Daß Greenpeace die Person Jahre nach anderen gescheiterten Flugmanövern wieder einsetzt, dokumentiert die Überalterung bei Greenpeace brutal. Es darf bezweifelt werden, daß die Kampagnen gegen Unternehmen wie VW und Edeka insbesondere den radikalen Nachwuchs zurückgewinnen werden.

Allerdings wäre es falsch zu glauben, durch die spektakulären Aktionen der jüngeren Vergangenheit oder inszeniertes Verkehrschaos in den Städten würde der Einfluß der grünen Lobbyindustrie sinken. Er basiert auf anderen Sachverhalten und ist als Folge des Einflusses der Achtundsechziger insbesondere auf die Verwaltung immens. Auch politisch kommen die aktuelle Radikalität und die Fehler den traditionellen Bündnispartnern der NGOs, den Grünen, sehr gelegen. Sie schicken die NGOs mit radikalen Forderungen, insbesondere bei einer Klimaschutzgesetzgebung, vor und präsentieren sich dann in den Landesregierungen und im Bundestag als vernünftiger Teil einer vermeintlich starken gesellschaftlichen Bewegung.

Die politische Symbiose zwischen Grünen und NGOs, die den politischen Lobbyeinfluß der NGOs ausmacht, basiert auf zwei Feldern der Zusammenarbeit: der offiziellen Verfahrensbeteiligung der NGO und den personellen Verflechtungen.

Komplexe Gesetzgebungsprozesse durchlaufen Beteiligungsverfahren, meist in Form von Expertenanhörungen. Die Fachleute und Interessengruppen werden seitens der politischen Parteien benannt. Durch die fortgesetzte Benennung von NGO-Vertretern als Experten durch die Grünen erhalten die NGOs Einfluß auf relevante Gesetzes­projekte. Auf Basis der Expertenanhörungen beraten die Parteien über Gesetzesinhalte, Grenzwerte und gewünschte Auswirkungen. Insbesondere in den Bundesländern, in denen die Grünen regieren, gelingt es NGOs auf diesem Wege, ihre Interessen direkt in Gesetzesvorlagen einzubringen oder Informationen für Klagen wie beim Hambacher Forst oder der Elbvertiefung zu gewinnen.

Der wechselseitige Datenaustausch zwischen Verwaltung, Grünen und NGOs beschränkt sich nicht auf die offiziellen Verfahren. Die Grünen, die gern öffentlich den angeblichen Einfluß von Interessensvertretern der Wirtschaft kritisieren, arbeiten beispielsweise eng mit den sieben Lobbyisten, die allein Greenpeace in der Hauptstadt aufbietet. Diese unterstützen durch Input und Vorlagen Positionspapiere und parlamentarische Anfragen, mit denen die Daten der Verwaltung zu Planungsständen insbesondere für interessierte NGOs öffentlich werden.

Dabei laufen NGOs und Grüne in verschiedenen Ministerien offene Türen ein, treffen sie dort doch reihenweise auf ehemalige Kollegen. Grüne Minister befördern gern NGO-Geschäftsführer auf Verwaltungsstellen mit B-Besoldung, auf denen die Personen dann weiter die NGO-Positionen vertreten. Dabei tritt der grüne Filz regelmäßig ungeniert offen zutage. So holte Bundesumweltministerin Schulze 2019 mit Josef Tumbrinck einen ehemaligen Nabu-Geschäftsführer in das Bundesministerium, eine Entscheidung, die später aufgrund von Ausschreibungs- und Qualifikationsfehlern gerichtlich aufgehoben wurde.

In den Metropolen sind die Wege mit dem Fahrrad kurz

In Hamburg agierte der grüne Umweltsenator Jens Kerstan noch dreister. Er gründete einen Klimaschutzbeirat, der an allen Entscheidungen mit angeblichem Einfluß auf das Klima auf seiten der Verwaltung mitwirken soll, in dem er die politischen Vorlagen für Gesetze und Beschlüsse mit erstellt. Dann schuf er für diesen Beirat eine Geschäftsstelle und berief als unkündbaren Geschäftsführer im öffentlichen Dienst den Erzfeind der Hamburger Wirtschaft, Manfred Braasch. Braasch hat als ehemaliger BUND-Landesgeschäftsführer, mal mit heimlicher, mal offener Unterstützung der Hamburger Grünen, der Metropolregion Hamburg durch medienwirksam inszenierte Prozeßhanselei unter anderem durch die jahrelange Verzögerung der Elbvertiefung Kosten in einem dreistelligen Millionenbereich für Steuerzahler und Unternehmen verursacht. Der grüne Umweltsenator Kerstan setzte seine persönliche Personalentscheidung zugunsten eines alten Parteifreunds hinter dem Rücken des empörten SPD-Bürgermeisters um, der aber in Anerkennung der neuen Machtverhältnisse zwischen SPD und Grünen jegliche öffentliche Auseinandersetzung über den grünen Filz vermieden hat.

Derart prominente Wechsel zwischen NGOs und grün geführten Behörden sind nur der sichtbare Teil der engen Zusammenarbeit der grünen Lobbyindustrie mit der seit langem von ihr dominierten Partei. Der eigentliche Austausch über Inhalte und Posten findet in den Parteigremien der Grünen statt, insbesondere in Metropolen und Stadtstaaten, in denen die Wege mit dem Fahrrad kurz sind. So war der langjährige Chef des Geschäftsführers Braasch beim BUND im Ehrenamt der ehemalige Grüne Umweltsenator Alexander Porschke, zugleich ein politischer Ziehvater des aktuellen Umweltsenators Kerstan. Der Wechsel des bereits 56jährigen Braasch in den öffentlichen Dienst ist für die Bürger in verschiedener Hinsicht ein schlechtes Zeichen. Am alarmierendsten ist der Umstand, daß alle Beobachter erwarten, daß der inzwischen ebenfalls überalterte BUND wie Greenpeace gerade im kommenden Wahlkampf mit neuer, verjüngter Spitze deutlich radikaler und aktionslastiger agieren wird, um gegen die neuen Wettbewerber im Spendenkampf – Fridays for Future und Extinction Rebellion – bestehen zu können. Manfred Braasch verabschiedete sich beim BUND mit einer neuen Klage gegen seinen zukünftigen Hamburger Dienstherren und Senator. Er will für den BUND in Hamburg ein großflächiges Dieselfahrverbot erzwingen. Für die Zukunft ist zu befürchten, daß die Aktionen des BUND wohl wie die neue Marketingoffensive von Greenpeace auf Straftaten im Dienste einer vermeintlich guten Sache setzen.

Foto: Mißglückte Greenpeace-Aktion vor dem EM-Auftaktspiel Deutschland gegen Frankreich in der Münchner Allianz-Arena: Die Hoheit über öffentlichkeitswirksame Aktionen ist längst entglitten