© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

Große Ernüchterung
Frankreich: Der erste Wahlgang der Regionalwahlen überrascht
Friedrich-Thorsten Müller

Mit der niedrigsten in Frankreich außerhalb von Referenden je gemessenen Wahlbeteiligung endete am Sonntag der erste Wahlgang der Regional- und Departementalwahlen. Gerade einmal 33,9 Prozent der Wähler fanden den Weg zu den Urnen. Am stärksten profitierten von dieser Wahlenthaltung die Konservativen (Les Républicains), die landesweit auf etwa 29 Prozent der Stimmen kamen, gefolgt vom Rassemblement National mit etwa 18 Prozent. Bei den Regionalwahlen 2015 war Le Pens Partei mit 27,7 Prozent im ersten Wahlgang noch stärkste Partei. 

Von Sozialisten angeführte Wahllisten erreichten 16 Prozent (2015: 23,1 Prozent), die Grünen verdoppelten ihr Ergebnis auf etwa 13 Prozent. Enttäuschend war dagegen das Ergebnis für Emmanuel Macrons La Republique en marche (LREM): Mit insgesamt lediglich elf Prozent der Stimmen scheiterte die Präsidentenpartei in mehreren Regionen an der Zehn-Prozent-Hürde. Sie verpaßte dort damit den Einzug in die Stichwahl. 

Lediglich die Senioren gingen zur Wahl

Herausragendstes Ergebnis des ersten Wahlgangs ist aber die Tatsache, daß Le Pens Rassemblement National die vielfach von Demoskopen vorhergesagte Regierungsübernahme in einzelnen Regionen nicht gelingen dürfte. Lediglich in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur konnte laut Prognose von Ifop-Fiducial der RN mit Thierry Mariani (34,8 Prozent) stärkste Partei werden, gefolgt vom amtierenden konservativen Regional-Präsidenten Renaud Muselier (33,7 Prozent). 

Die Parteien auf der von einem Grünen geführte linken Liste haben für den zweiten Wahlgang kommenden Sonntag zur Wahl des konservativen Kandidaten aufgerufen. Grünen-Chef Julien Bayou droht deren Spitzenkandidaten gar mit Parteiausschluß, sollte dieser seine Kandidatur – wie zunächst angekündigt – aufrechterhalten. Damit dürften die sogenannte „republikanische Front“ und das französische Mehrheitswahlrecht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiteres Mal einen Wahlsieg des RN in dessen traditioneller südostfranzösischer Wählerhochburg verhindern. 

Bemerkenswert ist vor allem, daß die von Le- Pen-Berater Hervé Juvin forcierte Strategie, durch eine „wirtschaftsunschädliche Ökologie“ neue Wählerschichten zu gewinnen, nicht verfing. Juvin, der selbst in der Atlantik-Region Pays de la Loire kandidierte, konnte mit 12,5 Prozent nur ein unterdurchschnittliches Ergebnis erzielen. Gegenüber 2015 (21,3 Prozent) verlor er sogar überdurchschnittlich stark, obwohl viele Küstenbewohner den vom RN abgelehnten Windenergie-Ausbauplänen Macrons sehr skeptisch gegenüberstehen.

Immer mehr zum französischen Sonderfall entwickeln sich dagegen die mehrheitlich einen italienischen Dialekt sprechenden Korsen. Nicht nur, daß die Wahlbeteiligung dort mit 57,1 Prozent signifikant höher war als im übrigen Frankreich. Beachtliche 57,7 Prozent der Stimmen auf der seit 1769 französischen Mittelmeerinsel gingen dort an Separatisten, während die „Festlandsparteien“ eine immer geringere Rolle spielen.

Mit einem erwartbar mäßigen Erfolg mußte sich dagegen im Elsaß „Unser Land“ zufriedengeben. Durch die Fusion zur Mega-Region „Grand Est“, die bis vor die Tore von Paris reicht, haben die Elsässer ihre identitätsgebende Gebietskörperschaft eingebüßt. Trotz regionsweit mageren 3,7 Prozent zeigte sich Spitzenkandidat Martin Meyer „sehr zufrieden“ mit dem Ergebnis, „das ohne Verbündete erreicht werden mußte“.

Groß war vor allem auch die Ernüchterung der Meinungsforscher nach der Wahl, die fast unisono beträchtliche Stimmengewinne für den Rassemblement National vorhergesagt hatten. Stéphane Zumsteeg vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos räumte ein, die Wahlenthaltung wichtiger RN-Wählerschichten, wie der Jugend und der Arbeiter, nicht vorhergesehen zu haben. Tatsächlich ermittelte Ipsos für Radio France eine Wahlbeteiligung der 18- bis 24jährigen von lediglich 13 Prozent, gegenüber 60 Prozent bei den über 70jährigen. Insgesamt blieben 73 Prozent der Le-Pen-Wähler der Präsidentschaftswahl von 2017 zu Hause, während dies nur auf 44 Prozent der Republikaner-Wähler zutraf.