© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

Kein grüner Deal mit Biden
EU-Handelspolitik: Der Wirtschaftsgipfel in Brüssel brachte keine echten Durchbrüche
Albrecht Rothacher

Joe Biden, mediale Lichtgestalt und 36 Jahre US-Senator des Steuerparadieses Delaware, machte bei seiner Europatournee auch in Brüssel Station. „Welcome, dear Joe“, flötete EU-Kommisionschefin Ursula von der Leyen. Doch wurde außer atmosphärischen Nettigkeiten nichts geregelt – echte „Durchbrüche“ und und „Lösungen“ im transatlantischen Handelsstreit gab es trotz des Wechsels im Weißen Haus nicht.

Endlich ein Bundesgenosse für die Klimarettung, hatte die EU-Nomenklatura frohlockt, die bislang mit ihrer grünen Politik ziemlich allein dastand. Donald Trump twittert nicht mehr, er kann auch nicht mehr mit Strafzöllen für deutsche Autos drohen. Dabei sind unter ihm die deutschen Exporte in die USA von 107 auf 119 Milliarden Euro gestiegen – erst Corona ließ den Absatz 2020 auf 104 Milliarden Euro einbrechen. Doch der höfliche Biden hat auch eine eigene außen- und wirtschaftspolitische Agenda – und er sorgt sich auch um die Stimmen der weißen Arbeiter und kleinen Angestellten im „Rostgürtel“ der USA.

Waffenstillstand im Streit um Airbus und Boeing

Pennsylvania, Michigan und Minnesota sicherten ihm seine Mehrheit – und angesichts der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit dort will Biden seine Anhänger nicht mit Freihandel und unbezahlbaren CO2-Abgaben verschrecken. Deshalb wischten die Amerikaner die Träume von einer transatlantischer Freihandelszone (TTIP 2.0) vom Tisch. Die von Trump eingeführten Strafzölle auf europäische Stahl- und Aluminiumimporte bleiben in Kraft. Vielleicht können sie nach den Wahlen von 2024 auslaufen, wurde angedeutet.

Selbst bei dem seit 17 Jahren schwelenden Streitpunkt der Staatssubventionen für die Flugzeugriesen Airbus und Boeing wurde keine „Lösung“ gefunden, sondern lediglich ein Waffenstillstand von fünf Jahren vereinbart. Währenddessen soll weiterverhandelt werden. Gegenseitige Strafzölle, die die Welthandelsorganisation WTO für rechtens befunden hatte – vier Milliarden Dollar für die EU und 7,5 Milliarden Doller für die USA –, werden „ausgesetzt“. Eine Deckelung der Staatshilfen findet also nicht statt, nur die Forschungssubventionen sollen die Gegenseite nicht mehr schädigen.

Ein Thema für ihre Nachfolger also, denn bis Juli 2026 sind beide, Ursula von der Leyen und Joe Biden, Polit-Pensionäre. Indessen baut der Rivale China mit seinem 2008 gegründeten Staatskonzern Comac und Staatszuschüssen, die auf umgerechnet 49 bis 72 Milliarden Dollar geschätzt werden, einen ernstzunehmenden Wettbewerber für Großflugzeuge im Fracht- und Passagierverkehr auf. Den boomenden innerchinesischen Markt hat der Flugzeughersteller aus Shanghai wegen eines KP-Befehls schon in der Tasche.

Zu den EU-Plänen für eine Digitalsteuer, die Frankreich, Italien und Spanien bereits eingeführt haben, gab es ein klares US-Nein – plus der Androhung von Gegenzöllen. Auch der im „European Green Deal“ geplante CO2-Außenzoll (Carbon Border Adjustment Mechanism/CBAM) stieß nicht auf Gegenliebe – und das ist gut so: Je mehr die EU Energie verteuert und die eigene Industrie mit immer schärferen Emissionswerten stranguliert, desto mehr wandert die Produktion ins Ausland ab: die Türkei, Indien oder China warten schon. Der CBAM soll als Preisaufschlag einen „Grenzausgleich“ bringen, wenn ein Nicht-EU-Hersteller mehr CO2 für ein Produkt ausstößt als dies der EU-Durchschnitt tut. Für Ursula von der Leyen und ihren sozialdemokratischen Klimakommissar Frans Timmermans ist dies ein wunderbares Instrument zur „globalen Bepreisung von CO2“, das ab 2023 eingeführt und laufend verschärft werden soll.

Wie dies alles bei internationalen Lieferketten von der Herrensocke bis zum Flugzeugmotor pro Herkunftsland gemessen und berechnet werden soll, darüber schweigen sich die Klimaretter aus. Die amerikanische Antwort war – bei aller deklarierten Sympathie für die „Klimaziele“ – wiederum ein klares Nein. Und ohne Washingtoner Einverständnis ist die CBAM-Idee eigentlich totgeboren. Ein weltweiter Streit ist bei seiner Einführung dennoch vorprogrammiert – mit dramatischen Auswirkungen für die Exportnation Deutschland und dessen Industrie.

Zudem wollte die EU die Schiedsstelle für Handelsdispute der WTO, die Trump vier Jahre lang blockiert hatte, wiederbeleben. Doch einmal mehr war Biden nicht interessiert. Über Dispute verhandeln die Amerikaner lieber direkt. So kam es denn zur einzigen Einigung jenes in Brüssel als „historisch“ vermarkteten Gipfels, nämlich der Wiederbelebung des transatlantischen Rates für Handels- und Technologiefragen, der nach 14 Jahren endlich wieder auf hohem Niveau über die Angleichung technischer Normen palavern darf.

Der Konflikt um die Erdgaspipeline Nord Stream 2 ist nicht gelöst

Mit dem Ziel, eine gemeinsame Allianz vorrangig gegen China und in zweiter Linie gegen Rußland zu schließen, war Biden sicher mit niedrigen Erwartungen nach Brüssel gereist. In der EU gilt das Einstimmigkeitsprinzip in der Außenpolitik.Ungarns konservativer Ministerpräsident Viktor Orbán steht in der Ostpolitik klar im anderen Lager; Deutschland, Italien, Griechenland, Zypern und Österreich zählen diesbezüglich zu den unsicheren Kantonisten. Immerhin vernahm Biden mit Befriedigung, daß das Investitionsabkommen zwischen der EU und China, das Kanzlerin Angela Merkel noch in den letzten Tagen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit Brachialgewalt im Dezember 2020 durchdrücken wollte, mittlerweile so gut wie gestorben ist.

Das Thema Nord Stream 2 erwähnte Biden in Brüssel nicht, sehr zum Zorn von Polens Außenminister Zbigniew Rau, der beleidigt war, von den Amerikanern nicht konsultiert worden zu sein. Der 66jährige Jurist stilisierte die zweite russische Gaspipeline durch die Ostsee sogar zu einer „Gefahr für den Frieden in Europa“. Die Kanzlerin ist für einen Besuch in Washington am 15. Juli einbestellt. Ob es genügen wird, den Amerikanern vage Pläne für den Bau eines Flüssiggas-Terminals in Wilhelmshaven (für amerikanische und arabische Gaslieferungen) und Hilfen für die Wasserstoffgewinnung und Windräder als Ausgleich für die entgangenen Transitgebühren der Ukraine zu versprechen, darf bezweifelt werden. Biden verließ Brüssel ohne die angekündigte Pressekonferenz mit der EU-Führung, um sich danach in Genf mit Wladimir Putin zu einem mutmaßlich ernsthafteren Gespräch zu treffen.

Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) – Motivation, Ausgestaltung und wirtschaftliche Implikationen, IW Policy Paper 6/21: www.iwkoeln.de