© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

Mehr Tierwohl gibt es nicht umsonst
Agrarmarkt: Freie Bauern fordern Vertragspflicht bei Milchlieferungen und eine obligatorische Herkunftskennzeichnung
Paul Leonhard

Milch, Sahne, Butter, Käse, Joghurt, Speiseeis – diese Produkte standen auch während des Corona-Lockdowns zuverlässig in den Regalen. Die Landwirte konnten sich nicht ins Homeoffice verziehen oder auf der Arbeitsagentur melden, sie hatten alle Hände voll zu tun, damit ihre Höfe überleben. Viele Milchbauern sind dennoch in Not geraten. Denn während die Produktionskosten wegen der Politik der Bundesregierung immer mehr anstiegen, hielten Molkereien und Supermarktketten ihre Kaufpreise fast konstant.

Die „tierwohlgerechte Milcherzeugung“ bringt Mehrkosten von drei Cent je Kilo Milch. Einschließlich weiterer Zusatzkosten von sechs bis 19 Cent bedeute das für die nach höheren Standards produzierte Milch einen Aufpreis von „mindestens zehn bis 20 Cent “, erklärte Holger Thiele, Direktor des Kieler Instituts für Ernährungswissenschaft (Ife). Für gutverdienende Grünen-Wähler sicher kein Problem, aber schon beim Fleisch mußten die Discounter feststellen, daß die Verbraucher höhere Preise fürs Tierwohl kaum akzeptieren.

„Aktuell ist es oft so, daß die Liebe zu den Kühen zum Weitermachen anspornt – nicht die finanzielle, wirtschaftliche Situation der Milcherzeugung“, sagt Dieter Beuckmann, Milchbauer aus Welver in der Soester Börde. „Ohne die Leidensfähigkeit der Milcherzeuger hätten schon deutlich mehr Betriebe ihre Hoftore geschlossen.“ Er beklagt die hohen Investitionen in Umweltauflagen und artgerechte Tierhaltung und das Fehlen des „uns immer wieder versprochenen besseren Auszahlungspreises“.

Während der Milchpreis auf dem Niveau von vor 40 Jahren verharre, seien die Kosten in allen Bereichen enorm gestiegen, beklagt auch Landwirt Carsten Wist aus Wischhafen nördlich von Hamburg. Im April 2020 hatten Analysten der Rabobank den Milchbauern drei Schockwellen vorausgesagt: zunächst Panikkäufe der Verbraucher, gefolgt von einer schrumpfenden Einzelhandelsnachfrage und zuletzt spürbare Kaufkraftverluste der Verbraucher. Diese sowie eine globale Rezession würden die Preise für Milch und Milchprodukte 2021 unter Druck halten.

Und bis Dezember 2020 ist die Zahl der Milchbauern gegenüber dem Vorjahresmonat von 61.000 auf 57.300 geschrumpft. 2019 gaben sogar mehr als 6.000 auf. Die Marktmacht von Aldi, Edeka, Lidl, Rewe & Co. sei schuld, daß die „Preise für Milchprodukte in Deutschland bei weitem nicht ihrem eigentlichen Wert entsprechen und sie auch bei weitem nicht in angemessener Weise die Arbeit und das Engagement der Landwirte honorieren“, findet das Deutsche Milchkontor (DMK), die mit jährlich 6,6 Milliarden Kilogramm verarbeiteter Milch größte Molkereigenossenschaft: „Eine Verbesserung der Situation kann nur über die bereits eingeschlagenen Wege wie den Agrardialog, die Zukunftskommission Landwirtschaft oder eine gemeinsame Branchenkommunikation gelingen, in die sich alle Beteiligten einbringen.“

Großmolkereien bereichern sich schamlos an den Bauern“

Im Januar hatte sich die Situation so zugespitzt, daß sich Vertreter des Deutschen Bauernverbandes (DBV) im Vorfeld der Grünen Woche mit denen der Molkereiwirtschaft trafen. Hauptpunkt des Gesprächs war die Honorierung von höheren Produktionsstandards wie bei der „Initiative Tierwohl Rindfleisch“, die auf Augenhöhe mit allen Partnern der Lebensmittelkette verhandelt werden müsse. Parallel starteten Molkereien und Verbände die Initiative „Milch“, um Verbraucher zu sensibilisieren: „Verbraucher haben kaum noch Verständnis für die geleistete Arbeit der Landwirte“, bedauert Bauer Steffen Kiesekamp, aus Bramsche-Epe bei Osnabrück, auf der DMK-Internetseite: „Kostensteigerungen können nur teilweise durch höhere Produktivität aufgefangen werden.“

Dem DMK ist es 2020 gelungen, Umsatz und Gewinn bei einem auf durchschnittlich 32,05 Cent pro Kilo gestiegenen Milchpreis nahezu stabil zu halten. Dennoch gehört das DMK auch zu den Adressaten der Bauern-Proteste: „Daß die Großen der Branche es schaffen, bei insgesamt sehr gutem Absatz für Milch und Milchprodukte die den Milcherzeugern ausgezahlten Preise nach wie vor unten zu halten, zeigt überdeutlich, daß der Markt nicht funktioniert“, sagte Peter Guhl von der Bundesvertretung der DBV-kritischen Freien Bauern, die vor den DMK-Werken in Zeven und Edewecht demonstriert hatten.

Auch die großen Molkereigenossenschaften würden sich schamlos an den Bauern bereichern und mit ihrer Marktmacht den Spielraum mittelständischer Mitbewerber einengen, kritisierte der Milchviehhalter aus Vorderhagen in Mecklenburg-Vorpommern. Die Freien Bauern fordern deshalb grundlegende politische Reformen zur Wiederherstellung von Wettbewerb in der Wertschöpfungskette. Seit Juni zahlt das DMK nun 35,3 Cent pro Kilo für Milch, etwa zehn Prozent mehr. Insgesamt haben 21 der 27 Molkereien seit April ihren Milchpreis erhöht. Damit folgen sie einem Trend auf dem Weltmarkt, der von Neueseeland als Hauptlieferant von Milchpulver an China ausgelöst wurde. Laut Ife-Institut kletterte der Rohstoffwert binnen eines Jahres von 27 auf 36,2 Cent pro Kilo ab Hof. Für das zweite Halbjahr werden 39 Cent prognostiziert. Eine Milchpreisabsicherung wäre aus Sicht von DMK-Chef Thomas Stürtz „eine große Chance für die Landwirte und damit für die Molkerei“. Ein Modellprojekt wurde mit 26 Betrieben getestet. „Fixed Price ist kein Modell für Spekulanten, sondern vielmehr ein Vehikel für den Landwirt, Risiken mittels einer Glättung der Milchpreiskurve betriebsindividuell zu reduzieren“, erläutert DMK-Geschäftsführer Klaus Hein.

Eine „Vertragspflicht für Milchlieferungen, nach der Menge und Preis vorab vereinbart werden müssen“, fordern auch die Freien Bauern, sowie eine „Herkunftskennzeichnung auf allen Lebensmittelverpackungen, so daß der Kunde im Supermarkt erkennen kann, aus welchem Land die verwendeten Agrar-Rohstoffe stammen“.

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