© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

Reul abgestraft
In eigener Sache: Das Verwaltungsgericht in Düsseldorf mißbilligt den „Eingriff in den Schutzbereich der grundrechtlich verbürgten Pressefreiheit“ der jungen freiheit durch den NRW-Innenminister
Felix Krautkrämer

Regierungsvertreter von Bund und Ländern unterliegen in Deutschland einem gewissen Mäßigungsgebot – zumindest in der Theorie. Das heißt, sie müssen sich, wenn sie sich in ihrer offiziellen Funktion äußern, in Zurückhaltung üben. Schließlich wird das, was sie sagen, nicht als ihre private Meinung aufgenommen, sondern als staatliche Botschaft und im Zweifel sogar als Anweisung. 

Zwar gibt es in der Rechtsprechung zahlreiche Entscheidungen, nach denen Hoheitsträger sich in der Ausübung ihres Amtes bei Äußerungen nicht auf den Schutz der Meinungsfreiheit berufen können, dennoch kommt es immer wieder zu Fällen, bei denen Minister die Grenzen des Erlaubten durchbrechen und die staatliche Neutralitätspflicht verletzen. Meist bleibt dies gemäß der Devise „Wo kein Kläger, da kein Richter“ ohne Konsequenzen. 

Wird der Rechtsweg doch einmal bemüht, kann das Eis für die Beklagten dünn werden. Diese Erfahrung mußte auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) machen, der vom Verwaltungsgericht Düsseldorf mit deutlichen Worten auf den Boden des Grundgesetzes zurückgeholt wurde. Die Richter gaben einer Klage der JUNGEN FREIHEIT statt und entschieden, daß Reul künftig nicht mehr behaupten darf, die Lektüre der JF könne als „Warnsignal“ für eine rechtsextreme Gesinnung gewertet werden. Bei Zuwiderhandlung droht ihm ein Ordnungsgeld in Höhe von 10.000 Euro.

Gleichzeitig verpflichtete das Gericht Reul in seinem jetzt veröffentlichten Urteil von Ende Mai, innerhalb von vier Wochen, nachdem das Urteil rechtskräftig ist, die Extremismusbeauftragten der Polizeibehörden des Landes Nordrhein-Westfalen darüber in Kenntnis zu setzen, daß er seine Aussage bezüglich der JF nicht aufrechthält. Die Kosten des Verfahrens trägt zu 90 Prozent das Land Nordrhein-Westfalen – und damit der Steuerzahler. 

Hintergrund sind Aussagen Reuls aus dem vergangenen Jahr im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen Polizisten wegen rechtsextremer Tendenzen. Einer der Beschuldigten soll bereits vor zehn Jahren eine interne „Ansprache“ erhalten haben, weil er die JF im Dienst gelesen hatte. Laut einem Bericht der Welt vom März 2020 sagte Reul im Innenausschuß des nordrhein-westfälischen Landtags, es sei „nicht nachvollziehbar, daß über sehr, sehr viele Jahre hinweg Anzeichen für die rechtsextreme Gesinnung eines Verwaltungsangestellten unserer Polizei vorhanden waren und diese auch den diversen Vorgesetzten und Kollegen bekannt waren. Trotzdem wurde nicht konsequent eingeschritten.“

Unhaltbarer Vorwurf: „Im Dienst die JF gelesen“ 

Als Folge der Ermittlungen wies das Innenministerium die Polizeibehörden dazu an, zentrale Extremismusbeauftragte zu benennen. Ende Mai 2020 fand beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen (LAFP) die Auftaktveranstaltung zur Einführung dieser rund 50 Extremismusbeauftragten statt. Neben Reul und LAFP-Direktor Michael Frücht waren auch Pressevertreter zugegen. In seiner Rede sagte der Innenminister laut Manuskript: „Als ich von den Festnahmen erfahren habe und mir auch mitgeteilt wurde, daß ein Verwaltungsbeamter der Polizei unter den Tatverdächtigen ist, wollte ich natürlich wissen, ob es hier bereits im Vorfeld Anzeichen gegeben haben konnte, die auf eine derartige Gesinnung hindeuten könnten. Und wenn ja: wieso hat so lange niemand etwas mitbekommen? Bei der Prüfung dieser Frage ist mir aufgefallen, daß ich nicht verstehen kann und will: Daß Warnsignalen, die es gab, nicht nachgegangen und diese auch lange Zeit nicht ernsthaft genug gewürdigt wurden. (…) Es ging schon vor rund zehn Jahren los, als der beschuldigte Verwaltungsbeamte dem Polizeipräsidenten auffiel, weil er im Dienst die JUNGE FREIHEIT gelesen hat.“

Wenige Tage später berichtete die Welt über die Veranstaltung. Sie gab Reul mit den Worten wieder, daß es einen hätte stutzig machen können, wenn der extremistische Polizeimitarbeiter die JF gelesen habe. Es sei zwar „nicht verboten, ‘JF’ zu lesen, aber die ‘JF’ auf dem Tisch zu haben – das ist nicht so ganz normal“, zitierte das Blatt den CDU-Politiker. 

Die Welt ließ in dem Artikel auch nicht unter den Tisch fallen, daß die JF in einem langjährigen Prozeß erfolgreich gegen ihre unrechtmäßige Beobachtung durch den Verfassungsschutz vorgegangen war und erwähnte deren Sieg vor dem Bundesverfassungsgericht 2005. „Darf dann aber der NRW-Polizeiminister vorgeben, die ‘JF’-Lektüre deute auf eine rechtsextreme Gesinnung hin?“, fragte die Zeitung daher.

Ende Juni 2020 forderte die JF Reul deshalb zu einer Unterlassung auf. Außerdem sollte er seine Angaben gegenüber den Extremismusbeauftragten richtigstellen. Da das Innenministerium dem nicht nachkam, klagte die JF im Oktober 2020. Unter anderem führte sie dabei auch an, daß wegen der Äußerungen Reuls beamtete JF-Leser in NRW die Einleitung eines Disziplinarverfahrens fürchten müßten. Dies sei nicht nur ein schwerer Eingriff in den ausgeübten Gewerbebetrieb des Verlags, sondern auch in die Pressefreiheit.

„Welt am Sonntag“ lobt Urteil des Verwaltungsgerichts 

Zuvor hatte bereits ein anonymer Leser der jungen freiheit mitgeteilt, er schätze die Zeitung zwar, als Verwaltungsbeamter in Nordrhein-Westfalen sehe er deren Bezug nach den Äußerungen Reuls jedoch als Risiko, da ihm dies als Indiz für eine verfassungsfeindliche Gesinnung ausgelegt werden könne. 

Dem hielt das Innenministerium entgegen, Reuls Ausführungen seien nicht geeignet, Beamte von der JF-Lektüre abzuhalten. Die Formulierung, die JF auf dem Tisch liegen zu haben, sei nicht „ganz normal“, versuchten die Prozeßbevollmächtigten damit abzutun, daß sich die JF selbst als außergewöhnliche („sprich: ‘nicht ganz normale’“) Zeitung betrachte, die eine „Korrekturfunktion (zu) marktbeherrschenden Medien“ einnehme. Daß die JF zudem die alte Rechtschreibung verwende, sei ein weiteres Alleinstellungsmerkmal.

Dieser Argumentation folgten die Richter jedoch nicht und entschieden stattdessen zugunsten der JF. Als Begründung führten sie an, die Aussage sei geeignet, „potentielle Leser davon abzuhalten, die Zeitung zu erwerben und zu lesen. Insbesondere Polizeibeamte, die jeglichen Verdacht auf eine rechtsextreme Gesinnung und die Beobachtung durch Extremismusbeauftragte vermeiden wollen, bleibt letztlich nur der Verzicht auf die Lektüre.“

Die Entscheidung stärkt auch die Pressefreiheit in Deutschland, denn die Richter beurteilten Reuls Äußerungen als „Eingriff in den Schutzbereich der grundrechtlich verbürgten Pressefreiheit“. Diese schütze die Bürger „vor Einflußnahmen des Staates auf die mit Hilfe der Presse verbreiteten Informationen“, belehrten die Richter Reul und ließen auch keine Berufung zu.

Bei den öffentlich-rechtlichen Medien wie dem Deutschlandfunk, wo regelmäßig angebliche staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit in Ungarn oder Polen breit thematisiert werden, herrschte nach dem Urteil Schweigen. In der FAZ immerhin erschien ein knapper Artikel. Die Welt am Sonntag dagegen lobte das Urteil. „Es ist nicht Sache des Staates (zumindest nicht eines liberalen Rechtsstaates), seinen Bediensteten vorzuschreiben, über welche Medien sie sich informieren. Das ist einigermaßen selbstverständlich bei Medien, die nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden wie eben der ‘JF’ – auch wenn man deren Ausrichtung nicht schätzt“, hieß es in einem Beitrag, der mit der Mahnung endete: „Welch schutzwürdiges Gut die Pressefreiheit darstellt, wird Reul hoffentlich nicht mehr vergessen.“





Sieg für die Pressefreiheit

Am 28. Juni 2005 verkündete das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde der jungen freiheit gegen das Land Nordrhein-Westfalen. Kurz und bündig titelt die Pressemitteilung des höchsten deutschen Gerichtes: „Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Aufnahme in Verfassungsschutzbericht“. Dies sei, so der Chefredakteur Dieter Stein damals, eine „schallende Ohrfeige für das NRW-Innenministerium, das seit 1995, also zehn Jahre lang, die JF in verfassungswidriger Weise durch Erwähnung im Verfassungsschutzbericht politisch schwer diskriminiert“ habe. „Eine Ohrfeige letztlich auch für eine politisch-mediale Klasse, die sich zum unkritischen Handlanger des staatlichen Mißbrauchs des Verfassungsschutzes gemacht hat und immer noch macht“, so Stein in seinem Resümee. (ctw)

Foto: NRW-Innenminister Herbert Reul / Urteil des Verwaltungsgerichts (u.): Der CDU-Politiker darf künftig nicht mehr behaupten, die Lektüre der JUNGEN FREIHEIT könne als Warnsignal für eine rechtsextreme Gesinnung gewertet werden