© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

Lynchmob im wilden Westen
Derbe Sitten: Puccinis „La Fanciulla del West“ an der Staatsoper Berlin
Ira Austenat

Die Premiere von Puccinis „La Fanciulla del West“ (Das Goldmädchen aus dem Westen) an der Berliner Staatsoper am 13. Juni atmete mit jeder Note, jedem Ton, ja selbst jedem Klatschen nur einen einzigen, kraftvollen fast unbeugsamen Gedanken: „Wir sind wieder da!“

Die Kernhandlung des Stückes ist schnell erzählt: Die gütige, schöne, aber unberührbare Minnie (perfekt verkörpert von Anja Kampe) ist in rauher Gegend, Schwester- und Mutterersatz für die geschundenen Seelen der ebenso rauen wie irgendwie verlorenen Burschen eines Goldgräbercamps. Der ruppige und skrupellose Sheriff (Michael Volle), der beständig versucht, seinen gefühlten Anspruch auf sie durchzusetzen, wird doppelt herausgefordert, als die Schöne ihr Herz ausgerechnet an Johnson, einen zwielichtigen Neuankömmling (Antonio Alvarez) verliert, der – ebenso kriminell veranlagt wie charmant im Auftreten – die Unberührbare erobert und damit nicht nur den beruflichen, sondern insbesondere den männlichen Zorn des Sheriffs auf sich zieht.

Der Streit eskaliert, Schüsse fallen, Johnson wird verletzt, Lynchjustiz liegt in der Luft und produziert große Gefühle mit denen die Heroine ihren Geliebten nicht nur vor den Häschern versteckt, sondern ihm seine verbecherische Vergangenheit vergibt, ihn durch ihre Liebe läutert und heilt und ihn vor dem Lynchmob rettet. Die Inszenierung der Amerikanerin Lydia Steier ist laut und grell-bunt in eine entlegene karge, brutale kalifornische Landschaft der 1950er Jahre versetzt. Es gibt neonilluminierte Cowboys, brennende Stuntmen, reichlich Schüsse und einen Pickup, mit dem Delinquenten zum Hängen gefahren werden.

Das gewollt Schrille des Bühnenbildes ist sicher nicht jedermanns Geschmack, kann die besondere Faszination dieses Abends jedoch nicht trüben. Ein vom ersten Ton an in Topform intonierender Antonio Alvarez (Johnson), ein hervorragendes Orchester, welches trotz abstandsbedingter reduzierter Besetzung mit seinem Dirigenten Antonio Pappano die Schönheit von Puccinis Partitur zur vollen Entfaltung bringt, ein Publikum, das wild entschlossen ist, den Künstlern donnernden Applaus zu schenken. Anfangs verhalten auftretend, versprühte Michael Volle (Sheriff) im Verlauf des Abends einen unglaublich ansteckenden Enthusiasmus, der das sehr Besondere dieser Aufführung sichtbar und fühlbar zum Ausdruck brachte.

Die nächsten Vorstellungen der Puccini-Oper an der Staatsoper Berlin, Unter den Linden, finden statt am 27. Juni und 2. Juli, jeweils um 19.30 Uhr.