© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/21 / 25. Juni 2021

Spritze aus der Karibik
Kuba arbeitet an fünf Corona-Impfstoffen / Gesicherte Wirksamkeitsdaten gibt es noch keine
Paul Leonhard

Millionensummen von mutigen privaten Investoren, Risikokapital der staatlichen Förderbank KfW, eine wohlwollende deutsche Presse, ein Börsengang an der New Yorker Technologiebörse Nasdaq und eine Zusammenarbeit mit dem globalen Dax-Konzern Bayer – doch ein brauchbarer Corona-Impfstoff ist immer noch nicht in Aussicht. Dafür gab es am 16. Juni eine Warnung der bislang gefeierten Firma Curevac aus Tübingen: „In einer bislang beispiellosen Umgebung mit mindestens 13 Varianten innerhalb der untersuchten Teilmenge der Studienteilnehmer in dieser Zwischenanalyse erzielte CVnCoV eine vorläufige Wirksamkeit von 47 Prozent gegen eine Covid-19-Erkrankung jeglichen Schweregrades und erreichte damit nicht die vorgegebenen statistischen Erfolgskriterien.“

Erste Massenimpfungen sollen bald starten

Das schon millionenfach verimpfte Vakzin Comirnaty der Mainzer Firma Biontech und des US-Konzerns Pfizer oder der von Donald Trumps „Operation Warp Speed“ geförderte Corona-Impfstoff mRNA-1273 von Moderna und des staatlichen US-Forschungsinstituts NIAID versprechen eine fast doppelt so hohe Wirksamkeit. „Wir hatten auf stärkere Ergebnisse in der Zwischenanalyse gehofft, haben aber gesehen, daß es bei dieser beispiellosen Bandbreite an Varianten eine Herausforderung darstellt, eine hohe Wirksamkeit zu erzielen“, gestand Curevac-Chef Franz-Werner Haas ein. Daraufhin halbierte sich der Börsenkurs, und die öffentliche Beteiligung an dem vor elf Jahren gegründeten Unternehmen stand in heftiger Kritik. Und mehr noch: Bislang belächelte Pariastaaten könnten mit ihren Corona-Impfstoffen noch vor dem gefallenen deutschen Börsenstar auf den Weltmarkt kommen.

„Großartige Neuigkeiten“, jubelt beispielsweise Nutzer Alex in der Kommentarspalte des staatlichen kubanischen Nachrichtenportals Cubadebate: „Es lebe Kuba! Es leben unsere Wissenschaftler!“ Er habe „volles Vertrauen in die kubanische Wissenschaft und in unser Volk“. Andere Kommentatoren sind skeptischer, und insgesamt ist die Diskussion geprägt von tiefer Verunsicherung. Es geht um die Anti-Corona-Kampagne des staatlichen Gesundheitssystems. Bis Ende des Jahres will die KP-Regierung unter Miguel Días Canel die gesamte Bevölkerung gegen Covid-19 immunisieren und gleichzeitig die Kuba-Impfstoffe armen Ländern anbieten.

Interesse haben der Iran, Venezuela, Vietnam, Jamaika, Mexiko, Bolivien, Surinam und die Afrikanische Union mit ihren 55 Mitgliedsländern bekundet. Eine Rolle dürfte dabei spielen, daß die kubanischen Impfstoffe wahrscheinlich weniger kosten als andere lizenzierte Vakzine. Das von den USA boykottierte Kuba geht wieder einmal seinen eigenen Weg, in dem es als einziges lateinamerikanisches Land auf Hilfsprogramme samt international anerkannter Impfstoffe verzichtet und statt dessen auf Eigenentwicklungen setzt. Die Pläne sind ehrgeizig: Noch in diesem Monat sollen mit Soberana 02 und Abdala zwei Impfstoffe eine Notfallzulassung erhalten. Das bestätigt Olga Lidia Jacobo, Leiterin der Arzneimittelbehörde Cecmed.

Anschließend soll mit den ersten Massenimpfungen begonnen werden. Bis Ende Juli soll ein Drittel der 11,2 Millionen Einwohner die erste Impfung erhalten haben, bis Ende August sollen sogar 70 Prozent geimpft sein. Und für eine vollständige Herdenimmunität sollen sogar Kinder und Jugendliche geimpft werden, kündigte Verena Muzio González, Leiterin der klinischen Studienabteilung des Zentrums für Gentechnik und Biotechnologie (CIGB) in Havanna an. Insgesamt fünf selbst entwickelte Impfstoffe will Kuba dabei ins Rennen schicken. Allerdings ist davon noch kein einziger von der Weltgesundheitsorganisation WHO zugelassen. Und obwohl sich die kubanischen Impfstoffe noch in klinischen Testphasen befinden, wird fleißig geimpft. Am weitesten sind die Fortschritte bei Abdala (CIGB 66). Bei dem adjuvantierten Subunit-Impfstoff ist die erweiterte klinische Phase-III-Studie mit mehr als 40.000 Freiwilligen im Alter zwischen 19 und 80 Jahren nach kubanischen Angaben zwar abgeschlossen, aber noch nicht ausgewertet.

Desolate Wirtschaft, aber vorzeigbarer Gesundheitssektor?

Soberana 02 (Finlay-FR-2) befindet sich seit gut vier Monaten in der abschließenden Studienphase. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Tot­impfstoff, bei dem das sich an menschliche Zellen bindende Spike-Protein des Corona-Virus genutzt wird. Da dieses allein nicht die gewünschte starke Immunreaktion auslöst, wird die Wirkung mit Tetanustoxoid (TT) erhöht. Bei zwei Impfungen soll die Wirksamkeit bei 62 Prozent liegen – das läge auf dem Niveau chinesischer Corona-Impfstoffe und knapp unter dem Vakzin von Astrazeneca. Entwickelt wurde Soberana 02 vom staatseigenen Finlay-Institut, der führenden biopharmazeutischen Institution des Landes. Ein ähnliches Prinzip nutzt das US-Unternehmen Novavax für seinen Impfstoff, dessen Tests vor dem Abschluß stehen. Das Novavax-Vakzin soll eine Wirksamkeit von 90 Prozent haben und im September zugelassen werden.

Still geworden ist es um den Impfstoff Soberana 01, der seit April an Probanden in der Provinz Cienfuegos getestet wird. Dieser sollte schwerpunktmäßig an Kinder und Jugendliche verimpft werden, beginnend mit Zwölf- bis 18jährigen und „sobald die Sicherheit dieser Gruppe nachgewiesen wurde“, Fünf- bis Elfjährigen verabreicht werden, hatte Rolando Pérez Rodríguez, Direktor für Wissenschaftspolitik bei BioCubaFarma, im März angekündigt.

Überhaupt keine Nachrichten gibt es mehr vom CIGB-Vakzin Mambisa. Er sollte als Nasenspray gereicht werden. Nach Angaben der Regierung könne Kuba aber 100 Millionen Dosen von Soberana 02 produzieren. Das wäre mehr als genug, um das eigene Volk zu impfen und den Impfstoff auch zu exportieren. Kuba hatte im März 100.000 Dosen Soberana 02 in den Iran geschickt, um dort Wirksamkeitsstudien durchzuführen. Jeweils 30.000 Dosen Soberana 02 und Abdala sollen an Venezuela gehen. Im Rahmen der Studien wurden bis zum 8. Juni knapp über drei Millionen Dosen der kubanischen Impfstoffkandidaten verabreicht. 2,2 Millionen Kubaner haben mindestens eine, 1,5 Millionen bereits eine zweite und 850.000 eine dritte Dosis erhalten.

Allerdings hat Kuba bisher keine Sicherheits- und Immunogenitätszahlen aus den Ergebnissen der ersten und zweiten Phase veröffentlicht. Beteiligte Wissenschaftler haben im Staatsfernsehen lediglich versichert, die Impfstoffe würden „gut funktionieren“. Allerdings sind für beide aussichtsreichen Impfstoffe drei Impfdosen nötig. Insgesamt 100 Millionen Impfdosen will Kuba allein von Soberana 02 produzieren. Voraussetzung ist allerdings, daß das arme und unter US-Wirtschaftssanktionen leidende Land ausreichend Spritzen, Nadeln sowie Reagenzien und Behälter zu Aufbewahrung und Transport der Impfstoffe beschaffen kann.

Angeblich waren die bisherigen Impfungen nur möglich, weil Frankreich eine Million Spritzen geliefert und die Schweiz Kuba mit rund 700.000 US-Dollar unterstützt hat. Letzteres wäre brisant, denn wie sind die Devisen auf die Karibikinsel gelangt? Offiziell führt auf Druck der USA und wegen drohender Strafzahlungen in Milliardenhöhe keine einzige Schweizer Bank mehr Transaktionen nach Kuba aus. Das bekamen auch auf Kuba lebende Schweizer zu spüren, deren Renten plötzlich nicht mehr überwiesen wurden. Andererseits gibt es, wie das Blatt Liechtensteiner Vaterland kürzlich berichtete, im benachbarten Fürstentum Liechtenstein mit dem 1984 gegründeten Unternehmen Acemex ein Netzwerk von Scheinfirmen, mit denen Kuba versucht, die US-Wirtschaftssanktionen zu umgehen.

Bericht im britischen Magazin Nature („Can Cuba beat Covid with its homegrown vaccines?“):

 www.nature.com

 www.biocubafarma.cu