© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Nasse Gefahr
Lockdown: Viele Schwimmkurse fallen aus – mit fatalen Folgen
Ronald Berthold

Mit der ersten Hitzewelle häuften sich die Berichte über Badeunfälle. Allein in der Woche Mitte Juni ertranken in Deutschland 18 Menschen, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche. Weitere gelten als vermißt. Im vergangenen Jahr starben 378 Personen in Deutschlands Flüssen, Seen und an den Küsten. Gleichzeitig entwickelt sich die Bundesrepublik zu einem Volk von Nichtschwimmern. Nun werden bereits schwere Vorwürfe erhoben. Die Problematik werde von den Regierenden ignoriert.

Schon vor der Pandemie konnten rund 60 Prozent der Zehnjährigen gar nicht oder nicht richtig schwimmen. Und sogar jeder zweite Erwachsene fühlt sich im Wasser nicht sicher. Die Zahlen, die einer Umfrage der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) zugrunde liegen, sind alarmierend. Noch liegen keine aktuellen Daten vor, aber die Lage dürfte sich durch die Corona-Maßnahmen verschärft haben.

Schuld ist auch die Schließung vieler Bäder

Denn mehr als ein Jahr lang waren die Schwimmbäder geschlossen. Es konnten keine Kurse für Kinder angeboten werden. Auch der Schwimmunterricht der Schulen fiel dem Lockdown zum Opfer. Nun, da die Bäder wieder öffnen, sind die Plätze in den Lehrgängen knapp. Viele Eltern finden keinen Kurs für ihre Kinder. Dabei gehört Schwimmen zu den lebenswichtigen Fertigkeiten – wie die sich häufenden Unglücksfälle belegen.

Die hohe Zahl der Badetoten ist für die nord-rhein-westfälische AfD-Fraktion „erwartbar“ gewesen. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer Andreas Keith macht die „stetig nachlassende Schwimmausbildung bei ständig weniger werdenden Schwimmbädern“ dafür verantwortlich. Die Kommunen hätten über Jahre an Bädern und überwachten Wasserflächen gespart.

Bereits vor zwei Jahren hatte die Oppositionsfraktion den Antrag „Schwimmflächen und Schwimmangebote ausweiten. Ertrinken verhindern“ im Landtag eingebracht. Er wurde abgelehnt. Keith wirft der Landesregierung nun „offenkundige Hilflosigkeit und Ignoranz“ vor. Seit Monaten warne seine Partei davor, „daß die ohnehin vorhandene Problematik durch die Corona-Maßnahmen weiter verschärft“ werde. Der AfD-Politiker fordert das Kabinett von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) auf, „sofortige Maßnahmen zum Schutz der Schwimmanlagen einzuleiten und den verstärkten Einsatz der Wasserschutzpolizei an bekannten Badestellen“ zu veranlassen. Zudem müsse die DLRG „schnell, unbürokratisch und in gebotenem Ausmaß finanziell unterstützt werden“. Denn diese leiste einen „gar nicht hoch genug zu schätzenden Beitrag bei Prävention und Rettung“. 

Auch in Baden-Württemberg steht die Schließung der Bäder im Fokus der Kritik. DLRG-Geschäftsführerin Eleonore Wagner beklagt im Schwarzwälder Boten: „Seit rund eineinhalb Jahren gibt es keinen normalen Schwimmunterricht mehr.“ Die Möglichkeiten der Kinder, das Seepferdchen zu erwerben, seien im Lockdown um rund 70 Prozent gesunken. Dabei sei das nur „der erste Schritt des Schwimmenlernens“. Erst ab dem Abzeichen Bronze gelte man als sicherer Schwimmer.

Hinzu komme, daß jedes Jahr in Deutschland 80 Bäder geschlossen werden, moniert die DLRG. Dies habe zur Folge, daß 25 Prozent der Kinder nicht einmal Zugang zu einem Bad hätten. Nach Angaben des baden-württembergischen Kultusministeriums war schon vor der Pandemie ein Viertel der Schulen im Ländle nicht imstande, Schwimmunterricht durchzuführen. Zwar könne die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft nun wieder Schwimmkurse anbieten, sagt Wagner. Dies helfe aber nur, um „die Spitze des Eisbergs abzufangen, damit die Zahl der Nichtschwimmer nicht noch größer wird“. Besonders gefährlich seien in Deutschland Flüsse und Seen, warnt DLRG-Präsident Achim Haag. Denn nur wenige dieser Gewässer werden von Rettungsschwimmern bewacht. „Das Risiko, dort zu ertrinken, ist deshalb um ein Vielfaches höher als an Küsten oder in Schwimmbädern.“

Was können Eltern tun, die keinen der heiß begehrten Plätze in Kursen für ihre Kinder ergattern können? Schwimmlehrer empfehlen, eigeninitiativ tätig zu werden und dem Nachwuchs das Schwimmen selbst beizubringen. Videos, die zeigen, wie das geht, finden sich auf Youtube.