© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Kein Kurs auf Konsens
AfD: In Niedersachsen muß die Landesliste neu gewählt werden
Christian Vollradt

Eines können der AfD sogar ihre ärgsten Kritiker nicht vorwerfen: Daß es mit der Partei irgendwie langweilig wird. Besonders der Dreiklang von Posten, Penunzen oder Parteiflügeln sorgt regelmäßig für innere Temperaturerhöhungen. 

So soll in Niedersachsen am Wochenende die AfD zum dritten Mal innerhalb eines guten halben Jahres zu einem Landesparteitag zusammenkommen, um eine neue Liste für die Bundestagswahl zu wählen. Hintergrund ist die Einschätzung mehrere innerparteilicher Experten, welche die von einer Aufstellungsversammlung Anfang Dezember vergangenen Jahres gewählte Liste als „nicht rechtssicher“ einschätzten (JF 25/21). Tatsächlich hatte Landeswahlleiterin Ulrike Sachs in einem Brief an die Vertrauensleute der AfD geschrieben, es sei „weiterhin ungeklärt, ob die Partei alle stimmberechtigten Parteimitglieder zur Aufstellungsversammlung eingeladen oder rechtlich mögliche und organisatorisch zumutbare Maßnahmen unterlassen hat“. Zweifel an der Rechtssicherheit hatte vor allem der Landesvorstand selbst gesät – und gegenüber der Landeswahlleiterin nicht den Eindruck erweckt, man habe alles getan, um mögliche Fehler zu heilen. 

„Da nimmt er sich mal wieder wichtiger, als er ist“

Nicht alle Mitglieder goutieren die Vorgehensweise, nun eine neue Liste zu wählen. So heißt es in einem Antragsentwurf, die Versammlung möge beschließen, in geheimer Wahl die bei der Aufstellungsversammlung Anfang Dezember 2020 gewählte Landesliste der AfD Niedersachsen für den Bundestag „vollumfänglich“ zu bestätigen. Damit, so die Begründung, hätte man „in wirksamer Weise alle angeblichen Fehler, die sonst noch jemand ausgraben möchte, ein für allemal geheilt“. Nach wie vor unterstellen die parteiinternen Gegner von Landeschef Jens Kestner, dessen Gefolgsleute im Vorstand hätten die Listenwahl absichtlich im nachhinein torpediert, weil sie nicht zum Zuge kamen. Denn es habe während der gesamten Einspruchfrist kein einziges Mitglied beim Schiedsgericht Einspruch gegen die Liste erhoben. Nur der für die Einladungen selbst verantwortliche Landesvorstand ziehe deren Vollständigkeit in Zweifel.

Niedersachsens Landesvorsitzender Kestner wandte sich unterdessen per Rundbrief an alle Mitglieder. Darin schreibt der Noch-Bundestagsabgeordnete, der im Dezember bei der Listenaufstellung leer ausgegangen war, die AfD Niedersachsen sei „in zwei annähernd gleichstarke Lager geteilt“. Mal habe die eine Seite „die Oberhand, mal die andere“. Der Verband sei geprägt vom Konkurrenzkampf unterschiedlicher „War Lords“. Die im Dezember „möglicherweise mit tatkräftiger Unterstützung von außerhalb Niedersachsens“ gewählte Liste spiegele nicht die Gesamtheit der Partei wider, so Kestner. Daß die Aufstellungsversammlung nun wiederholt werden müsse, biete die Chance, „über einen Konsens nachzudenken“ und danach „geschlossen in den Wahlkampf ziehen“.

Gerüchten zufolge denken Kestner und seine Mitstreiter daran, auf der neuen Liste abwechselnd beide Lager zu berücksichtigen. Der Parteichef selbst könnte etwa auf Platz zwei hinter Spitzenkandidat Joachim Wundrak antreten. Doch allen Aufrufen zum Trotz rechnen viele in der Partei mit einem „Showdown“ am Samstag. Zu tief sind offenbar die Gräben, zu groß das Mißtrauen. „Herr Kestner redet gerade viel von Konsens. Es gibt schon einen Konsens in der Partei, und das ist die Bundestagsliste, die wir im Dezember gewählt haben“, meint Frank Rinck, gewählter Kandidat für den Listenplatz 2, im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Der 34jährige Landwirt gilt als der strategische Kopf der Kestner-Gegner. Die Unterstellung, die Wahl im Dezember sei von außen beeinflußt worden, weist er zurück. Es seien eben viele Mitglieder mit der Arbeit des Landesvorstands und der Bilanz der nicht auf die Liste gewählten Abgeordneten unzufrieden gewesen. 

Zur Verhärtung der Fronten beigetragen hat zudem das Bekanntwerden eines klandestinen Treffens in Verden an der Aller im Februar, von dem später Audioaufnahmen an die Öffentlichkeit gelangten (JF 25/21). Jens Kestner warf seinen innerparteilichen Konkurrenten „Stasi-Methoden“ vor und verglich das Vorgehen mit der „Ibiza-Affäre“ der FPÖ, die Österreichs damaligen Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache zu Fall gebracht hatte. Der wegen seiner Teilnahme an dem Verden-Treffen ebenfalls in die Kritik geratene frühere Landesvorsitzende Armin-Paulus Hampel wies vergangene Woche noch einmal den Vorwurf, es sei um eine Wiederbelebung des aufgelösten „Flügels“ gegangen, zurück. Es habe sich lediglich um eine Veranstaltung zur „Motivation“ gehandelt. Der mehreren Medien zugänglich gemachte Mitschnitt des Treffens sei illegal erstellt worden und seine Verwendung und Verbreitung stehe unter Strafe, sagte Hampel. Er kündigte rechtliche Schritte, unter anderem gegen den NDR an. Die Journalisten hätten zudem gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen, da sie offenbar nicht geprüft hätten, ob der Mitschnitt nicht möglicherweise später manipuliert worden sei, monierte der Bundestagsabgeordnete. 

„Da nimmt er sich wieder mal wichtiger, als er ist“, kommentiert Bundestagskandidat Frank Rinck diese Vorwürfe. „Als würde sich ernsthaft ein Geheimdienst damit befassen, jemanden wie Herrn Hampel zu Fall zu bringen ...“ 

„Destruktiven Bestrebungen gemeinsam Einhalt gebieten“

Eine wesentliche Klippe genommen hat dagegen die in einem aufwendigen Briefwahl-Verfahren gewählte Landesliste der AfD in Baden-Württemberg. Dort wurde in mehreren aufeinander folgenden Wahlgängen die Spitzenkandidatin der Gesamtpartei, Alice Weidel, für den ersten Listenplatz gekürt. Ein Anfechtungsantrag, unter anderem ihres parteiinternen Widersachers Dirk Spaniel, wurde nach Verhandlungen vor dem zuständigen AfD-Schiedsgericht Nordrhein-Westfalen, zurückgezogen. 

Allerdings, so teilte der Vorstand vergangene Woche den Mitgliedern mit, habe der Landesfinanzrat „mit knapper Mehrheit kein weiteres Wahlkampfbudget“ bewilligt. „Damit stehen über die bereits bestellten Plakate hinaus für weitere Aktivitäten sowie für die Kreisverbände 0 Euro (in Worten: null Euro) zur Verfügung.“ Das sei ein „potentiell parteischädigender Beschluß“. Dahinter wittert der Landesvorstand eine Aktion seiner Gegner. In diesem Kontext empören sich Weidel und ihre Vorstandskollegen auch über ihre beiden Bundestagskollegen Dirk Spaniel und Thomas Seitz. Sie hatten „noch aus dem Gerichtssaal heraus bereitwillig“ dem Fernsehen Interviews gegeben, als Mitte Juni die AfD mit ihrer Klage gegen eine Strafzahlung aufgrund einer 2017 an den Kreisverband von Alice Weidel überwiesenen – später wieder zurückgezahlten – Spende aus der Schweiz gescheitert war. Die Partei muß demnach 396.000 Euro an den Bundestags bezahlen. Spaniel und Seitz hätten, so der Vorwurf im Rundschreiben, „Verständnis für das Urteil“ gezeigt und „die Spitzenkandidatin angriffen“. Solchen „destruktiven Bestrebungen“ müsse die Partei „gemeinsam Einhalt gebieten“.