© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Sterben für Timbuktu
Anschlag auf Patrouille in Mali: Mehrere verwundete Soldaten wecken erneut Zweifel am Sinn des Bundeswehreinsatzes in der Sahelzone
Peter Möller

Ausgerechnet Mali, ausgerechnet jetzt. Während alle Augen auf den sehnlich erwarteten Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan gerichtet sind, ereignete sich Tausende Kilometer vom Hindukusch entfernt ein folgenschwerer Anschlag auf eine Patrouille der Bundeswehr, der diesen fast vergessenen Auslandseinsatz schlagartig zurück ins Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit brachte.

Am Freitag vergangener Woche um 8.28 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit steuerte ein mutmaßlich islamistischer Selbstmordattentäter ein Fahrzeug in ein provisorisches Nachtlager einer deutschen Aufklärungskompanie und brachte eine Sprengladung zur Explosion. Zwölf deutsche Soldaten und ein Belgier wurden verletzt, drei von ihnen schwer. Es war der schwerste Anschlag auf die deutsche Afrika-Truppe, seitdem sie 2013 auf Bitten Frankreichs von der Bundesregierung ins westafrikanische Mali in den Kampf gegen den Terror geschickt wurde. Der verhängnisvolle Anschlag ereignete sich 180 Kilometer vom Feldlager der Bundeswehr in Gao entfernt. Deutschland beteiligt sich in Mali mit bis zu 600 Soldaten an der Ausbildungsmission EUTM der EU. Die angegriffenen deutschen Soldaten gehören allerdings zur UN-Mission Minusma, für die Berlin bis zu 1.100 Soldaten nach Westafrika geschickt hat.

Über den Hergang des Anschlags fließen die Informationen bislang eher spärlich. Fest steht, daß die Patrouille für die Nacht nach Wildwestmanier eine Wagenburg aus ihren rund zwei Dutzend Fahrzeugen gebildet hatte, als es zur Explosion kam. Unmittelbar nach dem Angriff begann die Evakuierung der Verwundeten. Mittlerweile befinden sich nach Angaben des Verteidigungsministeriums alle verwundeten Bundeswehrsoldaten in Deutschland in den Bundeswehrkrankenhäusern Koblenz und Ulm. Ihr Zustand sei stabil. 

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dementierte am Montag ausdrücklich Medienberichte, nach denen die Hubschrauber, mit denen die verletzten Soldaten vom Anschlagsort ausgeflogen worden sind, 50 Kilometer entfernt gelandet seien. „Die Hubschrauber sind in unmittelbarer Umgebung des Anschlagsortes gelandet“, sagte der Sprecher. „Die deutsche Rettungskette inklusive ziviler Anteile sowie die Unterstützung durch Partnernationen und die Vereinten Nationen hat sich bewährt.“ Hintergrund für die ungewöhnlich deutliche Klarstellung des Ministeriums ist die Tatsache, daß die Bundeswehr aufgrund ihres chronischen Mangels an einsatzfähigen Hubschraubern seit April für die Evakuierung in Notfällen auf Hubschrauber ziviler Dienstleister zurückgreifen muß. Ein Umstand, der bei der Opposition auf heftige Kritik stößt.

Doch seit dem Anschlag vom vergangenen Freitag ist diese Frage nur noch ein Randaspekt des deutschen Engagements in Mali. Nun steht der gesamte Einsatz in dem westafrikanischen Staat so stark in der Kritik wie noch nie. Bereits wenige Stunden nach dem Anschlag forderte der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Rüdiger Lucassen, die Bundesregierung auf, den Einsatz zu beenden, da weder ein außerordentliches nationales Interesse noch eine klare Strategie vorliege.

„Sahelzone nicht Terroristen und Kriminellen überlassen“

Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann verlangte unterdessen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zusätzliche Aufklärung: „Wie konnte es sein, daß ein Selbstmord-Attentäter so nah an unser Lager herankommen konnte? Hätte man es nicht besser aufklären können?“ fragte sie und lenkte den Blick auf die innerhalb der Großen Koalition umstrittene Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr: „Hätte eine Drohne die Situation klären, möglicherweise auch eingreifen können?“ Die Verteidigungsministerin lehnte es unterdessen ab, den Mali-Einsatz zum jetzigen Zeitpunkt grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Die deutsche Präsenz in Mali sei wichtig, sagte Kramp-Karrenbauer im Deutschlandfunk. Man müsse bei der Frage, ob der Einsatz nicht Sinn habe, immer auch die Gegenfrage beantworten: „Wenn wir aus Mali abziehen, sowohl in der Begleitung des Friedensprozesses als auch in den Ertüchtigungsmissionen, was dann überhaupt an Stabilität in der Region noch bleibt. Es kann nicht im europäischen, auch nicht im deutschen Interesse sein, daß wir in der Sahelzone eine Region haben, die komplett instabil wird und die komplett Terroristen und kriminellen Gruppen anheimfällt“, sagte die CDU-Politikerin. 

Doch spätestens seit im Mai, wenige Tage nach der Verlängerung des Mandates für den Auslandseinsatz durch den Bundestag, das Militär in Mali den bisherigen Übergangspräsidenten aus dem Amt geputscht hatte und die Situation in dem Staat dadurch noch unübersichtlicher geworden ist, steht der Einsatz dort ganz besonders im Fokus der Bundeswehrführung. Jeder weitere Zwischenfall läßt den Rückhalt im politischen Berlin für das ungeliebte deutsche Engagement in Mali weiter schwinden.