© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Das alles – und noch viel mehr
Grüne: Radikales Programm hinter moderaten Tönen / Teil 2
Hinrich Rohbohm

Als neue Grüne entspringt auch Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock altgrünen Wurzeln. Aufgewachsen ist sie auf einem Bauernhof in Schulenburg, einem Ortsteil in der 15.000 Einwohner zählenden niedersächsischen Kleinstadt Pattensen bei Hannover. „Naja, Bauernhof würde ich das jetzt nicht nennen, was das damals war“, erzählt ein Anwohner der JUNGEN FREIHEIT. „Das war vielmehr so eine Art Hippie-Kommune von AKW-Gegnern“, erinnert sich der Mann.

Schon als Kind nahm Baerbock gemeinsam mit ihren Eltern an Demos und Menschenketten gegen Kernkraft und Aufrüstung teil. Heute ist sie mit dem Lobbyisten Daniel Holefleisch verheiratet. Holefleisch war lange Zeit für die Unternehmenskontakte in der Grünen-Parteizentrale verantwortlich, ehe er als Lobbyist für die Deutsche Post tätig wurde. Ihr Ehemann gilt als wichtiger Berater Baerbocks, der ebenfalls allerlei altgrünen Stallgeruch mitbringt. Sein Vater Ulrich Holefleisch war langjähriger Bürgermeister in Göttingen, arbeitete eng mit dem Altlinken Jürgen Trittin zusammen.

Vater Ulrich Holefleisch zählt zu den Anti-AKW-Gegnern der ersten Stunde, initiierte den Verein Archiv deutsches Atomerbe, das die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung historisch aufbereitet. An seinem Wohnort in der Calsowstraße, einer vornehmen Göttinger Villengegend, setzte er sich 2011 dafür ein, daß die gesamte Straße „atomstromfrei“ wird. Noch heute stehen auf einem Nachbargrundstück zwei aus Gartentonnen gefertigte Anti-Atomfässer über dem Hauseingang. Daniel Holefleischs Bruder Felix war zudem zwölf Jahre lang Fraktionsgeschäftsführer bei den weit links stehenden Bremer Grünen.

Unterdessen soll das Wahlprogramm der Grünen für die kommende Bundestagswahl nach Aufbruch klingen und einen verheißungsvollen Neubeginn verkünden. Allzu ideologische Töne und abschreckende Forderungen nach Verboten, wie noch in den vergangenen Bundestagswahlkämpfen erfolgt, möchte man nun unter allen Umständen vermeiden. „Das Land, die Menschen und auch die Wirtschaft sind bereit für Veränderung. Bereit, die Dinge anders zu denken, anders zu machen, so daß am Ende alle profitieren.“ So kündigen die Grünen auf ihren Internetseiten das neue Wahlprogramm an. „Deutschland. Alles ist drin“, lautet die Überschrift dafür. Selbst Änderungsanträge, das Wort Deutschland zu streichen, werden abgeschmettert. Alles ist drin. Wirklich alles?

Von „klimagerechtem Wohlstand“ ist im Programm die Rede. Von „sozial-ökologischer Marktwirtschaft“, „Grüner Digitalisierung“ , „neuen Arbeitsplätzen mit guten Bedingungen“, von „Versorgungssicherheit“, „nachhaltiger Mobilität“, „moderner Verkehrsinfrastruktur“. Es fallen Schlagwörter wie „Flugverkehr zukunftsfähig ausrichten“. Und es sind Sätze zu lesen wie: „Wir fördern Unternehmer*innengeist, Wettbewerb und Ideen.“ Moderate Töne, durch die vor allem bürgerliche Wähler gewonnen werden sollen.

Doch während die Grünen in ihrem Wahlprogramm öffentlich neue, aber allgemein formulierte marktwirtschaftlichere Worte wählen, arbeiten grüne Denkfabriken gleichzeitig an Konzepten, hinter denen sich altbekannte Ideen der Abschaffung von Marktwirtschaft und Kapitalismus verbergen.

„Begrenzte Produktion“ ist dem „Globalen Norden“ vorbehalten

Eine dieser Denkfabriken ist das Konzeptwerk Neue Ökonomie, zu dessen maßgeblichen Auftraggebern die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung zählt. Das Konzeptwerk kann als weitere Schnittstelle bezeichnet werden, die den programmatischen Weg für ein grün-rot-rotes Regierungsbündnis vorbereitet. Seinen Sitz hat es in der Klingenstraße, inmitten einer Hochburg der für ihre Gewaltbereitschaft berüchtigten linksradikalen Szene Leipzigs.

Hier, nahe dem Brennpunkt-Stadtteil Connewitz gelegen, logiert das Netzwerk-Büro inmitten einer linksautonomen Infrastruktur. In unmittelbarer Nachbarschaft: ein sogenannter Wagenplatz, eine Siedlung aus alten Bauwagen. Die Sicht darauf ist durch einen hohen Bretterzaun versperrt. Die an den Holzlatten befestigten Plakate sprechen eine eindeutige Sprache: „Rigaer 94 verteidigen“ steht auf einem davon. Eine Anspielung auf die dortigen Hausbesetzer in der Grünen-Hochburg Berlin-Friedrichshain. Immer wieder war es in der Rigaer 94 zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und den Hausbesetzern aus der linksextremen Szene gekommen (JF 26/21).

Graffiti-Schmierereien mit „FCK AfD“ oder Antifa-Zeichen. Kampfaufrufe zum 1. Mai: „Organize Fight Nazis“ oder Plakate der aus dem Umfeld der Roten Hilfe entstandenen Initiative „unteilbar.org“. Auf dem Dach eines in der Nähe befindlichen Bahnhofsgebäudes steht in dicken Lettern „ACAB“, die Abkürzung für „All Cops Are Bastards.“ Es ist ein Milieu, das eigentlich wenig mit dem Umfeld einer Partei zu tun haben sollte, die doch bestrebt ist, in die politische Mitte zu rücken und sich als neue bürgerliche Kraft etablieren will. Was man dort so unter neuer Ökonomie versteht, findet sich beispielsweise in der Studie „Societal Transformation Scenario“ (STS) des Konzeptwerks wieder, die die Böll-Stiftung im Dezember vorigen Jahres erstmals veröffentlichte. Zu deutsch: „Szenario für einen Umbau der Gesellschaft.“ In dem Szenario wird Wirtschaftswachstum grundsätzlich in Frage gestellt und abgelehnt. Stattdessen setzen die Konzeptwerk-Autoren auf „Begrenzung von Produktion und Konsum in zentralen Sektoren mit hohen Emissionen im Globalen Norden“, wodurch man „ein gutes Leben für alle“ erreichen wolle. 

In der Studie wird auch verdeutlicht, wie dieses „gute Leben“ auszusehen hat: etwa durch „Halbierung der Anzahl großer Haushaltsgeräte pro Person“, eine „Verringerung der persönlichen Wohnfläche um 25 Prozent“ oder eine „Verringerung des Fleischkonsums“. Fliegen? Soll jedem Bürger demnach nur noch alle drei Jahre gestattet sein. Auto fahren in den Städten? Nur noch in Ausnahmefällen. Diese Einschränkungen sollen jedoch nur für die westlichen Industrieländer gelten. Ländern des „globalen Südens“ wie etwa China wolle man sogar „mehr Verschmutzungsrechte“ einräumen.

Gründerin des von der Böll-Stiftung beauftragten und auch von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützten Vereins ist die Linken-Bundestagskandidatin Nina Treu. Gegenüber der taz unterstrich die 37jährige im vergangenen Jahr, daß sie mit der Gründung des Konzeptwerks Neue Ökonomie die Überwindung des Kapitalismus bezwecke. „Wir wollen keine gewaltvolle Revolution, aber doch das kapitalistische System überwinden und Umverteilung“, betonte sie damals anläßlich des von ihr im vergangenen Jahr mitorganisierten Kongresses „Zukunft für alle“. Dessen Anhänger kommen zumeist aus der wachstumskritischen Bewegung, der sogenannten Degrowth-Szene. Vor allem kommen sie aus dem parteiübergreifenden Spektrum vom linken Flügel der SPD, den Grünen sowie der Linkspartei.

Ihr Kongreß, auf dem unter anderem auch die Enteignung von Wohnungen gefordert wurde, ist maßgeblich vom Konzeptwerk Neue Ökonomie inhaltlich vorbereitet und organisiert. Finanziert von der Heinrich-Böll-Stiftung, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung sowie durch Mittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Europäischen Union.

Auch die linksradikale Organisation Attac und die Bewegungsstiftung zählen zu den Unterstützern des Kongresses. Einer der Mitbegründer von Attac ist der lange Zeit von der Bewegungsstiftung finanziell unterstützte heutige Grünen-Spitzenpolitiker Sven Giegold. Der 51jährige gehört zudem zum Beraterkreis des ebenfalls von der Bewegungsstiftung finanzierten Vereins Campact. Sowohl Campact als auch Attac war die Gemeinnützigkeit aufgrund ihrer linksradikalen Ausrichtung entzogen worden. Im Falle einer grünen Regierungsbeteiligung nach der nächsten Wahl werden es neben Fridays for Future, Extinction Rebellion und Ende Gelände gerade jene Vorfeldorganisationen sein, die über das Ticket der Grünen in die Ministerien einziehen werden.