© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Rot-Weiß-Grün nicht bunt genug
Ungarns Anti-Pädophilie-Gesetz: Kritiker wittern einen Schlag gegen Homosexuelle
Zita Tipold

Erst lesen, dann reagieren. So lautet derzeit ein Tip des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán im Streit um ein neues Anti-Pädophilie-Gesetz in seinem Land. Die Regierung des ostmitteleuropäischen Staates und die EU scheinen keinen Konsens mehr zu finden, sogar wenn das Anliegen einem so unstrittig anmutet wie der Schutz von Kindern. 

Seit Mitte Juni tobt nun der Kampf zwischen den EU-Mitgliedsstaaten, die sich zur regenbogenfarbenen Vielfaltsideologie bekennen und Ungarns Regierung, der die Nationalfarben Rot-Weiß-Grün bunt genug sind. Anlaß für den Konflikt ist das ungarische Gesetz, welches ein härteres Vorgehen gegen Pädophilie vorsieht. Deutschland und 14 weitere Unionsmitglieder wittern hinter der Bestimmung jedoch nicht den Schutz von Minderjährigen, sondern vielmehr einen Schlag gegen Homo- und Transsexuelle. Einmal mehr steht nun der Vorwurf im Raum, das Land verstoße gegen EU-Werte. 

In einer gemeinsamen Erklärung fordern die 15 Mitgliedsstaaten, darunter Frankreich, die Niederlande und Belgien, ein hartes Vorgehen der EU gegen Ungarn. Österreich hatte sich zunächst nicht positioniert, sich der Forderung dann aber doch angeschlossen. Polen, Tschechien und sieben weitere Länder sprechen sich weiterhin gegen den Appell an die „Mutter der Verträge“ aus. Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, gegen das Kinderschutz-Gesetz vorzugehen. 

Das ungarische Parlament hatte die Bestimmung mit dem Titel „Gesetz über härtere Maßnahmen gegen pädophile Straftäter und zur Änderung bestimmter Gesetze zum Schutz von Kindern“ Mitte Juni beschlossen. Entgegen der Kritik, dieses richte sich speziell gegen sexuelle Minderheiten, zeichnet der Blick in den ungarischen Originaltext ein anderes Bild. Die von zwei Fidesz-Abgeordneten eingebrachte Regelung zielt maßgeblich auf zwei Punkte ab: ein härteres Vorgehen gegen pädophile Straftäter sowie den Schutz von Minderjährigen vor Frühsexualisierung. 

So verschärft es unter anderem die Strafen für die Herstellung, Verbreitung und für den Besitz von Kinderpornographie. Haftstrafen müssen künftig voll abgesessen werden. Dazu soll ein Register verurteilter Pädophiler eingerichtet werden, auf das Eltern und Erziehungsberechtigte per Antrag bei der entsprechenden Behörde zugreifen können. 

Gleichzeitig wurde das bereits bestehende Berufsverbot im Gesundheits- und Bildungswesen ausgeweitet. Pädophile dürfen künftig weder in Freibädern noch in Vergnügungsparks, Zoos oder Sportvereinen arbeiten und auch kein politisches Amt bekleiden.Besonders stößt Kritikern des Gesetzes eine Passage auf, die es verbietet, Minderjährigen Darstellungen von Pornographie, Homosexualität und Transsexuellen zu zeigen. Das betrifft auch Bücher und Filme, in denen Homosexualität und Geschlechtsumwandlungen Jugendlichen als Teil einer gesellschaftlichen Normalität präsentiert werden. 

Die sexuelle Aufklärung obliegt laut dem Gesetz einzig den Eltern. Das Recht des Kindes auf eine Identität entsprechend dem Geburtsgeschlecht sei für die körperliche, geistige und seelische Gesundheit zudem von besonderer Bedeutung. 

Macron: Gesetz legalisiert Homophobie

Das Gesetz, dem 157 der 199 ungarischen Abgeordneten zugestimmt haben, sei eine „Schande“, kritisierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gegenüber dem ZDF. Es diskriminiere Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und sei rechtlich bedenklich. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron brachte seine Empörung zum Ausdruck. Hinter der Bestimmung stehe eine „Legalisierung von Homophobie“. Zudem monieren Kritiker, Pädophilie und Homosexualität würden in dem Gesetz vermischt. 

Die Wut über das vermeintlich homosexuellenfeindliche Gesetz entlud sich zunächst Ende Juni mit voller Wucht beim EM-Länderspiel Deutschland gegen Ungarn in München, das von seiten Deutschlands ganz in den Farben des Regenbogens stand. Zahlreiche Politiker, darunter Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderten, das Stadion bunt zu beleuchten, um „ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz“ zu setzen. Der Fußballverband Uefa lehnte eine Politisierung der sportlichen Veranstaltung aber ab. Das hielt einen jungen Mann im Deutschlandtrikot jedoch nicht davon ab, beim Anstimmen der ungarischen Nationalhymne mit einer Regenbogenflagge auf das Feld zu stürmen und sich von deutschen Fußballfans anschließend als Held feiern zu lassen. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán betont jedoch, daß sich das Gesetz nicht gegen Homosexuelle richte. Die Regelung betreffe volljährige Menschen gar nicht, sondern stelle sicher, daß es den Eltern obliege, ihre Kinder in sexuellen Fragen aufzuklären.

 Zudem entspricht die ungarische Bestimmung in Teilen auch der deutschen Regelung, wie eine Altersfreigabe von pornographischen Inhalten ab 18 Jahren. Die Grundprinzipien des Gesetzes sind in der EU-Grundrechtecharta verankert. So heißt es in Artikel 14, Absatz 3: „Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze sowie das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung regeln.“ 

Anfang vergangener Woche stellte sich Orbán noch einmal ausdrücklich hinter das Anti-Pädophilie-Gesetz. Im Streit um die Bestimmung gebe es einen grundsätzlichen Bruch zwischen den Überzeugungen liberaler und nicht-liberaler Demokratien. „Nach Ansicht der nicht-liberalen Demokraten ist die sexuelle Erziehung des Kindes das Recht der Eltern, und hierbei dürfen ohne ihre Zustimmung weder der Staat noch die Parteien sowie auch die Nichtregierungsorganisationen und Regenbogenaktivisten eine Rolle spielen“, führte der Fidesz-Politiker auf seiner Internetseite aus. Liberale seien hingegen der Meinung, staatlichen Institutionen käme sogar ein Vorrang bei Erziehung von Kindern zu.

Er vertrete die Überzeugung, „daß über die Erziehung der deutschen Kinder die Deutschen entscheiden müssen. Und, daß über die Erziehung der ungarischen Kinder nur die Ungarn entscheiden dürfen, mit Sicherheit nicht die Deutschen, die Niederländer oder die Belgier.“ 





Auszüge aus dem Anti-Pädophilie-Gesetz

„Zur Verwirklichung der Ziele dieses Gesetzes und zur Durchsetzung der Rechte des Kindes ist es untersagt, Personen, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht erreicht haben, Inhalte zugänglich zu machen, die pornographisch sind, grundlose sexuelle Darstellungen enthalten oder eine Abweichung von der angeborenen Geschlechtsidentität, Geschlechtsumwandlungen oder Homosexualität propagieren oder darstellen.“


„Der Staat schützt die Familie und die Institution der Ehe, einschließlich der ihr innewohnenden Würde und des ihr innewohnenden Wertes, unter besonderer Berücksichtigung der Eltern-Kind-Beziehung, in der die Mutter eine Frau und der Vater ein Mann ist, die die Grundlage der familiären Beziehung bildet.“ 


„Mediale Programme sind in die Kategorie V einzustufen, wenn sie dazu geeignet sind, die körperliche, geistige oder seelische Entwicklung von Minderjährigen negativ zu beeinflussen. (...) Entsprechende Inhalte sind als ‘nicht angemessen für ein Publikum unter 18 Jahren’ einzustufen.“

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