© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Dorn im Auge
Christian Dorn

Ecce homo, oder: Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Vor der Gethsemanekirche kommt mir der, um einen Buchstaben veränderte, frühe Beatles-Klassiker in den Sinn: „A Ticket to Pride“ – verheißt dieser gleißende frühe Sonnabend doch den Auftakt zum „Pride Month Berlin“, durch den auch die Identitätspolitik voranschreitet. Schließlich, so die queere Tagesspiegel-Propaganda, feiere sich beim neuen „CSD Pride Berlin“ die Vielfalt in der Vielfalt. Es gilt wohl die Parole: „Sie hatten sich erkannt / Sie kink, Er deviant.“ Entsprechend demonstriert zunächst jede Gruppe für sich, so auch die putzigen Petplay-Protagonisten aus Kreuzberg mit Hundemasken und Geschirr, die unter dem Motto „Queerschutz Now“ Auslauf haben. Währenddessen predigt der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein, in der Gethsemanekirche: „Homophobie ist Sünde.“ Der Gottesdienst steht unter der Losung „East Pride“, sind hier doch vor allem Aktivisten aus Osteuropa zu Gast, etwa ein ebenso blasses wie zierzliches, ganz in schwarz gewandetes weibliches Geschöpf, das mit dem mickrigen Flügelpaar auf dem Rücken wie ein verlorener „Fallen Angel“ erscheint – direkt aus Stettin angereist, das noch keine „LGBT-freie Zone“ ist. Später, beim Demonstrationszug, frage ich die begleitenden Beamten vom „Kommunikationsteam Polizei“, ob noch dieselben Hygiene-Auflagen gälten wie im letzten Sommer. Nachdem der Polizist bejaht und ich meine Irritation äußere, weil hier fehlende Mindestabstände nicht moniert werden, erklärt er unumwunden: „Ja, das ist politische Willkür.“ 


Ebenso willkürlich erscheint abends die Auskunft des orientalischen Mitarbeiters im Spätkauf, hinter dessen Tresen die Fußball-Übertragung läuft. Auf meine Frage, wer denn spiele, antwortet er trocken: „Afghanistan gegen Kabul“, um auf mein verdutztes Lachen zu erwidern: „Nein, Niederlande gegen Holland.“ Ähnlichen Spaß – auf musikalischer Ebene – versprechen die Orgelkonzerte zu den Fußball-EM-Finalspielen von Stephan Graf von Bothmer in der „Zwölf-Apostel-Kirche“ in Berlin mit Bier und Würstchen bei freiem Eintritt (www.stummfilmkonzerte.de). Es sind die letzten Auftritte Bothmers, bevor er ab Mitte Juli im Kastaniengarten des Bonner Rheinhotels Dreesens Stummfilmklassiker vertonen wird, beginnend am 14. Juli mit „The Adventurer“ und „The Rink“ von Charlie Chaplin, der einst in diesem Hotel zu Gast war.


Ganz anders dagegen die elekronische „Hausmusik“ und multimediale Performance der AG Geige, einer in der späten DDR legendären Underground-Formation. Unter dem Motto „Nichts können, alles machen: Die Avantgarde der Autodidakten“ im Hof der Galerie Barthel + Tetzner, der Institution für die Nonkorme Kunst in der DDR, berichtet das Geige-Mitglied Jan Kummer vom Kummer der seinerzeit fehlenden Musik-Einstufung durch die staatlichen Kommissionen. Schließlich fand eine Galeristin den Ausweg zur offiziellen Anerkennung als „Volkskunstkollektiv der ausgezeichneten Qualität“, wie etwa im Video von „Zeychen & Wunder“.