© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Von Privilegien und Proleten
Großbritannien erlebt den nächsten Rassismus-Streit: Diesmal geht es um benachteiligte weiße Kinder und Jugendliche
Julian Schneider

Vor anderthalb Jahren wollte Sir Bryan Thwaites etwas Gutes tun: Eine Million Pfund für Stipendien für „unterprivilegierte weiße Schüler“, Kinder der Unterschicht, versprach der emeritierte Mathematikprofessor. Sir Bryan, 96 Jahre alt, orientierte sich an Statistiken, nach denen die Kinder der weißen Arbeiterklasse mittlerweile die schlechtesten Schulresultate aller Gruppen der multikulturellen britischen Gesellschaft erzielen. Doch zwei führende Privatschulen lehnten die Millionenerbschaft ab – aus Angst, das Stipendienprogramm könne Antidiskriminierungsgesetze verletzen. Zur gleichen Zeit aber feierte die Universität Cambridge eine Millionen-Spende des schwarzen Rappers Stormzy, der damit Stipendien für Schwarze bezahlt.

Stipendien für Schwarze sind gut, Stipendien für Weiße verboten? Mit Ach und Krach fand Sir Bryan nach längerer Suche eine öffentliche Schule, die seine Spende für weiße Arbeiterkinder doch noch akzeptierte. Die Episode zeigt die schiefen Maßstäbe der Gleichheitsdebatte. Eine gezielte Förderung und Bevorzugung von Schwarzen und anderer eingewanderter ethnischer Minderheiten ist gewünscht, das Zurückfallen der ehemaligen weißen Arbeiterschaft wird achselzuckend hingenommen. Wie ein Hohn wirkt da das Gerede über „White Privilege“, das besonders seit der „Black Lives Matter“-Bewegung den Diskurs bestimmt. „Weißsein“ versuchen linke Sozialwissenschaftler als quasi erbliche Schmach darzustellen.

Der Aufschrei aus der linken Ecke war absehbar

Seit voriger Woche hat sich die Debatte etwas gedreht. Der Bildungsausschuß des Unterhauses hat mit seiner konservativen Mehrheit einen Report verabschiedet, der sich kritisch mit dem „White Privilege“-Diskurs auseinandersetzt und ihm die Realität entgegenhält. Die Realität ist, daß von allen armen Kindern (die auf die kostenlose Schulspeisung angewiesen sind) die Weißen die geringsten Bildungschancen haben. Die ärmeren Weißen „fallen auf jeder Stufe des Weges zurück“, heißt es in dem Bericht. Nur 16 Prozent der Schüler aus armen weißen Familien schaffen es an die Universität, dagegen 32 Prozent der Schüler aus karibischen Einwandererfamilien und 59 Prozent der bangladeschischen und der schwarzafrikanischen Einwandererkinder. Die fleißigen Inder und Ostasiaten sind oft diejenigen mit den besten Bildungsresultaten.

Der Ausschußvorsitzende Robert Halfon (52) nannte es eine „große soziale Ungerechtigkeit“, daß so wenig getan worden sei, um etwas gegen diese soziale Kluft zu unternehmen. Stattdessen sei das Sozialarbeiter- und Bildungsestablishment über vermeintliche „weiße Privilegien“ besorgt. „Ein Privileg ist das genaue Gegenteil dessen, was diese benachteiligten weißen Kinder erleben“, sagt der Tory-Politiker Halfon. Eine ganze „Industrie“ habe sich gebildet, um benachteiligte nichtweiße Kinder zu unterstützen und zu fördern, während weiße Kinder keine derartige Hilfe der Gesellschaft erhielten. Es geht laut dem Bericht um etwa eine Million weiße Kinder aus sozial schwachen Schichten.

Natürlich war der folgende Aufschrei aus der linken Ecke absehbar. Die Labour-Abgeordnete Kim Johnson, die zuvor in Liverpool als „Diversity-Managerin“ für die schwarze Gemeinde gearbeitet hatte, hielt Halfon vor, er wolle den Kulturkrieg neu entfachen. Aktivisten und Organisationen wie der Thinktank „Race“ kritisierte, die Konservativen spielten mit der „rassistischen Hundepfeife“ und wollten die Gesellschaft spalten.

In dem Report werden verschiedene – meist schon länger wirkende – Faktoren genannt, die für das oft miserable Schulabschneiden junger weißer Arbeiter- und Arbeitslosenkinder verantwortlich sind. Bildungsferne Eltern, generationenübergreifende Schulabbrüche, zu wenig Investitionen in ehemaligen Arbeiter- und Industrieregionen. Gerade der letzte Punkt ist auch die Schuld der seit elf Jahren regierenden Konservativen und ihres langen Sparkurses. Die Lehrerin und Journalistin Kristina Murkett hält den Tories in der Wochenzeitschrift Spectator vor, daß sie Schulbibliotheken und Förderprogramme geschlossen haben. Wenn der Bericht dazu führt, daß sich daran etwas ändert, wäre viel gewonnen.