© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Folterbank eines doppelten Schmerzes
Frida-Kahlo-Syndrom: Die Romanbiographie „Das Leben ist ein Fest“ nähert sich der mexikanischen Malerin
Ludwig Witzani

Unter den zahlreichen Ikonen des Feminismus gibt es kaum eine Frau, die es mit Frida Kahlo aufnehmen kann. Wie eine Kunstfigur bündelte die mexikanische Malerin Frida Kahlo in ihrem spektakulären Leben die Merkmale postmoderner Diversität. Sie war eine sinnliche Frau (auch wenn sie sich gelegentlich wie ein Mann kleidete) und nach einem Verkehrsunfall lebenslang von chronischen Schmerzen gequält. Sie folgte einer teils anarchistischen, teils marxistischen Weltanschauung, war bisexuell mit einem Schuß Genderfluidität und extrovertiert bis an die Grenzen der Manie. Ihre Großeltern väterlicherseits stammten aus Pforzheim, ihr Vater wanderte 1890 nach Mexiko aus, wo er sich als Fotograf niederließ. Sie selbst liebte es, sich als Jüdin auszugeben, um sich gegen den Antisemitismus zu positionieren. Sie schlief mit Trotzki und bewunderte Stalin und bezeichnete den Surrealisten André Breton als einen „elenden Schwätzer“. 

Obwohl sie eine durchaus eigenständige Malerin war, wurde sie zunächst nur als Ehefrau und Muse des mexikanischen Malers Diego Rivera wahrgenommen, einem maskulinen Energiebündel sondergleichen, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Schöpfer des mexikanischen Muralismo weltweite Anerkennung fand. Ihn hat sie ihr Leben lang bis zur Besinnungslosigkeit geliebt und damit ein exemplarisches Paradoxon vorgelebt, das innerhalb der Frauenbewegung immer schon irritierte: die selbstverleugnende, hingebungsvolle, fast unterwürfige Liebe besonders emanzipierter und selbstbewußter Frauen zu Womanizern und Egomanen, die man mentalitätsgeschichtlich eher in die Steinzeit als in der Moderne einordnen würde.    

Die Schriftstellerin Claire Berest hat versucht, dieses bemerkenswerte Leben in einem Roman darzustellen. Sie erzählt Frida Kahlos Lebensgeschichte aus der Perspektive der Protagonistin in einer bilderreichen Sprache, der es mühelos gelingt, zwischen intimen Reflexionen und kulturgeschichtlichen Panoramaperspektiven eine Brücke zu schlagen. Der Roman beginnt im Elternhaus der Familie Kahlo – Frida wird 1907 in Mexiko-Stadt geboren – und führt den Leser über die Ehe des jungen Mädchens mit dem bereits reifen und berühmten Rivera, über Fehlgeburten, Verrat und politische Kontroversen bis in die europäisch-amerikanische High-Society, in der das Künstlerpaar Kahlo-Rivera eine Zeitlang wie Pfingstochsen herumgereicht wurde. Eine „chronique scandaleuse“ ihrer wilden Pariser Zeit, in der sie Picasso, Breton, Duchamp und andere tonangebende Künstler traf, ergänzt das anschaulich entfaltete Lebensbild. Leser, die sich für lateinamerikanisch-europäische Kulturgeschichte interessieren, werden in diesem Buch auf ihre Kosten kommen. 

Leo Trotzki röchelte bei ihr gleich in drei Sprachen

Im Mittelpunkt des Romans aber steht vom Anfang bis zum Ende Fridas Liebe zu Diego Rivera. „Ich male für dich, damit du dir anschaust,  was in meinem Kopf ist“, läßt die Autorin Frida  Kahlo sagen, „ich weine für dich, Diego. Auf meinen Bildern erstarrte Tränen, damit du mein Herz beobachten kannst. (…) Du bist mein Kind, mein Feuer, mein Lausbub, meine Seele, ich fürchte, daß du dich nicht wäschst, wenn ich nicht da bin und niemand dir den Rücken schrubbt.“ Eine Facette der Liebe wird sichtbar, die gegen ihre eigene Widerlegung immun ist. Aber der Geliebte läßt sich von solchen Worten nur kurzfristig beeindrucken.

Diego Rivera durchpflügt die Frauenwelt wie eine Naturgewalt und schreckt selbst vor Fridas Schwester nicht zurück. Liest man die Kapitel des vorliegenden Buches, weiß man nicht recht, worunter Frida Kahlo mehr litt: unter den chronischen Schmerzen ihres Körpers oder der seelischen Qual, die ihr die Untreue des Gatten bereitete. Vor der Folterbank dieses doppelten Schmerzes flieht die Künstlerin in die Malerei und erschafft ein Werk, das die Zeitgenossen durch seine Fremdheit und Exzentrizität verstört. Es gehört zu den Vorzügen des vorliegenden Romans, diese Zusammenhänge unaufdringlich, aber prägnant zu verdeutlichen. 

Trägt die Kunst wenigstens zeitweise zur Bewältigung von Fridas unglücklicher Liebe bei, so entpuppt sich die Libertinage, der sich die Malerin als Revanche für die Amouren ihres Mannes hingibt, als eine Sackgasse. So viele Liebhaber kommen und gehen, doch sie alle entdecken, so heißt es an einer Stelle des Romans, immer nur Diego Rivera, wenn sie in Frida eindringen. Nur selten wird eine Prise Ironie sichtbar, wenn Frida anmerkt, daß der gebildete Trotzki beim Geschlechtsverkehr mit Frida gleich in drei Sprachen röchelte. 

Schließlich läßt sich Diego Rivera von Frida Kahlo scheiden, aber nur, um kurz darauf seine Muse erneut zu heiraten. Das Hamsterrad der unglücklichen Liebe dreht sich weiter und generiert immer neue Werke und Affären. Über dieses kräftezehrende Leben geht die Gesundheit Frida Kahlos endgültig zugrunde. „Ich bin nicht krank, ich bin gebrochen!“, läßt Berest die Malerin sagen. „Mir tut ständig alles weh, ich weiß gar nicht mehr, wie es ist, wenn einem nichts wehtut, weder der Rücken, weder die Hände, noch die Beine, noch der Bauch. Ich habe keine Füße, ich habe Hufe, man hat Medizin weggenommen.“

Im Alter von nur 47 Jahren verstirbt Frida Kahlo im Sommer 1954 als körperliches und seelisches Wrack an einer Lungenembolie, aufwendig beweint von Diego Rivera, der nichts dagegen hat, daß sich die Geschichte von Fridas Liebe zu ihm weltweit verbreitet.

Am Ende der Lektüre legt der Leser das Buch gut belehrt und gut unterhalten aus der Hand, auch wenn eine entscheidende Frage offenbleibt: Was veranlaßte diese willensstarke und begabte Frau, sich mit einem noch stärkeren Mann zu messen und sich ihm, wann immer es ernst wurde, bedingungslos zu unterwerfen? Diese unzeitgemäße Konstellation ist übrigens weit häufiger als es den Anschein hat. Camille Claudel, Bildhauerin und Muse von Rodin, die Präsidentengattin Hillary Clinton und Anne Sinclair, die Ehefrau des damaligen Politikers und nachmaligen IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn, lassen grüßen. Man könnte geradezu von einem „Frida-Kahlo-Syndrom“ als einem weißen Flecken auf der Landkarte des Feminismus sprechen. Die Frage nach den Ursprüngen dieses Syndroms bleibt in dem vorliegenden Roman unbeantwortet. So einfach wie Friedrich Schiller („Das zweitschönste ist’s für die Frau zu herrschen, das schönste ist’s beherrscht zu werden“) macht es sich die Autorin nicht. Stattdessen lotet sie mit kongenialer Einfühlungsgabe, präziser Werkkenntnis und beachtlicher Sprachkraft die seelischen Untiefen und die Eskapaden einer gequälten Frau aus, die ihr Leid in Kunst verwandelte. 

Claire Berest: Das Leben ist ein Fest. Ein Frida-Kahlo-Roman. Insel Verlag, Berlin 2021, gebunden, 221 Seiten, 22 Euro

Fotos: Frida Kahlo, Selbstporträt mit Affe und Papagei, Öl auf Hartfaser, 1942: Ihr Werk verstörte Zeitgenossen durch seine Fremdheit und Exzentrizität; Diego Rivera und seine Frau Frida Kahlo in einem Apartment im Barbizon Plaza Hotel in New York (1933): „Ich male für dich, damit du dir anschaust,  was in meinem Kopf ist“