© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Reförmchen in Sicht
Politik und Anstalten ringen um den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Ronald Berthold

Werden einige der 21 von ARD und ZDF betriebenen Fernsehsender aus dem Programm verschwinden? Laut eines peu à peu durchsickernden Entwurfs für den neuen Medienstaatsvertrag wollen die Bundesländer Spartenkanäle wie ZDFneo, ZDFinfo, Tagesschau24, One und ARD-Alpha nicht mehr beauftragen. Das heißt: Die Anstalten können selbst entscheiden, ob sie sie weiterbetreiben oder ins Internet überführen.

Vom Staat ausdrücklich gewollt bleiben die Hauptprogramme von ARD und ZDF, die Dritten sowie 3Sat und Arte. Das Schicksal von Phoenix und das des Kinderkanals sind noch offen. Das hieße, das öffentlich-rechtliche TV-Angebot könnte sich auf 15 bis 17 Programme verschlanken. Erreichen wollen die Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder damit mehr Flexibilität.

Kosten müssen nicht gesenkt werden, sie sollen aber auch nicht weiter ausufern. Die Zahl aller öffentlich-rechtlichen Internet-Programme darf weder die Zahl der linear verbreiteten Fernsehsender übersteigen, noch soll ein „Mehrbedarf“ an Beitragsmitteln entstehen. Der „große Wurf“, von dem der Chef der Sächsischen Staatskanzlei, Oliver Schenk, spricht, ist das nicht. Wenn es eine Reform sein soll, dann höchstens ein Reförmchen.

ARD und ZDF legen Mediatheken zusammen

Der frühere NDR-Intendant Jobst Plog, die ehemalige Fernsehen-Chefredakteurin des HR, Lukrezia Jochimsen, und der Vorsitzende der Historischen Kommission der ARD, Heinz Glässgen, werfen gleichzeitig ARD und ZDF in der FAZ vor, daß sie „derzeit keine erkennbare, schon gar nicht gemeinsame Strategie für die anstehenden Auseinandersetzungen“ hätten. Die Sender hätten „die Zukunftsdebatte nicht wirklich akzeptiert“ und „verteidigten den Istzustand“. 

Dennoch jubelt ZDF-Intendant Thomas Bellut aktuell sogar über eine „kleine Revolution“. Mit der Zusammenführung der Mediatheken, die ARD und ZDF vergangene Woche begonnen haben, werde „das Best of des öffentlich-rechtlichen Systems“ geboten. Dies geht ebenfalls auf einen Wunsch der Bundesländer zurück. Die Sender sollen mit der schieren Größe des fusionierten Digital-Angebotes und dem Prinzip „Alles aus einer Hand“ konkurrenzfähiger gegenüber Anbietern wie Netflix oder Amazon Prime werden. Die mit der Novelle eigentlich beabsichtigte Fokussierung auf eine deutliche Unterscheidung von privaten Angeboten ist damit hinfällig. Dies jedoch als einen ersten Schritt zu einer Fusion der beiden Anstalten zu interpretieren, wie es einige Journalisten getan haben, geht zu weit. Davon spricht kein einziger Ministerpräsident, und davon findet sich auch kein Wort im Entwurf des neuen Medienstaatsvertrages. Bellut freut sich, daß die Anstalten trotz des Content-Netzwerkes ihre „Identität“ wahrten.

Die Forderung, die Sender nun gänzlich zusammenzuführen, verschwindet dennoch nicht. Die Welt hat sie anläßlich der gemeinsamen Mediathek von ARD und ZDF erhoben. Das Ansinnen folgt der Logik, da sich die Fernsehnutzung ohnehin ins Internet verschiebe und „beide Anstalten mehr als intensiv kooperieren, warum dann überhaupt noch getrennte Anstalten, Verwaltungen, IT-Abteilungen?“ Es ist richtig, daß dann „Doppel- und Mehrfachstrukturen“ erst recht keinen Sinn mehr ergeben. Druck kommt auch von der FDP, die im Mai beschlossen hat, mit der Forderung nach einer Beschneidung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. 

Aber die Problematik geht tiefer und betrifft schon jetzt das lineare Fernsehen: Warum müssen „Tagesschau“ und „heute“ nebeneinander existieren, wo sie sich doch in der Nachrichtenauswahl und der tendenziösen Berichterstattung kaum voneinander unterscheiden? Warum bedarf es einer ARD-„Sportschau“ und einer ZDF-„Sportreportage“? Was unterscheidet den ARD-„Weltspiegel“ vom ZDF-„Auslandsjournal“? Die Quizshows und die Vorabendserien sind ebenfalls austauschbar.

Wenn die Ministerpräsidenten und deren Staatskanzleichefs es ehrlich gemeint hätten mit einer Reform des Auftrags, hätten sie mutiger sein müssen. Denn an dem riesigen Kostenapparat, den die Beitragszahler stemmen müssen, wird sich nichts ändern. Das ist auch nicht beabsichtigt: „Wer den Auftrag verändern will, um Geld zu sparen, ist auf dem Holzweg“, meint Hamburgs Mediensenator Carsten Brosda (SPD). Klar ist für ihn: Was beauftragt sei, müsse auch bezahlt werden.

Nur festzulegen, daß die neuen digitalen Angebote nicht teurer werden dürfen als die bisherigen Kanäle, reicht nicht aus – zumal hier nicht einmal klar ist, ob die Streamingkosten dabei berücksichtigt werden oder nicht. Im Zweifel wird es eben doch kostspieliger. 

Gleichzeitig tobt ein Streit um die Verteilung der Gelder. Die medienpolitischen Sprecher der ostdeutschen Landtagsfraktionen der Linkspartei fordern einen neuen ARD-Finanzausgleich Ost. Zusätzlich zu den bisherigen Mitteln sollen MDR, NDR und RBB ein Prozent der Beitragseinnahmen erhalten.

An die 74 Radiowellen, die die ARD betreibt, hat sich die Politik gar nicht herangewagt. Auch um die Gebührenfrage hat sie sich gedrückt. Erst ab 2023 wollen die Länder eine Reform des Verfahrens zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags angehen. Dann könnte wohl das Indexierungs-Modell auf der Tagesordnung stehen. Das heißt: Die Gebühren werden automatisch alle zwei bis vier Jahre zum Beispiel der Inflationsrate angeglichen.

Bequemer Nebeneffekt: Eine politische Diskussion um Erhöhungen oder gar eine parlamentarische Entscheidung darüber, wieviel jeder Deutsche zu bezahlen hat, wären vom Tisch. Die Beitragserhöhungen wären dem demokratischen Prozeß entzogen. Auch die Einstimmigkeit, mit der die Länder einem Aufschlag zustimmen müssen, gäbe es nicht mehr. Szenarien, wie sie sich in Sachsen-Anhalt abgespielt haben, als das Land keine Zustimmung erteilte, wären ausgeschlossen.

Der Gebührenfrage ausgewichen

Die Indexierung hat sich bereits bei den Diäten der Abgeordneten bewährt. Die Erhöhungen haben ihre politische Brisanz verloren. Im Entwurf steht nun, daß eine „größtmögliche Beitragsstabilität und Beitragsakzeptanz“ gesichert werden solle. Allerdings scheint dies eine reine Formel zu sein.

Denn in Zukunft wollen die Politiker den Sendern ermöglichen, „projektbezogene Rücklagen“ zu bilden. Das würde bedeuten, daß diese aus den Gebühren erzielten Überschüsse nicht mehr mitzählen, wenn die Sender ihren Bedarf anmelden. Das Guthaben würde nicht mehr wie bisher abgezogen. Die Anstalten könnten mehr Geld fordern, obwohl sie auf einem dicken Festgeldkonto sitzen, ohne daß dies bei der Beitragsberechnung berücksichtigt wird. Der Maßlosigkeit öffnet dies Tür und Tor.

Auch die Dominanz, mit der die vom Staat beauftragten Sender inzwischen das Internet beherrschen und damit privatfinanzierte Medien an den Rand drängen, bleibt bestehen. Die Öffentlich-Rechtlichen dürfen auch weiterhin Kanäle wie Youtube oder Facebook zur Verbreitung nutzen, „soweit dies zur Erreichung der Zielgruppe aus journalistisch-redaktionellen Gründen geboten ist“. Auf deutsch: also immer. Neu in den Auftrag an die Sender formuliert wird wohl, daß sich der öffentlich-rechtliche Journalismus der Wahrhaftigkeit und der Sachlichkeit verpflichten soll. Inwiefern das an der einseitigen Ausrichtung der Sender etwas ändert, bleibt fraglich. Denn auch der jetzt gültige Rundfunkstaatsvertrag verlangt von ARD, ZDF und Deutschlandradio, Ausgewogenheit zu berücksichtigen. Das Ergebnis ist bekannt.

Im Oktober will die Ministerpräsidentenkonferenz den neuen Staatsvertrag beschließen. Anschließend müssen ihm alle Parlamente der Länder zustimmen. Ab 1. Januar 2023 soll er in Kraft treten.