© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Ein Stachel im Fleisch
Eine Festschrift erzählt die Geschichte der Berliner „Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus“
Jörg Kürschner

Kaum vorstellbar, aber seit Dezember 1990 erfreuliche Realität mitten in der deutschen Hauptstadt: die Existenz der „Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus“. Zu verdanken ist diese der Gründerin Ursula Popiolek, einer in der DDR aufgewachsenen Slawistin, die beim Mauerfall die Idee hatte, die in der zweiten deutschen Diktatur verbotenen Bücher aufzubewahren. Endlich Reiner Kunze, Erich Loest, Robert Havemann oder Rudolf Bahro lesen… Die rührige Frau hat jetzt die Geschichte dieser kleinen, familiär anmutenden Begegnungsstätte in einer reich bebilderten Dokumentation nachgezeichnet. 

Mehr als einmal stand die Fortdauer der Bibliothek auf der Kippe, erbitterter Streit zwischen den Initiatoren, meist ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern, über die programmatische Ausrichtung der Bibliothek, finanzielle Risiken aufgrund unerwartet gestrichener Fördermittel, Anschläge auf die Familie der Autorin und auf das Bibliotheksgebäude – dreißig Jahre Gedenkbibliothek gestalteten sich wie eine Achterbahn, auf der auch so mancher Gründer und Unterstützer aus der Kurve geflogen ist. 

Vielen Medien war Ehrung von Kommunismusopfern zuwider

Dazu mag manche Ungeschicklichkeit und vor allem Unerfahrenheit beigetragen haben, stammten doch die Initiatoren dieser Spezialbibliothek aus der DDR, schlitterten also – Stichwort Zuschüsse – blauäugig in die komplizierten Mechanismen der Sozialen Marktwirtschaft. Schwieriger noch gestaltete sich das Verhältnis zu den Medien, denen eine Einrichtung „zu Ehren der Opfer des Kommunismus“ mehrheitlich politisch zuwider war. Berichtet wurde über die rund 400 Veranstaltungen der Bibliothek eher selten, trotz prominenter Gäste wie dem aus der DDR herausgezwungenen Schriftsteller Reiner Kunze, dem Wissenschaftler Konrad Löw, dem Fluchthelfer Wolfgang Welsch, dem Historiker Wolfgang Leonhard, dem Schriftsteller Ulrich Schacht und vielen anderen Persönlichkeiten. Auf die umfangreiche illustre Gästeliste, abgedruckt in der Dokumentation, ist Popiolek zu Recht stolz, denn die „Mutter der Gedenkbibliothek“ knüpfte unverdrossen Kontakte zu den Chefetagen in Politik, Wirtschaft und Feuilletons. Nicht zu vergessen die zahlreichen Aufarbeitungsinitiativen und Verbände von ehemaligen DDR-Häftlingen, die in der Gedenkbibliothek jederzeit als Zeitzeugen ein gastfreundliches Forum fanden, für den persönlichen Austausch oder anläßlich von Buchvorstellungen.   

Die Vorbehalte gegenüber der Bibliothek wurden schon bald nach der Gründung genährt durch die Causa Margot Pietzner. Die frühere KZ-Aufseherin war in der Sowjetunion zunächst zum Tode verurteilt und dann zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Berichten zufolge saß sie bis 1955 in sowjetischen und DDR-Gefängnissen ein. Nach ihrer Entlassung lebte sie in ihrer Heimatstadt Wittenberg und beantragte nach dem Fall der Mauer Haftentschädigung. Tatsächlich erhielt sie knapp 65.000 Mark zugesprochen, die ihr später wieder aberkannt worden sind. Popiolek wie auch dem seinerzeit in der Bibliothek beschäftigten Schriftsteller Siegmar Faust wurde Mitte der 1990er Jahre vorgeworfen, Pietzner bei dem Entschädigungsverfahren geholfen zu haben. Überdies war sie im August 1991 von der Bibliothek als offizielle Referentin eingeladen worden, um aus ihrem unveröffentlichten Buchmanuskript „Licht in der Finsternis“ zu lesen. Es kam zu mehreren Gerichtsverfahren, es stand Aussage gegen Aussage. Geschadet habe der Streit der Spezialbibliothek intern durch den spektakulären Auszug zahlreicher Bürgerrechtler sowie aufgrund einer unfairen Berichterstattung, wie Popiolek resümiert. Sie beklagt eine „Rufmordkampagne“; gegenüber der Bürgerrechts-Ikone Bärbel Bohley empfindet sie nur noch „gnadenlose Unversöhnlichkeit“.

Leider erleichtern die zerstrittenen Opferverbände bis in die Gegenwart das Geschäft ihrer politischen Widersacher und der Mainstream-Medien. Wie nicht anders zu erwarten war, wurde die „Faschismus-Keule“ auch gegenüber der Gedenkbibliothek eingesetzt; frühere Unterstützer gingen auf Abstand. „Keine Presse ist die beste Presse“, fällt Popioleks Fazit ernüchtert aus. 

Doch kann man sich gegen Diffamierungen wehren. Gelungen ist dies dem renommierten Rechts- und Politikwissenschaftler Konrad Löw, der das Nachwort für das Buch verfaßt hat. Ihm wurde von Fachkollegen eine Bagatellisierung des Antisemitismus vorgeworfen mit der Folge, daß die Bundeszentrale für politische Bildung sich für den kritisierten Artikel Löws entschuldigte und die Restauflage des Hefts des Deutschland Archivs einstampfen ließ. Was das Bundesverfassungsgericht als „Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ und unverhältnismäßige Stigmatisierung des Verfassers rügte. Eine peinliche Klatsche für die staatlichen Zensoren. 

Doch nicht nur das Gericht, auch prominente Zeitzeugen wie der „Maueröffner“ Günter Schabowski hielten gegen die Politische Korrektheit. Der Chefredakteur des SED-Zentralorgans Neues Deutschland, ab 1984 Mitglied des Politbüros, bekannte offenherzig: „Löws Schriften – es waren nicht die einzigen aus den Giftschränken des freien Geistes, die ich in den Neunzigern verschlungen habe, (...) lieferten mir befreiende Röntgenaufnahmen der roten Säulenheiligen.“

Ursula Popiolek: Erinnern als Befreiung. Die Geschichte der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus. Osteuropa Zentrum Berlin-Verlag 2020, gebunden, 340 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro