© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Bis zur völligen Vernichtung
Der Althistoriker Michael Sommer über die Punischen Kriege zwischen Rom und Karthago
Marcel Waschek

Die Inseln und Küstenstreifen des Mittelmeeres sind in ihrer Geschichte Schauplatz vieler Siege und mancher Tragödien gewesen. Unzählige Helden und Abenteurer haben sich hier als Händler, Krieger und Herrscher versucht. Solch eine Geschichte von Ruhm, Wagemut, Glück und Geschick zeichnet der Oldenburger Althistoriker Michael Sommer in seinem Werk nach. Einer der Helden dieses Epos, Scipio Aemilianus, vergießt bitterliche Tränen, als er vor den rauchenden Trümmern des einst mächtigen Karthagos steht. Auch wenn er und sein Clan es sich zu ihrem Lebenswerk gemacht hatten, die Bedrohung, die von der nordafrikanischen Handelsmacht ausging und Rom fast an den Abgrund gedrängt hatte, zu beseitigen, so überkam ihn dennoch Wehmut über den schonungslosen Vernichtungswillen seiner Armee. 

Wenige Jahre vorher hatte Cato der Ältere am Ende jeder seiner Reden gefordert, daß Karthago zerstört werden müsse. Dazu verleitet hatte ihn wohl der schnelle Wiederaufbau und die Wiederbewaffnung des in den vorangegangenen Kriegen mit Rom stark in Mitleidenschaft gezogenen, vormals imposanten Händlerimperiums. Führte Scipio doch das Geschehen vor Augen, daß dem mächtigen Rom, welches als uneingeschränkter Sieger aus dem Ringen der Giganten hervorgegangen war, trotz seiner Stärke und Pracht ein gleiches Schicksal beschieden sein könnte. Denn nichts währt ewig.

Doch wie konnte es soweit kommen? Weshalb gerieten Rom als Landmacht und Karthago als Seemacht aneinander? Schließlich hatten sie im Kampf gegen Pyrrhus, einen der besten Feldherren ihrer Zeit, einander beigestanden. Wie konnte Rom als ausgreifender Stadtstaat mit einem Bündnissystem, das sich über große Teile Italiens erstreckte, gegen die Seemacht mit mächtigen Verbündeten im Osten siegen, die über den Mittelmeerraum hinausreichende diplomatische und wirtschaftliche Verbindungen sowie gewaltige Söldnerheere verfügte? Warum konnte Rom, obwohl es jahrelang eine unbesiegte karthagische Armee auf seinem Heimatboden dulden mußte, als unangreifbare antike Weltmacht aus diesem über hundert Jahre andauernden Konflikt hervorgehen? Welche Rolle spielten die politischen Systeme beider Staaten und wie nahmen mythischen Helden gleiche Männer wie Scipio Africanus, Quintus Fabius Pictor und Hannibal Barkas sowie die Clans der Scipionen und der Barkaiden Einfluß auf das Geschehen?

Aus einem lokalen Konflikt erwuchs ein Hegemonialkrieg

Der Krieg beider Staaten entbrannte wegen einer Kolonie von Plünderern, welche sich mittels Mord, Raub und Heimtücke in den Besitz der sizilianischen Stadt Messene (Messina) gebracht hatten. In dem eigentlichen Kleinkrieg zwischen den Mamertinern aus Messene und dem aufstrebenden Staat von Syrakus intervenierten die Karthager, um ihre eigenen Besitzungen auf der Insel besorgt, zugunsten Syrakus und die Römer wohl eher widerwillig auf seiten der Mamertiner. Als sich Syrakus bereits aus dem Konflikt herauslaviert hatte, war der Kampf derart eskaliert, daß sich weder Rom noch Karthago diesem ohne weiteres entziehen konnten. Das zur See eher unerfahrene Rom räumte triumphale Siege ab und konnte seinen Machtbereich auf Sizilien, Korsika und Sardinien ausweiten. 

Nach dem Friedensschluß trachteten die karthagischen Barkaiden, denen auch die legendären Feldherren Hamilkar und Hannibal angehörten, nach Rache. Sie dehnten den karthagischen Machtbereich in Spanien aus und rüsteten mit den iberischen Ressourcen an Mensch und Material gewaltig auf. Der zweite Kampf zwischen Rom und Karthago führte Hannibal über die Alpen nach Italien, doch gelang es ihm trotz des imposanten Sieges von Cannae 216 v. Chr. nicht, die römische Wehrgemeinschaft zu zerstören. Stattdessen mußte er nach demütigenden Niederlagen seines Bruders in Spanien und der Landung römischer Truppen in Nordafrika in seine Heimat zurückkehren. Mit der Entscheidungsschlacht bei Zama 202 v. Chr. verlor der geniale Stratege auch den Krieg für Karthago. Dies hatte Roms Macht gewaltig anschwellen lassen und auch die Verhältnisse im östlichen Mittelmeer gehörig umgekrempelt. Der dritte Konflikt knapp fünfzig Jahre später zwischen den notorischen Feinden endete für das ohnehin geschleifte und von Rom abhängige Karthago in der völligen Vernichtung und für die Karthager im Weg in die Sklaverei.

Sommer, ein Experte für die Geschichte der Levante und die Gesellschaftsgeschichte des römischen Kaiserreiches, widmet sich diesen Fragen. Dabei geht er wissenschaftlich, jede Aussage gut belegend vor. Hauptsächlich werden in Ermangelung fehlender karthagischer Gegenstücke antike römische Autoren als Quelle herangezogen. Die dabei eher einseitige pro-römische Sicht der Historiker aus der Tiberrepublik weiß Sommer geschickt in einen sinnvollen Bezug zu dem Gesamtbild zu setzen, das er präsentiert. Ein Wermutstropfen besteht allerdings darin, daß er sich häufig einzig auf Polybius bezieht, den Haus- und Hofhistoriker der Scipionen, jener römischen Familie, die in langem, fast schon persönlichem Zwist mit den Karthagern stand. Wie Sommer selbst anmerkt, wird Polybius wohl nicht ganz unvoreingenommen über die Ruhmestaten seiner Herren geschrieben haben. 

Insgesamt kommt Sommer dem von ihm an sich selbst gestellten Anspruch, einen guten Abriß über die Punischen Kriege zu verfassen, meisterhaft nach. Er geht dabei auch auf verschiedene Konflikt- und Kriegsformen sowie verschiedene Formen von Machtdurchsetzung und Gewalt ein, anhand derer sich die Konflikte der Punischen Kriege einordnen lassen. Das Werk ist nicht nur Liebhabern der Alten Geschichte zu empfehlen. 

Michael Sommer: Schwarze Tage. Roms Kriege gegen Karthago. Verlag C. H. Beck, München 2021, gebunden,  368 Seiten, Abbildungen, 26,95 Euro