© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/21 / 02. Juli 2021

Discofox mit der Antifa
Der Punk-Rapper Swiss versucht sich an „linksradikalem Schlager“
Gil Barkei

Selbst für einige Konservative war und ist deutscher Schlager eine zu seichte und zu heile Welt zwischen aufgesetztem Fernsehgarten-Dauergrinsen und feuchten Partyliedern vom Ballermann bis zum Après-Ski. Gleichzeitig gehört Schlagermusik zu Deutschland wie Bier und Brezeln. 3,4 Prozent betrug der Anteil des Schlagers vergangenes Jahr am Umsatz der Musikindustrie hierzulande. Hört sich im Vergleich zu Pop (26,6 Prozent) und Hip-Hop (18,6 Prozent) zunächst wenig an, doch die leicht einprägsamen, zu Discofox-Improvisationen einladenden Rhythmen wirken in der Tiefe: Kaum ein Volksfest oder eine ländliche Diskothek kommt ohne sie aus. 

Helene Fischer fesselt jedes Jahr Millionen Zuschauer mit ihrer „Helene-Fischer-Show“ vor den Fernsehgeräten. Die „Kaisermania“ von Schlager-Altmeister Roland Kaiser zieht – unterbrochen durch Corona – seit Jahren Tausende enthusiastische Fans ans Dresdner Elbufer. Dutzende Online-Radiosender wie Radio Paloma, aber auch zahlreiche Regionalwellen der Öffentlich-Rechtlichen buhlen um die Gunst der Hörer.

Nicht umsonst war Schlager in linken Kreisen als Sound deutschtümelnder weißer Spießer verpönt. Doch diese Antipathie bricht der Punk-Rapper Swiss derzeit auf. Nach Rap (JF 16/21) gerät die nächste Musikrichtung in den Fokus linksradikaler Sänger – nicht ganz ohne selbstironisches und provokantes Augenzwinkern nach rechts oder dem, was man dafür hält: Seht her, wir besetzen eure Musik und veräppeln gleichzeitig die gesamte Branche. Es ist eine launige wie subversive Attacke auf das verhaßte Bürgertum. „Brüder und Schwester erhebet euch. Diese Lügner da oben sind gegen euch. Doch mit diesem Sound lassen wir ihre Straßen brennen, denn wer links denkt, ist hundertpro Schlagerfan“, heißt es in dem Song „Linksradikaler Schlager“. 

Das Video wurde in Kiew gedreht und spielt damit, bitterer Ernst und spaßig-satirische Schnapsidee zugleich sein zu wollen. „Menschen, die sich als Punker oder Rocker identifizieren, nehmen sich in ihrer Rolle oft sehr ernst. Aber eigentlich ist doch nichts mehr Punkrock, als wenn ich auf alles scheiße und eine Schlager-EP mit linksradikalen Texten mache“, sagt Swiss gegenüber Schlagerfieber.de. Ihm gehe es nicht um „dieses neue Techno-Utz-Utz-Ballermann-Ding, sondern die Oldschool-Sachen: ‘Für dich soll’s rote Rosen regnen’, ‘Ti Amo’, ‘Ich war noch niemals in New York’ und ‘Moskau’“. 

Und tatsächlich erinnern seine Melodien an zigmal gehörte Klassiker und gehen ins Ohr. Der nicht zu unterschätzende Mitsing- und Feierfaktor wird gekonnt genutzt und bedient. „Bin grad bei meiner Mama zu Besuch und sie ist Schlager-Fan. Habe es grad in der Küche gehört. Und sie hat es nachgesungen. Mission erfolgreich“, schreibt ein Kommentator bei Youtube. In den Hintergrund geraten dabei Textpassagen wie „Von den Karten Grenzen streichen, Staaten müssen Menschen weichen“, „schmeißen Steine auf die Bullen für gutes Karma“ oder „Nazis kriegen kalte Füße: Stalingrad“ geraten in den Hintergrund.

Auf der Netzseite des eigenen Labels „Missglückte Welt“ gibt es die dazu passenden Klamotten wie beispielsweise T-Shirts mit dem Aufdruck „Kein Schlager den Faschisten“ oder „Linksradikaler Schlager Mob“. Die Vorbestellungen der für Anfang Juli geplanten EP-Veröffentlichung laufen so gut, daß bereits einige Tonträger-Boxen vergriffen sind.

In der Mitte des linksgrünen Bürgertums angekommen

Mit den trinkfreudigen Nuancen des wilden Partyschlagers zu experimentieren, kann Swiss dann doch nicht lassen. In „Solikasse“ ist der Hamburger spürbar bemüht, Besetzungsaktionen wie im Hambacher Forst oder Schlepperbeihilfe im Mittelmeer ihren ernsten Unterton zu nehmen. Warum nicht einfach alles als große, irgendwie fremdfinanzierte Fete preisen und damit so manchen von der großen Politik abgeschreckten jungen Hörer auch thematisch gewinnen?

Die dritte Single-Auskopplung „Antifa“ spielt mit dem altbekannten Schlager-Bild, einen Schwarm zu besingen, nur daß hier der Antifa eine Liebeserklärung dargebracht wird: „Verehre so sehr ihren Kampf auf den Straßen. Es liegt mir daran einfach danke zu sagen, weil sie mit ihren Dreadlocks das Faschopack wegboxt.“ Im Refrain heißt es dann schon fast Marianne-Rosenberg-romantisch: „Und wir tanzen bei G20 im Wasserwerferregen.“

Das Video in Optik einer auf Zeitgeist gezogenen „Herzblatt“-Sendung mit Trennwand und Kandidatin mit Che-Guevara-Shirt verdeutlicht, daß Swiss und seine Mitstreiter die Biedermännerwelt aufs Korn nehmen wollen. Und das gelingt streckenweise kreativ, professionell und bisweilen sogar unterhaltsam. 

Doch so revolutionär über den eigenen Tellerrand hinaus gedacht erscheint das Konzept gar nicht in Zeiten, in denen linksradikale Parolen und Positionen längst in der Mitte der Gesellschaft eines neuen grünen Bio-Bürgertums angekommen sind. Frohes Schunkeln zu antideutschen Passagen ist  eigentlich nur eine logische Konsequenz der momentanen Zustände.