© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Ärger mit Üsügrüm
Rechtsextremismus: Die größte Gruppierung ist türkisch
Peter Möller

Eigentlich ist es nur ein harmloses Zeichen, mit dem Lehrer versuchen, auf spielerische Weise den Lärmpegel in der Klasse zu senken: der Schweigefuchs. Dabei handelt es sich um ein Handzeichen, das den Kopf eines Fuchses simulieren soll. Dazu werden der Zeige- und kleine Finger nach oben gestreckt, sowie der Mittel- und Ringfinger gegen den Daumen gepreßt. Für die Schüler das Signal, jetzt besser zu schweigen. Ein harmloses Zeichen der sanften Pädagogik also. Doch unvermittelt hat das Handzeichen eine ungewohnte politische Brisanz gewonnen, die den schulischen Rahmen sprengt.

An Berliner Grundschulen sind Fälle bekannt geworden, in denen der sogenannte Schweigefuchs dem Wolf zum Opfer gefallen ist. Denn das Handzeichen nutzen auch die türkischen Rechtsextremisten der Grauen Wölfe als Erkennungszeichen. Das veranlaßte nicht nur übereifrige türkische Eltern, bei den Schulleitungen zu intervenieren, um die vermeintliche Geste der nationalistischen Grauen Wölfen aus den Klassenräumen zu verbannen. Auch in anderen Bundesländern gab es ähnliche Fälle, Ende 2018 hatte der CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries sogar medienwirksam über die Bild-Zeitung ein Verbot des Wolfsgrußes gefordert.

„Trotz der Gefahr keine Repressionsmaßnahmen“

Diese Beispiele sehen Experten als Alarmzeichen für den wachsenden Einfluß der vom Verfassungsschutz beobachteten Organisation in Deutschland an. Laut Verfassungsschutzbericht zeichnet sich die sogenannte Ülkücü-Bewegung, die ein großtürkisches Reich anstrebt, unter anderem durch eine „Überhöhung der eigenen türkischen Identität“ aus, aus der eine „Herabwürdigung anderer Volksgruppen, die zu ‘Feinden des Türkentums’ erklärt werden“, resultiere. In Deutschland werden den Grauen Wölfen 11.000 Anhänger zugerechnet, von denen etwa 9.400 in drei großen Dachverbänden mit unterschiedlicher Ausrichtung organisiert sind. Keine andere rechtsextreme Gruppierung in Deutschland verfügt über so viele Mitglieder.

Sorge bereiten den Sicherheitsexperten vor allem die Versuche der Grauen Wölfe, die in enger Verbindung zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan stehen, in Deutschland andere Organisationen zu infiltrieren und unter ihren Einfluß zu bringen.

Daß der Einfluß der Ülkücü-Bewegung mittlerweile bis in die deutsche Politik reicht, hat jüngst die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen am Beispiel der Deutschen Islamkonferenz deutlich gemacht. Dieser gehört auch als Mitgliedsorganisation des Zentralrats der Muslime der türkische Verband Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib) an. Nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz kann die Organisation den Grauen Wölfen zugeordnet werden. Für Dagdelen ein unhaltbarer Zustand. „Es ist schon bemerkenswert, welchen Eiertanz die Bundesregierung bei Organisationen der Grauen Wölfe vorführt“, sagte sie der Welt. „Verfassungsfeindlichkeit ist bei Erdoğan-hörigen Vereinen der Grauen Wölfe, die etwa unter dem Dach des Zentralrats der Muslime agieren, offenbar ein Türöffner für einen privilegierten Dialog mit der Bundesregierung.“ 

Dennoch sieht die Bundesregierung vorerst wohl keinen Anlaß zum Handeln. „Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat verfolgt die Entwicklung von Verbänden, zu deren Mitgliedsvereinen Strukturen gehören, die dem politischen Islamismus zugerechnet werden, aufmerksam und mit Sorge“, hieß es lapidar in der Antwort des Ministeriums von Horst Seehofer (CSU) auf eine schriftliche Anfrage Dagdelens, aus der die Welt zitiert. 

Doch die Grauen Wölfe bemühen sich nicht nur um Einfluß auf Organisationen aus dem islamischen und türkischen Spektrum. Immer wieder gibt es Versuche, beispielsweise in die CDU einzusickern. Anfang des Jahres hatte Christoph de Vries daher seine Partei zum Handeln aufgefordert, nachdem das Innenministerium auf Nachfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten Götz Frömming eingeräumt hatte, daß der Bundesregierung vereinzelte Erkenntnisse vorlägen „über die Kandidatur von Personen aus dem Umfeld des türkischen Rechtsextremismus bei den Kommunal- und Integrationswahlen am 13. September 2020 in NRW“. Bereits 2014 sorgte CDU-Mitglied und Sympathisant der Ülkücü-Anhänger Zafer Topak mit einem Aufruf an Anhänger der Grauen Wölfe, deutschen Parteien beizutreten, für Aufregung in dem vom heutigen Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet, geführten Landesverband. Welches Gefahrenpotential die Grauen Wölfe für die deutsche Innenpolitik darstellen, macht eine Anfang des Jahres erschienene Studie des American Jewish Committee (AJC) Berlin deutlich, die den Staat und die Sicherheitsbehörden zum Handeln auffordert. Darin attestieren die Autoren der Vereinigung, sie stehe anderen rechtsradikalen Organisationen ideologisch in nichts nach. Die Ideologie der Grauen Wölfe zeichne sich durch Antisemitismus, Rassismus und Haß auf Minderheiten aus. „Trotz der offensichtlichen Gefahr sind größere Repressionsmaßnahmen gegen die Grauen Wölfe bis heute bedauerlicherweise weitgehend ausgeblieben“, beklagt das AJC.

Die Studie verweist darauf, daß andere europäische Länder in dieser Frage bereits weiter sind. So wurden die Grauen Wölfe Anfang November vergangenen Jahres in Frankreich verboten, Österreich untersagte bereits Anfang März 2019 die Verwendung der Symbole der Grauen Wölfe. Doch auch in Deutschland beginnt sich etwas zu bewegen. Ende 2020 forderte der Bundestag in einem Antrag von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP die Bundesregierung auf, auch hierzulande den Einfluß der Organisation der türkischen Nationalisten zurückzudrängen. 

Ein weitergehender Antrag der AfD-Fraktion, ein Verbot der Grauen Wölfe zu prüfen, wurde indes abgelehnt. Experten beurteilen all diese Schritte trotzdem mit Zurückhaltung. Auch wenn ein Verbot der Grauen Wölfe eine wichtige Signalwirkung hätte, werde dieses im juristischen Sinne vorerst weder in Frankreich noch in Deutschland gänzlich umzusetzen sein, heißt es in einer Einschätzung von „ufuq.de“, einem auf den Islam spezialisierten Träger der freien Jugendhilfe und der politischen Bildung. „Ein Verbot müßte sich gegen konkrete Organisationen (Dachverbände, Vereine) richten, die der Bewegung eindeutig zuzuordnen sind. Eine solche Benennung der Vereine, die mit den Verbotsforderungen gemeint sind, ist bisher weder in Frankreich noch in Deutschland absehbar. Sowohl der Auflösungsantrag in Frankreich als auch der parteiübergreifende Prüfantrag der Bundestagsfraktionen in Deutschland haben daher vorerst einen rein symbolischen Charakter“, lautet die Einschätzung der Experten.

Das verhaltene Agieren der Bundesregierung, die angesichts des Flüchtlingspaktes mit Erdoğan auch in dieser Frage eine offene Konfrontation mit Ankara scheuen, dürfte diese Einschätzung stützen. Angesichts dieser Gemengelage wird das Thema Graue Wölfe der deutschen Politik noch lange erhalten bleiben – mit unabsehbaren Folgen für die innere Sicherheit.