© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Aus alt mach’ neu
AfD: Nächste Runde im innerparteilichen Kampf in Niedersachsen / Joachim Wundrak erneut zum Spitzenkandidaten gewählt
Christian Vollradt

Ist Braunschweig das Vietnam der AfD? Findet hier, fernab der großen Schauplätze, ein Stellvertreterkrieg zweier Supermächte statt? Trotz gewisser Analogien hat der wenig schmeichelhafte Vergleich seine Grenzen. Doch auffallend ist schon, wie der seit Monaten ausschließlich mit sich selbst beschäftigte und politisch gelähmte Landesverband bundesweit die Blicke auf sich zieht und als vorgelagertes Schlachtfeld im großen, kaum noch verhohlenen Konflikt zwischen den beiden AfD-Bundesvorsitzenden interpretiert wird.  

Vergangenes Wochenende stand nun die endgültig zur Posse geratene Wahl einer Landesliste für die Bundestagswahl erneut auf der Tagesordnung. Es war der zweite Anlauf – und insgesamt der dritte Parteitag innerhalb eines halben Jahres, der in der Löwenstadt abgehalten wurde (JF 27/21). Vor den interessierten Augen mehrerer Bundesvorstände – darunter Parteichef Jörg Meuthen – mußte Niedersachsens Landesvorsitzender Jens Kestner früh feststellen, daß er keine Mehrheit unter den rund 600 angereisten Mitgliedern hat; der von ihm gewünschte Tagungspräsident fiel durch. Und auch Kestner selbst konnte sich – trotz seines Appells an Versöhnung und Geschlossenheit – beim Zweikampf um Listenplatz 2 erneut nicht gegen den bereits im Dezember gewählten Frank Rinck durchsetzen. Auch der neue Spitzenkandidat ist der alte: Joachim Wundrak. Der pensionierte General setzte sich mit 366 zu 223 gegen den stellvertretenden Landesvorsitzenden Uwe Wappler durch, gegen den gerade ein Parteiausschlußverfahren eingeleitet wurde (JF 25/21). Erfolglos blieb auch der derzeitige außenpolitische Sprecher der AfD im Bundestag, Armin-Paulus Hampel. Am Ende entsprach die gewählte Liste fast exakt der vom Dezember – nur daß sie drei Kandidaten weniger enthält.

Er sei gekommen, „um zu verhindern, daß die Flügel-Leute unsere Landespartei endgültig kapern“, zitierte die Braunschweiger Zeitung ein angereistes Mitglied. Andere in der Partei weisen solch eine Lesart weit von sich. Der ganze Konflikt in der Landespartei habe nichts mit Ex-„Flügel“ gegen Anti-„Flügel“ zu tun, wird dann betont. Es gehe vielen Kritikern des Kestner-Lagers vielmehr darum, ein „Korruptionsnetzwerk mit Tarnanstrich“ zu bekämpfen. Denn um ein solches und nicht um eine Gesinnungsgemeinschaft handle es sich in Wahrheit, ist ein Parteifunktionär überzeugt. Und in der Tat mußte sich Kestner in Braunschweig heftige Kritik auch von Leuten anhören, die nicht im Ruf stehen, den Kurs von Parteichef Meuthen zu bevorzugen oder zuvor an der Seite der im vergangenen September abgewählten und inzwischen aus der AfD ausgetretenen Ex-Landesvorsitzenden Dana Guth gestanden zu haben.  

Immer wieder wird vor allem der Vorwurf geäußert, Leute wie Kestner und Hampel hätten es in erster Linie auf die mit einem Bundestagsmandat verbundene finanzielle Versorgung abgesehen. Das geflügelte Wort von den „Bedarfspatrioten“ macht die Runde. Andere Stimmen verweisen unterdessen darauf, daß es sehr wohl seitens des (ehemaligen) „Flügels“ den Versuch gegeben habe, in Nieder-sachsen ein Exempel zu statuieren. Mit der Wahl Kestners zum Landesvorsitzenden habe man sich Niedersachsen „zurückgeholt“, wird ein Exponent der Parteirechten zitiert. Danach sieht es seit dem Wochenende nicht mehr aus. Daß der Machtkampf damit endgültig entschieden ist, gilt indes als eher unwahrscheinlich. Mehrheiten können sich in der AfD rasch ändern. Was bleibt, ist ein tiefer Graben mitten durch den Landesverband.

Eine Frist bis zu diesem Freitag hat der Bundesvorstand der niedersächsischen AfD eingeräumt, dann spätestens muß die neue Landesliste eingereicht werden. Landeswahlleiterin Ulrike Sachs wird ein Dokument bekommen, das dem vorherigen erstaunlich ähnelt. Die AfD hätte ihr viel Zeit, viele E-Mails – und vor allem sich selbst rund 90.000 Euro sparen können.