© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

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Plagiate: Wie sich Annalena Baerbock bei anderen bedient
Felix Krautkrämer

Als Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock in der vergangenen Woche bei „Brigitte Live“ auf die Plagiatsvorwürfe zu ihrem Buch „Jetzt. Wie wir unser Land verändern“ angesprochen wurde, bemühte sich die 40jährige, locker zu reagieren. „Ich habe viele Gespräche geführt und auch Ideen von anderen sind mit eingeflossen. Es ist kein Sachbuch, keine wissenschaftliche Arbeit, sondern ein persönliches Buch und eine Zusammenstellung meiner bisherigen Jahre als Politikerin“, verteidigte sich Baerbock.

Das hatte sich Mitte Juni bei der vom Ullstein-Verlag organisierten offiziellen Buchpräsentation allerdings noch etwas anders angehört. Auf die Frage von Moderatorin Janine Steeger, was genau für ein Buch Baerbock geschrieben habe, eine Biographie oder ein politisches Sachbuch, antwortete die grüne Kanzlerkandidatin: „Es ist beides.“ 

Doch egal ob nun Biographie oder Sachbuch, fest steht: Baerbock hat auf den 240 Seiten – für die sie laut eigenen Auskünften immerhin 24.645 Euro Honorar erhielt – an etlichen Stellen Textbausteine und teilweise ganze Absätze fremder Autoren übernommen, ohne dies kenntlich zu machen. Hatten die Grünen und ihre Spitzenkandidatin anfangs noch geglaubt, die Plagiatsaffäre weglächeln oder als Korinthenkackerei abtun zu können, reagierten sie mit jedem Tag, an dem sich das Thema länger in den Medien hielt, zunehmend dünnhäutig. 

„Das ist nicht nur ein Plagiat, das ist ein Betrug am Leser“

Daß dies so war, dafür sorgte vor allem der österreichische Plagiatsjäger Stefan Weber, der schon zuvor Baerbocks Arbeitsweise und ihren Lebenslauf kritisch geprüft hatte. Seit Erscheinen des Buchs präsentiert er immer wieder neue Stellen, bei denen die Grünen-Politikerin abgekupfert haben dürfte. An der Entstehung des Buchs war laut Danksagung Baerbocks auch der Publizist Michael Ebmeyer beteiligt, der schon als Ko-Autor von Heiko Maas („Aufstehen statt wegducken. Eine Strategie gegen Rechts“) in Erscheinung trat. Dieser habe in langen persönlichen Gesprächen Dinge aus ihr herausgekitzelt, die ihr erst damit bewußt geworden seien, verriet Baerbock. Sein Name findet sich allerdings weder auf dem Buchdeckel noch in den bibliographischen Angaben. Dort fungiert die Kanzlerkandidatin der Grünen als alleinige Autorin – und muß somit die volle Verantwortung für die möglichen Plagiate tragen. 

Entsprechend gereizt reagierte die Führungsriege der Grünen auf die Kritik an ihrem Zugpferd. Von „Rufmord“ war da die Rede, von Kampagnenjournalismus und von aggressiven Wahlkampfmethoden eines Donald Trump. Die Vorwürfe seien „absurd“, twitterte Wahlkampfsprecher Andreas Kappler. Bei den beanstandeten Passagen handele es sich „um allgemein zugängliche Fakten oder bekannte grüne Positionen“. Um dieser Deutung mehr Gewicht zu verleihen, schalteten die Grünen zudem den Medienanwalt Christian Schertz ein, der sodann bekanntgab, er könne „nicht im Ansatz eine Urheberrechtsverletzung erkennen“. Zwar war der Vorwurf bis dahin gar nicht explizit erhoben worden, dennoch konzentrierten sich die Verteidiger Baerbocks vor allem darauf. Zu diesen zählte auch der Rechtsexperte des ZDF, Felix W. Zimmermann. In einer ausführlichen Bewertung auf Twitter kam der Journalist und Jurist zum Ergebnis, daß an den Plagiatsvorwürfen nichts dran sei. Baerbock habe lediglich Sachinformationen übernommen. Zudem gebe es für Populärliteratur kein Zitiergebot. Den Grünen gefiel Zimmermanns Stellungnahme so gut, daß Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sie gleich per E-Mail unter die eigenen Anhänger streute.

Nur hatte man da offenbar nicht mit der Hartnäckigkeit des Plagiatsjägers Weber gerechnet. Hieß es zuerst noch, die Kopiervorwürfe gegen Baerbock beträfen lediglich reine Sachinformationen, die sich bei Wikipedia oder der Bundeszentrale für politische Bildung fänden, wartete Weber mit immer neuen Passagen auf, die zeigen, wie sich Baerbock als Autorin völlig ungeniert bei fremden Federn bediente. Zu diesen zählt beispielsweise ein Vorwort des Leiters Erneuerbare Energien der Deutschen Umwelthilfe, Peter Ahmels, aber auch ein Gastbeitrag des Grünen-Politikers Jürgen Trittin aus der Frankfurter Rundschau über Europas gefährliche Abhängigkeit von Amerika. Darin schrieb Trittin: „Europa muß seine Defizite in der IT-Industrie beheben. Das fängt damit an, daß deutsche Polizeien die Bilder ihrer Bodycams nicht mehr bei Amazon in der Cloud speichern und die Bundeswehr ihre Daten nicht bei Microsoft. Wer mit Steuergeld eine europäische Cloud wie Gaia-X aufbaut, kann nicht ausgerechnet sicherheitsrelevante Daten dem Zugriff des Patriot Acts aussetzen.“ Bei Baerbock wurde daraus: Die EU müsse ihre „Defizite in der IT-Industrie beheben und eine europäische technologische Basis schaffen.  (…) Das fängt mit ganz simplen Dingen an. Zum Beispiel, daß die deutsche Polizei die Bilder ihrer Bodycams nicht mehr bei Amazon in der Cloud speichert – und die Bundeswehr ihre Daten nicht bei Microsoft. Wenn wir Europäer*innen mit Steuergeld eine europäische Cloud wie Gaia-X aufbauen wollen, dann können wir nicht ausgerechnet wieder alle großen US-Cloud-Anbieter mit ins Boot holen und so sicherheitsrelevante Daten dem Zugriff der US-Regierung über den Cloud Act aussetzen.“

Über vierzig beanstandete Passagen hat Weber mittlerweile zusammengetragen. Sein Fazit ist vernichtend. Quellen seien nicht aus Schlamperei vergessen worden oder weil es in diesem Buchformat nicht vorgesehen war. Vielmehr lasse das entdeckte Muster kaum noch einen Zweifel. „Nach aktuellem Wissensstand kann man davon ausgehen: Hätte Frau Baerbock alle Quellen korrekt angegeben, wäre wohl die Frage aufgekommen, ob das Buch überhaupt originäre Gedanken enthält. Das ist nicht nur ein Plagiat, das ist ein Betrug am Leser und am Verlag.“ Baerbock solle deshalb umgehend zurücktreten. 

ZDF-Rechtsexperte Zimmermann hat seine Einschätzung nach den jüngsten Funden mittlerweile in einem weiteren Beitrag teilweise revidiert und bejaht nun die Frage nach möglichen Urheberrechtsverletzungen. Gut möglich, daß in den nächsten Wochen noch weitere Kopieren-und Einfügen-Textpassagen Baerbocks bekannt werden. Die JF konnte in der vergangenen Woche bereits zeigen, daß diese Art der Arbeitsweise bei der Grünen-Politikerin durchaus Methode hat. Sie entdeckte in einem Text Baerbocks auf der Internetseite der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung zum Referendum Irlands zum EU-Reformvertrag von 2009 eine nicht gekennzeichnete Textübernahme aus einem Artikel der Bertelsmann-Stiftung zum gleichen Thema (siehe Ausschnitt). In ihrem Beitrag hat sich Baerbock zudem noch Satzweise aus einem kurz zuvor erschienenen Spiegel-Artikel bedient. Ebenfalls ohne die Quelle dafür anzugeben. Gegenüber der JF bezeichnet Weber auch dies als „klares Plagiat“. Durch den Fund sei erstmals nachgewiesen, daß diese Vorgehensweise bei Baerbock offenbar seit vielen Jahren Methode habe, attestiert der Medienwissenschaftler. „Sie ist eine Angehörige der Copy&Paste-Generation.“





Kopieren, einfügen – zwei beispielhafte Gegenüberstellungen von Abschrift und Original 

„Zwar ließ sich Premierminister Brian Cowen beim EU-Gipfel im Juni eine Erklärung absegnen, mit der die größten Bedenken der irischen Wähler ausgeräumt werden sollten. So stellte der Europäische Rat klar, dass das irische Abtreibungsrecht durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ebenso unangetastet bleibt wie die Steuerhoheit und die traditionelle Politik der militärischen Neutralität. Außerdem darf auch weiterhin jeder Mitgliedstaat einen eigenen EU-Kommissar nominieren.“

Annalena Baerbock, Irland stimmt dem EU-Reformvertrag zu – Land in Sicht? Heinrich-Böll-Stiftung, 5. Oktober 2009

„Beim EU-Gipfel am 18./19. Juni 2009 ließ sich Premierminister Brian Cowen eine Erklärung absegnen, mit der die größten Bedenken der irischen Wähler ausgeräumt werden sollen. Der Europäische Rat stellt klar, dass das irische Abtreibungsrecht durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ebenso unangetastet bleibt wie die Steuerhoheit und die traditionelle Politik der militärischen Neutralität. Außerdem darf auch weiterhin jeder Mitgliedstaat einen eigenen EU-Kommissar nominieren.“

Dominik Hierlemann, Irlands zweiter Versuch, spotlight europe (Bertelsmann-Stiftung), September 2009





„Auf zahlreichen Bürger*innenversamm-lungen hat er mit den Betroffenen, Verbänden und Vereinen, Kreisen und Behörden gesprochen. Es wurden ‚runde Tische‘ ins Leben gerufen, Messehallen, Stadthallen und Dorfkrüge angemietet, um den Austausch zu ermöglichen. Die Diskussionen der Fachleute, Planenden und der Bürger*innen waren lebhaft und impulsiv, emotional und sachlich; …“

Annalena Baerbock auf S. 155 in: Jetzt. Wie wir unser Land erneuern, Ullstein Buchverlage, Juni 2021

„Der Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern, Verbänden und Vereinen, Kreisen und Behörden wurde intensiv geführt. Es wurden runde Tische ins Leben gerufen, Messehallen, Stadthallen und Kirchspielkruge angemietet, um den Austausch zu ermöglichen. Die Diskussionen der Fachleute, Planer und der Bürgerinnen und Bürger waren lebhaft und impulsiv, emotional und sachlich; …“

Peter Ahmels in einem Vorwort von Das Dialogverfahren zur 380kV-Westküstenleitung. Ergebnisbericht Deutsche Umwelthilfe, Dezember 2013