© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

„Die Zeit spielt für uns“
Regierungskrise in Stockholm: Rechte Schwedendemokraten könnten von Neuwahlen profitieren
Christian Schreiber

Um die rechten Schwedendemokraten auszugrenzen, mußte Schweden zuletzt ein Vielparteien-Bündnis bilden. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven ist daran vorläufig gescheitert. In der politischen Landschaft Schwedens dominierten über Jahrzehnte traditionell zwei Lager. 

Das rechtskonservative Lager um die sogenannten „Moderaten“ und das linksgerichtete Lager um die Sozialdemokraten. Doch das Erstarken der Schwedendemokraten hat die traditionellen Strukturen aufgebrochen. 

17 Prozent fuhr die Truppe um den populären Frontmann Jimmie Åkesson vor vier Jahren ein und verhinderte damit eine Regierungsbildung innerhalb der klassischen Spektren. Nach vier Monaten zäher Verhandlungen bildete Löfven schließlich eine rot-grüne Minderheitsregierung, die von der Linkspartei und von zwei liberalen Parteien toleriert wurde. Doch genau als sich das politische Schweden eigentlich in die Sommerpause verabschieden wollte, platzte nun die Bombe. 

Löfven fällt bei Vertrauensfrage durch

Die Linkspartei, die Löfven bislang in vielen Fragen unterstützt hatte, entzog dem Regierungschef im Streit um eine von der Regierung geplante Lockerung der Mietpreiskontrolle bei neu gebauten Wohnungen ihr Vertrauen.

Der 63jährige trat daraufhin zurück, um eine Neuwahl zu vermeiden und den Weg für eine neue Regierungsbildung zu ebnen. Löfven führt die Amtsgeschäfte bis zur Vereidigung einer neuen Regierung weiter. Regulär wählen die Schweden im September 2022 ein neues Parlament. Die Moderaten, die neben den Sozialdemokraten die stärkste Kraft im Reichstag in Stockholm stellen, wittern nun Morgenluft. „Schweden entwickelt sich seit mehreren Jahren in die falsche Richtung“, erklärte Parteichef Ulf Kristersson auf Instagram: „Wir wollen die Regierung austauschen und Schweden auf einen neuen Kurs bringen.“ Doch daraus wurde bislang nichts. Kristerssons Ankündigung, sich notfalls von den Schwedendemokraten tolerieren zu lassen, verprellte die Liberalen, die ihm ihre Unterstützung daraufhin verweigerten. Nun ist wieder Löfven am Zug. 

Der Präsident des Reichstags, Andreas Norlén, beauftragte den Sozialdemokraten, entsprechende Sondierungsgespräche mit anderen Parteien zu führen. Der ehemalige Gewerkschafter Löfven gilt als außerordentlich geschickter Verhandler, und es ist nicht ausgeschlossen, daß er nochmals ein Bündnis für eine rot-grüne Regierung schmiedet. Zudem könnten Wahlen aufgrund des komplizierten Wahlrechts erst Anfang 2022 stattfinden. Ein halbes Jahr später müßten die Schweden dann noch einmal turnusmäßig abstimmen. Insgesamt sieht die Verfassung höchstens vier solcher Sondierungsrunden vor. Scheitern alle vier, gibt es Neuwahlen. Übergangsweise regiert Löfven Schweden weiter. Ob es ihm gelingt, eine Regierung zu bilden, wird wohl ausschließlich vom weiteren Verlauf des „Mietstreits“ abhängen. 

Schwedendemokraten könnten Regierungsbeteiligung erlangen 

Mit der Linkspartei hat der Sozialdemokrat offenbar schon eine Übereinkunft gefunden. Dafür meutern nun die Liberalen. Löfven appelliert an deren Verantwortungsbewußtsein. „Niemand kann ein Interesse an einem Wahlkampf in Corona-Zeiten haben“, sagte der 63jährige, wohlwissend, daß Neuwahlen wohl nicht die gewünschte maßgebliche Änderung der Kräfteverhältnisse mit sich bringen würden, im Gegenteil. Lediglich die Schwedendemokraten würden aktuellen Umfragen zufolge deutlich profitieren. „Die Zeit spielt für uns“, frohlockt Åkesson bereits. Damit könnte er richtigliegen. 

Im Frühjahr fanden Bürgerliche und Schwedendemokraten in einer gemeinsamen Initiative für ein restriktives Einwanderungsrecht zusammen. „Åkesson hatte auch das Mißtrauensvotum gegen Löfven auf den Weg gebracht, er ist schon jetzt der Gewinner in dem schwedischen Politik-Krimi. 

Es ist noch nicht lange her, da wollte keiner mit ihm kooperieren. „Das ist vorbei. Das bürgerliche Lager hat die Brandmauer zur äußersten Rechten eingerissen“, schrieb die Süddeutsche Zeitung resigniert. In Schweden mehren sich aber die Stimmen, die fordern, die Schwedendemokraten wie eine normale Partei zu behandeln. In dem Fall könnte es im kommenden Jahr tatsächlich eine Mitte-Rechts-Regierung geben.