© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Zwischen Aufwind und Sturmtiefs
Parlamentswahl in Bulgarien: Nachdem sich die Parteien im April nicht einigen konnten, bittet das Land seine Wähler nun erneut zur Urne
Paul Leonhard

Es ist ein langsamer, aber dafür um so kontinuierlicherer Niedergang. Die konservative GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) von Bulgariens ehemaligem Ministerpräsidenten Bojko Borissow verliert beim Volk immer mehr an Rückhalt. Bei den Parlamentswahlen im April wurde sie zwar zum fünften Mal in Folge stärkste Kraft, dafür aber mit dem schlechtesten Ergebnis seit ihrer Gründung 2006. Es glückte ihr auch nicht, eine Koalition zu schmieden, mit der sie hätte regieren können. 

Deswegen werden die Wahlberechtigten am 11. Juli erneut an die Urnen gebeten. Derzeit sieht es so aus, als müßten die Konservativen um ihren Spitzenplatz fürchten. Der Musiker und TV-Moderator Stanislaw „Slawi“ Trifonow legt mit seiner populistischen Partei ITN (Es gibt ein solches Volk) in der Wählergunst immer mehr zu. „Slawi“, der seine Anhänger vor allem über Facebook mobilisiert, hatte bei den Parlamentswahlen im April mit Forderungen nach einer Halbierung der Abgeordnetenzahl, der Direktwahl des Generalstaatsanwaltes und der Polizeichefs sowie nach einem Mehrheitswahlrecht immerhin die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) und die Partei der bulgarischen Türken (DPS) aus dem Stand heraus deklassiert. 

Hatte die ITN, die ebenso wie die Parteien „Demokratisches Bulgarien“ und „Steh auf! Mafia raus!“ im April erstmals ins Parlament eingezogen war, im Frühjahr 17,4 Prozent erreicht, prognostizieren ihr die aktuellen Umfragen ein Ergebnis zwischen 17,6 und 24 Prozent. Die GERB, die im April 25,8 Prozent erreicht hatte, liegt währenddessen bei 21 bis 27,2 Prozent, allerdings mit sinkender Tendenz. 

Leichten Aufwind verspürt dagegen die linke BSP, die im April mit 14,8 Prozent ihr schlechtestes Resultat seit 1990 erzielte und derzeit bei bis zu 21,3 Prozent liegt. Offenbar finden ihre antiliberalen und prorussischen Parolen allmählich Gehör. Sowohl die rund 6,7 Millionen bulgarischen Wahlberechtigten, die einer nicht sanktionierten Wahlpflicht unterliegen, als auch die Politiker des Balkanlandes sind immer für eine Überraschung gut. Schon im April lagen die Politologen falsch, als sie prognostizierten, Borissows Bündnis mit der konservativen SDS müsse als stärkste Kraft nur weitere Partner suchen, um eine stabile Regierung zu bilden. Keine Partei habe die Ressourcen, um einen weiteren Wahlkampf durchzustehen, mutmaßte der Soziologe Andrej Rajtschew und wurde eines Besseren belehrt. 

Übergangsregierung deckt immer mehr Fälle von Korruption auf

Die zerstrittenen politischen Strömungen des Sechs-Parteien-Parlaments schafften es nicht, sich zu einigen. Folglich bestimmte Präsident Rumen Radew den Offizier Stefan Janew als Präsidenten der Übergangsregierung und setzte Neuwahlen an. 

Inzwischen halten Umfrageforscher wie Borjana Dimitrowa „jedes Szenario für möglich“. Doch nicht alle der 15 Parteien und acht Koalitionen werden den Sprung über die Vier-Prozent-Hürde schaffen. Unterdessen schockiert die Übergangsregierung die Wähler mit immer neuen Enthüllungen über die im Land herrschende Korruption. In den vergangenen beiden Jahren wurden etwa ohne öffentliche Ausschreibungen und zu nicht marktgerechten Preisen Bauleistungen für 4,4 Milliarden Euro von Staatsfirmen an Subunternehmer vergeben. So auch für den Bau der Hemus-Autobahn und die Sanierung von Stauseen. „Je mehr wir uns in das Thema einarbeiten, desto mehr Chaos und Regellosigkeit finden wir vor“, sagte Janew und bescheinigte der Vorgängerregierung eine in „plausible und rechtmäßige Form verkleidete Korruption“.

Von grassierenden Mafiamethoden spricht auch der US-Think-Tank „Freedom House“. In Bulgarien mangle es an Medienfreiheit, dafür würden Minderheiten diskriminiert und die Justiz sei bestechlich. Innenminister Bojko Raschkow versicherte prompt, faire Wahlen sicherzustellen und keinen Stimmenkauf zuzulassen. 

Deutsche Urlauber müssen sich indes keine Gedanken machen. Der am 9. Juli offiziell endende Wahlkampf verlaufe, so versicherte Rossiza Matewa, Sprecherin der Zentralen Wahlkommission, „in einem toleranten Ton“.