© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Bundesbank-Präsident fordert ein Überdenken der Staatsanleihekäufe
Die Inflation ist zurück
Dirk Meyer

Im Juni sank die Inflationsrate von 2,5 auf 2,3 Prozent. Doch für den Juli wird in Deutschland ein neuer Preisschub von einem Prozentpunkt erwartet. Der Grund ist die sechsmonatige Mehrwertsteuer-Absenkung, die die Preise voriges Jahr sinken ließ. „Sogar Inflationsraten um vier Prozent sind zum Jahresende möglich“, warnt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Abweichend von der hiesigen Berechnung wird die Inflation auf EU-Ebene nach dem Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) ausgewiesen und fällt dadurch aktuell um 0,2 Prozentpunkte niedriger aus. Dabei erhöhten sich die Preise je nach Warengruppe ganz unterschiedlich: Energie wurde um 9,4 Prozent teurer, Dienstleistungen nur um 1,6 Prozent. Interessant sind auch die Abweichungen innerhalb der Eurozone: Portugal verzeichnete minus 0,6 Prozent Inflation – Estland 3,7 Prozent. Die Währungsunion ist eben kein homogenes Währungsgebiet, und das ist ein großes Problem.

Kurzfristig wirkende Ursachen sind das „Klimapaket“ mit den CO2-Aufschlägen für Kraftstoffe und Heizöl, der höhere gesetzliche Mindestlohn, der coronabedingte nachholende Konsum sowie ein statistischer Sondereffekt bei Pauschalreisen. Logistik-Engpässe und die Arbeitskräfteknappheit könnten verzögert wirken. Von besonderem Interesse sind jedoch die langfristigen Faktoren (JF 10/21). So wuchs die Zentralbankgeldmenge seit 2015 vornehmlich durch die Staatsanleihe-Kaufprogramme um 3,6 Billionen Euro auf 5,86 Billionen Euro – eine Zunahme von 61,3 Prozent. Das langfristige Inflationspotential liegt allerdings in der „brachliegenden“ Zentralbankgeldmenge auf Konten der Notenbank, die die Banken als bislang ungenutzte Überschußreserve in Höhe von 3,5 Billionen Euro bei anziehender Konjunktur für die Kreditvergabe verwenden könnten.

Wohl auch aus diesem Grund hat Weidmann in seiner Rede anläßlich des Frankfurt Euro Finance Summit eine Diskussion um den Ausstieg aus dem Pandemie-Kaufprogramm PEPP angestoßen. Generell kann die Notenbank das Geld über zwei Wege verknappen: indirekt, indem sie den Zentralbankzins von derzeit null anhebt – oder direkt, indem sie Staatsanleihen verkauft. Bei einigen Ländern besitzt sie mehr als die Hälfte der programmatisch ankauffähigen Staatsschulden, so bei Deutschland, den Niederlanden und Portugal. Damit ist sie zu einem marktmächtigen Akteur geworden, aber auch abhängig: Bereits ein Teilverkauf der 1,17 Billionen Euro schweren PEPP-Bestände würde Renditeanstiege hervorrufen. Anschluß- und Neukredite der hochverschuldeten Staaten würden erschwert, die Zinslasten würden steigen und bei sinkenden Anleihekursen hätten die EZB und der Bankensektor verlustbringende Wertberichtigungen zu verkraften – eine erneute Finanzkrise wäre möglich.

Die EZB steht deshalb vor einem Dilemma. Was wäre da leichter, als mehr Inflation zuzulassen? Die Geldentwertung ist zugleich eine Schuldenentwertung: Je Prozentpunkt Inflation würden die Staatsschulden Italiens real um 27 Milliarden Euro, die Deutschlands um 23 Milliarden Euro entwertet. Der Druck der Finanzminister auf die EZB dürfte also groß sein. Doch was ist, wenn die Inflationserwartungen anziehen und in die Lohnverhandlungen eingepreist werden? Dann droht eine Lohn-Preis-Spirale.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.