© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Milliarden für Anteilseigner
Börsenhoch: Immer mehr Konzerne kündigen Aktienrückkäufe in Rekordhöhe an
Thomas Kirchner

Vor 96 Jahren begannen die Dassler-Brüder in Herzogenaurach bei Nürnberg Sportschuhe herzustellen. Doch 1948 trennten sich ihre Wege: Adolf gründete Adidas, Rudolf den Konkurrenten Puma. Beide Unternehmer starben schon in den siebziger Jahren, doch ihre Firmen überlebten: Die Adidas AG ist nach Nike der zweitgrößte Sportartikelhersteller der Welt und Dax-Konzern. Puma rangiert nach der VF Corporation (Dickies, Eastpak, North Face, Timberland) derzeit nur auf Rang vier und im MDax.

Das Adidas-Geschäft lief 2020 bestens, so daß eine Dividende in Höhe von 585 Millionen Euro ausgeschüttet wurde. Vorige Woche kündigte der Vorstand an, bis Dezember eigene Aktien im Wert von bis zu 550 Millionen zurückzukaufen. Bis 2025 sollen acht bis neun Milliarden Euro durch Dividenden und Aktienrückkäufe an die Adidas-Anteilseigner ausgeschüttet werden, versprach Finanzvorstand Harm Ohlmeyer. Ein Großteil des Geldes wird wohl auch der milliardenschwere Verkauf der US-Tochter Reebok einbringen.

Viele Unternehmen verzeichnen trotz Corona Rekordgewinne

Allein Apple kaufte im ersten Quartal mehr eigene Aktien zurück als alle Dax-Konzerne im ganzen Jahr. Auch die Google-Mutter Alphabet oder die US-Bank JP Morgan Chase kaufen eigene Papiere im zweistelligen Milliarden-Volumen zurück. Toyota will immerhin Aktien im Wert von umgerechnet 1,9 Milliarden Euro aus dem Markt nehmen. Der Modehändler Zalando erwartet für 2021 ein Umsatzwachstum von über 30 Prozent, zudem sollen Aktien für 200 Millionen Euro zurückgekauft werden. Doch Aktienrückkäufe sind umstritten, obwohl sie sich kaum von Dividenden unterscheiden. Zahlt ein Unternehmen seine Gewinne als Dividende an die Anleger aus, bekommen alle eine Zahlung – und sie müssen Steuern darauf zahlen. Das Unternehmensvermögen schrumpft um die Summe der Dividendenzahlungen, die jetzt die Anleger direkt in ihrer Tasche haben. Das Gesamtvermögen der Anleger, minus Steuern, ist also unverändert, solange sonst alles gleich bleibt.

Ein Aktienrückkauf ist ähnlich. Wird der gleiche Betrag eingesetzt, sinkt das Unternehmensvermögen gleichermaßen. Die vom Unternehmen erworbenen eigenen Aktien werden annulliert, so daß sich der Unternehmenswert nun auf eine kleinere Zahl von Aktien verteilt, die deshalb pro Stück mehr wert sind. Doch nur die Anleger, die ihre Aktien freiwillig an das Unternehmen verkauft haben, zahlen Steuern. Das Gesamtvermögen der verbliebenen Anleger ist unverändert. Aus ihrer Sicht ist ein Aktienrückkauf steuerlich günstiger als eine Dividende. Anleger, die gerne eine Dividende gehabt hätten, konnten einen entsprechenden Teil ihrer Anteile im Rahmen des Rückkaufprogramms andienen, um an liquide Mittel zu kommen.

In vielen Ländern gibt es eine steuerlich unterschiedliche Behandlung von Anlegern für Dividenden und Gewinne aus Aktiengeschäften. In Deutschland und Österreich ist dies derzeit nicht der Fall, in der Schweiz hingegen werden Dividenden um 20 Prozent höher besteuert als Kursgewinne. In solchen Ländern sind Aktienrückkäufe für Anleger deutlich vorteilhafter als Dividenden.

Firmen können Aktien im Markt, durch einzeln ausgehandelte Käufe (etwa von einem Großaktionär) oder durch Angebote mit einem Auktionsmechanismus zurückkaufen. Käufe im Aktienmarkt überwiegen. Nicht alle angekündigten Rückkaufprogramme werden vollendet. Heftig umstritten ist in der empirischen Forschung, ob Aktienrückkäufe langfristig tatsächlich Kurse erhöhen oder nicht. In der Praxis der Kapitalmärkte hegt jedoch niemand solche Zweifel. Den theoretischen Unterbau für die Äquivalenz von Dividenden und Aktienrückkäufen lieferten 1961 Franco Modigliani und Merton Miller – beide erhielten später Wirtschaftsnobelpreise.

Bis 1998 waren Aktienrückkäufe in Deutschland weitgehend verboten

Ein Kritikpunkt ist der ungünstige Zeitpunkt, zu dem viele Rückkäufe stattfinden. Doch das liegt in der Natur der Sache: läuft das Geschäft gut, sprudeln die Gewinne und die Aktienkurse stehen hoch. Dann haben Firmen Geld für Dividenden oder Rückkäufe. Strauchelt das Geschäft, liegen die Kurse günstig, doch den Firmen fehlt das Geld für den Rückkauf. Lange herrschte in den USA die Ansicht vor, Rückkäufe wären Marktmanipulation. Sie waren zwar nicht verboten, aber rechtlich doch so problematisch, daß viele Firmen das Risiko nicht eingehen wollten. Die US-Wertpapieraufsicht SEC führte erst 1982 Vorschriften für Rückkäufe mit präzisen Kriterien ein, nachdem die Arbeiten von Modigliani und Miller Akzeptanz gefunden hatten. In Deutschland galt bis 1998 bis auf wenige Ausnahmen ein Aktienrückkauf-Verbot.

Rückkäufe finden heute erst nach Ankündigung statt, Panikreaktionen verwirrter Anleger sind deshalb unwahrscheinlich. Die wirklichen Risiken sind komplexer: Wird die Firmenleitung mit Aktienoptionen entlohnt, neigt sie eher zu Aktienrückkäufen als zu Dividendenzahlungen, da letztere den Kurs eher sinken lassen, wogegen er durch Aktienrückkäufe eher steigt. Neuere Entlohnungskonzepte nehmen deshalb nicht mehr nur den Aktienkurs als Kriterium, sondern die Gesamtrendite der Anleger.

Technologiefirmen nutzen Aktienrückkäufe, um die Vergütung der Angestellten durch Belegschaftsaktien auszugleichen. Im Silicon Valley haben auch einfache Programmierer im Laufe der Jahre Millionenvermögen durch Aktienoptionen angehäuft. Rückkäufe gleichen diese Verwässerung aus. Das Risiko dabei ist, daß im Bilanzlesen weniger versierte Anleger nicht erkennen, daß so Personalkosten aus der Gewinn- und Verlustrechnung verschwinden und an anderer Stelle als Kapitalmaßnahme auftauchen – obwohl die direkten Kosten der Aktienoption korrekt bilanziert werden.

Aber auch bei alten Industriefirmen sind Aktienrückkäufe sinnvoll. Die einst deutsche Linde AG sitzt wegen kartellrechtlich notwendiger Veräußerungen auf hohen Barmitteln. Große Investitionen oder Innovation sind im Kerngeschäft von Industriegasen derzeit nicht zu erwarten. Anstatt die Mittel in waghalsigen Projekten zu versenken, von denen die Geschäftsleitung keine Ahnung hat, ist die Ausschüttung an Anleger die optimalste Verwendung. Und Aktienrückkäufe sind eine Form, die alle Anleger unabhängig von ihrem steuerlichen Wohnsitz zufriedenstellt.

Adidas-Aktienrückkaufprogramm: adidas-group.com