© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Inflation im Supermarkt
Agrarmarkt: Viele Lebensmittel und Grundstoffe steigen im Preis / Ultralaxe Geldausschüttung der Zentralbanken treibt Spekulation an
Elias Huber

Zahlreiche Preise im Supermarkt ziehen spürbar an. Selbst bei deutschen Discountern sind seit Jahresanfang mehr Preise gestiegen als gefallen, wie die Lebensmittel-Zeitung berichtet, die sich auf den Wirtschaftsinformationsdienst preiszeiger.de beruft. Betroffen sind vor allem Markenprodukte – im Gegensatz zu den Eigenmarken der Händler. Etwa kosten Hanuta-Waffeln nun 2,19 statt 1,99 Euro und Coca Cola und Milka überschritten die Ein-Euro-Schwelle – Cola auf 1,19 Euro und Milka auf 1,15 Euro. Besonders viele Marken verteuerten sich bei Netto (512), aber auch bei Penny (370), Lidl (262) und Aldi Nord (163).

Ein Ende ist nicht in Sicht: Mehrere Hersteller kündigten in der Lebensmittel-Zeitung bereits an, aufgrund der gestiegenen Rohstoffkosten in den kommenden Monaten an der Preisschraube zu drehen. Auch der Lebensmittel-Konzern General Mills sagte dem Wall Street Journal, weltweit die Preise anheben zu wollen. Teurere Zutaten, Arbeitskräfte, Verpackungen und Transport würden die Kosten um sieben Prozent nach oben treiben, sagte ein Manager des Anbieters von Cheerios-Cornflakes oder Häagen-Dazs-Eis. Hohe Futterkosten, eine gestiegene Nachfrage und Veränderungen in der Lieferkette würden auch die Großhandelspreise für Rindfleisch voraussichtlich um zehn bis 13 Prozent steigen lassen, warnt das amerikanische Agraministerium (USDA). Die Geflügelpreise könnten sogar um 15 bis 18 Prozent klettern. Insgesamt sei der Consumer Price Index (CPI) zwischen Mai 2020 und Mai 2021 nur um fünf Prozent gestiegen.

Die steigenden Preise im Supermarkt kommen nicht von ungefähr. Die Erzeugerpreise ziehen nämlich noch rasanter an. Sie sind ein Frühindikator für die Verbraucherpreis-Inflation. Laut der UN-Ernährungsbehörde FAO verteuerten sich Agrarrohstoffe im Mai um knapp 40 Prozent innerhalb eines Jahres. Auch das Statistische Bundesamt berichtete für den März, daß die Erzeugnisse der Landwirte viel teurer geworden sind – etwa Salat (30,9 Prozent), Obst (28,9), Getreide (25,2) und Gemüse (13,9 Prozent). Die Preise von Schlachtschweinen (-24,9 Prozent) und Kartoffeln (-53,4) sanken aber deutlich, weil die Nachfrage aus Kanälen wie der Gastronomie oder Großveranstaltungen eingebrochen sei, berichteten die Statistiker.

Gleichzeitig seien die Produktionskosten der Bauern auf einem historischen Höchststand, meldete das Fachmedium Agrarheute. Mit Ausnahme der Veterinärkosten verteuere sich so ziemlich jedes Betriebsmittel, etwa landwirtschaftliche Bauten, Dünger, Maschinen oder Futtermittel. Agrarheute erklärt die rasant steigenden Agrarkosten mit den unterbrochenen Lieferketten aufgrund des Lockdowns. In Südchina sei wegen Quarantäneregeln ein großer Hafen lahmgelegt. Tatsächlich aber sind die Preise von Agrarrohstoffen laut dem Währungsfonds IWF bereits vor Corona angestiegen.

Finanzinvestoren betätigen sich vermehrt im Agrarsektor

Andere Experten zeigen auf die wachsende Weltbevölkerung. Jedoch schätzt die FAO, daß etwa die Getreideproduktion in diesem Jahr einen historischen Höchststand erreichen wird – auf 2,8 Milliarden Tonnen. Bauern weltweit sollen allein 3,7 Prozent mehr Mais ernten. Außerdem hat sich das Wachstum der Weltbevölkerung laut Weltbank stetig verlangsamt – von über 2 Prozent pro Jahr in den Sechzigern auf derzeit 1,04 Prozent im Jahr 2020. Was sich aber zuletzt verschnellert hat, ist das Gelddrucken der großen Zentralbanken. Seit Dezember 2007 – der vergangenen Finanzkrise – haben die wichtigsten Notenbanken ihre Bilanzsummen deutlich ausgeweitet und die Märkte regelrecht mir Geld überflutet. Laut Zahlen des britischen Cobden Centre wuchs die Bilanzsumme der US-Zentralbank Fed bis Juni um 793 Prozent – also um den Faktor 8. Bei der EZB waren es 408 Prozent. Allein seit der Corona-Krise verdoppelten beide Notenbanken nahezu ihre Bilanzsummen.

Dieses zusätzliche Geld fließt in Vermögensgüter wie Aktien und Immobilien und – sobald deren Preise angestiegen sind – auch in Agrarrohstoffe. Bereits vor der Finanzkrise 2008 stiegen die Preise der Agrarprodukte stark an. Finanzinstitute wie die Deutsche Bank standen in der Kritik, mit dem Hunger spekuliert zu haben. Das legte auch eine Studie von Ökonomen der Universität Duisburg-Essen nahe. „Die Inflation der Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise wurde offenbar von der Geldmengenexpansion in den großen Volkswirtschaften der Welt angetrieben“, schreiben sie über den Untersuchungszeitraum zwischen 1980 und 2011. Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise seien zu einem großen Teil durch die Finanzströme von Portfolioinvestoren getrieben, die auf den Rohstoffmärkten nach Rendite suchten, und nicht nur durch die Nachfrage der Realwirtschaft.

Auch eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2020 bestätigt, daß die Liquidität im Markt – definiert als die Geldmenge M2 – einer der wichtigsten Preistreiber ist. Die Autoren untersuchten Lebensmittelpreise im Iran zwischen den Jahren 1986 und 2017. „Bei einem Anstieg des Liquiditätsvolumens um ein Prozent steigen die Lebensmittelpreise um 0,62 Prozent“, schreiben sie über die lange Frist.

Auch der keynesianisch beeinflußte Volkswirt Heiner Flassbeck, bis 2012 Chef-Volkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (Unctad), sieht das so. Es sei zwar richtig, daß an der klassischen Preisspekulation – die es seit Jahrhunderten an Terminmärkten gebe – grundsätzlich nichts verkehrt sei. Aber was auf Derivatenmärkten seit einigen Jahren passiere, habe damit wenig zu tun, schreibt Flassbeck im Landwirtschaftsmagazin Topagrar. Dort seien nicht mehr vorwiegend Preisabsicherer tätig – etwa Großbauern, die sich mit Termingeschäften gegen mögliche Preisstürze absichern wollen –, sondern Investoren, die die Preise künstlich nach oben treiben würden.

Auf den Terminmärkten gebe es einen riesigen Überschuß an Liquidität – dort sei zwanzig- bis dreißigmal mehr Geld im Markt als Ware in Form von Weizen, Mais oder anderen Agrarprodukten. „Die Finanzströme haben sich völlig von den Warenströmen abgekoppelt“, kritisiert der linke Euro-Kritiker. Die hohen Preise durch die Geldflut der Zentralbanken dürften also den Hunger weltweit verschärfen. Sie treffen gerade Schwellenländer, die wirtschaftlich schwach und von Lebensmittel-Importen abhängig sind. Für diese erwartet die UN-Organisation FAO, daß die Importkosten in diesem Jahr um 20 Prozent ansteigen.

Um wiederkehrende Krisen und somit auch stark steigende Agrarrohstoffpreise zu verhindern, müßte deshalb die ungedeckte Geldschöpfung des Bankensystems aufhören. „Das Finanzsystem sollte ein vollgedecktes Warengeldsystem sein, wie ein 100-Prozent-Goldstandard“, sagt der VWL-Professor Philipp Bagus. Doch der endete spätestens mit dem Ersten Weltkrieg, der allerdings nur mit „lockerer“ Geldpolitik zu finanzieren war.

Food Price Outlook 2021: www.ers.usda.gov