© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

EZB-Geldpolitik enteignet still und leise
Sparda-Banken: Gewinneinbruch trotz Kontogebühren / Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof zweifelt die Zulässigkeit von Strafzinsen an
Jens Biedermeier

Seit 125 Jahren gibt es die Sparda-Banken in Deutschland. Seit bald fünf Jahrzehnten stehen sie auch Beschäftigten in der Privatwirtschaft offen. Die bundesweit elf Institute waren bei den über 4,1 Millionen Kunden beliebt, denn als genossenschaftliche Miteigentümer erhielten sie jährlich eine gute Dividende. Doch die volkskapitalistische Idylle ist vorbei: Die Gewerkschaft Verdi hat zu Warnstreiks aufgerufen. Zudem ist der Sparda-Gewinn von 147,6 Millionen Euro (2014) auf 70,7 Millionen Euro (2020) eingebrochen – Gehaltserhöhungen seien daher nicht drin.

Schuld ist die EZB-Niedrigzinspolitik. Höhere Überschüsse seien „erst dann wieder möglich, wenn das Zinsniveau wieder über alle Laufzeiten positiv ist“, erklärte Vorstandsmitglied Uwe Sterz vom Sparda-Verband in der Börsen-Zeitung. 2014 hätten die Mitgliedsbanken noch über eine Milliarde Euro Zinsüberschuß verbucht – 2020 seien es nur 880 Millionen Euro gewesen. Gleichzeitig stiegen die Einlagen um 4,9 Prozent auf 73 Milliarden Euro, während die ausgereichten Kredite nur um 1,7 Prozent auf 45 Milliarden Euro zulegten.

Die kostenlosen Konten sind Vergangenheit, Negativzinsen immer häufiger die Regel. Die Sparda-Bank West verlangt ab 50.000 Euro 0,5 Prozent bei Neukunden. Bei der niederländischen Onlinebank ING sind sogar Bestandskunden betroffen. Bei der Deutsche-Bank-Tochter Postbank liegt der Freibetrag für Neukunden nur bei 25.000 Euro. 349 Kreditinstitute erheben laut dem Vergleichsportal Verivox inzwischen Negativzinsen. Doch der auch coronabedingte Einlagenüberhang lasse sich „nicht in einem angemessenen Risiko-Rendite-Verhältnis am Kapitalmarkt anlegen“, klagt Sterz.

Doch Kontogebühren oder Provisionen aus der Vermittlung von Fonds können die Zinsverluste nicht ausgleichen. Mündelsichere Pfandbriefe oder Bundesanleihen rentieren längst negativ. Riskantere Wertpapiere mit positivem Ertrag erforderten ein höheres Eigenkapital, so der Sparda-Vorstand. Die EZB nehme „dem Sparer über ihre Leitzinssatzpolitik 0,5 Prozent weg, ohne ihm dafür etwas zu geben“, kritisierte der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof in der Welt. So werde der Sparer enteignet, obwohl der Staat prinzipiell nicht auf Privateigentum zugreifen darf. Das ist verfassungswidrig und widerspricht auch dem Europarecht“, so Kirchhof, der für die Sparda-Banken ein Gutachten zur EZB-Geldpolitik erstellt hat.

Der Verweis auf riskantere Anlageformen löse das Problem nicht: „Dem Sparer zu sagen, er könne in Aktien oder Kunst investieren, ist so, als riete man dem Winzer, stattdessen Bier zu brauen oder Fruchtsäfte zu verkaufen“, so der langjährige Chef der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft (DStJG). „Die EZB denkt stets in Globalpolitik und sieht nicht die Folgen für die einzelnen Menschen. Das deutsche Verfassungsrecht stellt dagegen die Grundrechte des Einzelnen an den Anfang“, so Kirchhof. „Das Recht auf Zinsen auf Sparguthaben ergibt sich nicht nur aus dem Grundgesetz, sondern auch aus dem Europarecht.“

Doch würde sich das heutige Bundesverfassungsgericht wirklich gegen Minuszinsen aussprechen? Allenfalls ist mit juristischen Verzögerungen zu rechnen. So entschied im April der Bundesgerichtshof (BGH), daß Kreditinstitute bei Änderungen ihrer Geschäftsbedingungen (AGB) die Zustimmung ihrer Kunden einholen müssen. Eine stillschweigende Zustimmung sei unangemessen. Doch wer sich nach einer Frist verweigert, dem wird gekündigt – und bei der Konkurrenz sind die Bedingungen oft noch schlechter.

 sparda-verband.de

 www.verivox.de