© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Jeckes in Zion
Literatur: Rafel Seligmann hat seine Familiensaga fortgeschrieben
Filip Gaspar

Der in Tel Aviv geborene und in Berlin lebende Schriftsteller Rafael Seligmann hat den zweiten Teil seiner Familientrilogie geschrieben. „Hannah und Ludwig“ ist nicht nur der Titel des Nachfolgers des 2019 erschienenen „Lauf, Ludwig, lauf!“, sondern es sind auch die Namen seiner Eltern. Der erste Band erzählte vom Leben der Familie Seligmann im bayerischen Ichenhausen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten zwingt Ludwig und seinen Bruder Heinrich 1933 nach Palästina zu fliehen.

Hier setzt der zweite Band an. Nur mit einem Koffer in der Hand sind die beiden Jeckes in Zion angelangt. „Jeckes“ bezeichnet im Jiddischen die deutschsprachigen jüdischen Einwanderer der 1930er Jahre in Palästina und ihre Nachkommen. Seligmann zeichnet das ungleiche Brüderpaar als Prototypen jener Zeit. Vater Ludwig ist sofort von der neuen Heimat begeistert: „Seit ich mich erinnern konnte, hatte ich wie alle Juden unserer Gemeinde das Gelobte Land gepriesen und um Rückkehr unseres Volkes nach Israel gefleht“, heißt es gleich zu Anfang des Buches. Ludwig sucht sich eine Anstellung, um genug Geld zu verdienen. In Deutschland bereits als Kaufmann tätig, arbeitet er sich mit deutschem Fleiß und Disziplin nun von einer Putzkraft zum Prokuristen des erfolgreichen Textilunternehmens Hefziba hoch.

Er lernt die aus Berlin geflohene Hannah kennen, heiratet sie und im Oktober 1947 kommt der gemeinsame Sohn Rafael zur Welt. Später holt Ludwig die in NS-Deutschland gebliebenen Geschwister und Eltern nach. Der Bruder Heinrich möchte Israel nicht als neue Heimat anerkennen, weil er glaubt, daß die Nationalsozialisten bald Geschichte sein werden: „Sobald sich die Lage daheim wieder normalisiert, bin ich der Erste, der zurückkehrt.“ Deswegen lernt er erst gar nicht richtig Hebräisch und ist innerlich noch in der alten Heimat. Die Startschwierigkeiten der Jeckes in Israel werden beschrieben. Die auf gute Manieren und ein gepflegtes Äußeres Wert legenden Brüder finden sich in einer Umgebung wieder, in der diese Eigenschaften weniger gefragt sind. Das heiße Klima macht Ludwigs Frau Hannah zu schaffen. Viele sehen sich gezwungen, Arbeiten zu verrichten, für die sie überqualifiziert oder nicht ausgebildet sind. Doch in der Not frißt der Teufel Fliegen. Die schon länger im Land Lebenden empfangen die Neuankömmlinge nicht immer mit offenen Armen.

Einführung in die Geschichte Israels in den Anfangsjahren

Doch wie der Bruder Heinrich schaffen es auch viele andere nicht, Deutschland hinter sich zu lassen. Man bildet eine Parallelgesellschaft von Jeckes. Es wird untereinander geheiratet und man hilft sich gegenseitig. Daß die Oper keine Stücke von Richard Wagner aufführt, ist ein kleiner Skandal. Die Seligmanns sind nicht nur Zuschauer in der ersten Reihe der Weltpolitik, sondern mittendrin. Araber und Juden führen einen Kampf um diesen Flecken der Erde. Als weiterer Akteur ist da immer noch die britische Besatzungsmacht. Die Geschehnisse und Entwicklungen im Deutschen Reich bleiben immer präsent. Die Angst um die zurückgelassenen Verwandten ist spürbar. Kurz nach Ausbruch des Israelischen Unabhängigkeitskrieges brechen bei Hannah Traumata hervor. Die Ungewißheit über die in Polen verbliebende Familie liegt wie ein Fluch über dem jungen Familienglück.

Neben einem spannenden Roman bekommt man eine Einführung in die Geschichte Israels in den Anfangsjahren. Das damalige Leben wird bildreich geschildert, und der Leser hat das Gefühl, auf den Straßen Tel Avivs zu flanieren. Seligmann fügt an den passenden Stellen jiddische und hebräische Wörter ein. Diese können in einem Glossar am Ende des Buches nachgeschlagen werden. Auf den beruflichen Aufstieg Ludwigs folgt die Pleite mit einem eigenen Bistro. Geldsorgen und Hannahs Gesundheitszustand zwingen die Familie, die Rückreise nach Deutschland anzutreten. Mit einem Verweis auf den noch ausstehenden dritten Teil der Familiensaga endet der Roman.

Rafael Seligmann: Hannah und Ludwig. Heimatlos in Tel Aviv. Roman. Langen Müller, München 2020, gebunden, 400 Seiten, 24 Euro