© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Die Herrschaft ist nicht absolut
Debatte: Die katholische Kirche und ihre vermeintliche Tier- und Naturvergessenheit
Dirk Glaser

Zuverlässig schädigen derzeit „Mißbrauchsskandale“ und deren mehr oder minder glückliche Aufarbeitung das Ansehen der katholischen Kirche. Doch für ihre Kritiker sind das nur Symptome einer fundamentalen Krise, die aus dem falschen Weltbild nicht nur des römisch-katholischen, sondern des christlichen Glaubens überhaupt entstanden ist. Denn für die in den letzten dreißig Jahren zunehmend alle anderen politischen Probleme überlagernde Frage nach dem Umgang des Menschen mit den Ressourcen des blauen Planeten scheint die katholische Kirche die falschen Antworten zu geben. Da nützt es auch nichts, daß Franziskus sich als „ökologischer Papst“ versteht und der Vatikan aus Sicht vieler Traditionalisten mittlerweile der römischen Filiale von Greenpeace gleicht. 

Im Mittelpunkt der Anklage, den umweltpolitischen Herausforderungen der Menschheit nicht mehr gewachsen zu sein, steht die in den 1960ern vom US-Wissenschaftshistoriker Lynn White erstmals formulierte These, das jüdisch-christliche Denken habe deswegen kein Rezept zur Lösung des damals schon beschworenen ökologischen Desasters kapitalistischen Wirtschaftens, weil es deren Urheber sei. Fiel doch in der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte der Startschuß zur Ausbeutung des Planeten „Macht euch die Erde untertan …“ (Genesis 1,28). Seitdem gelte für Katholiken, was der Chansonnier Udo Jürgens im Schatten der ersten UN-Nachhaltigkeitskonferenzen auf den Punkt einer bissigen Liedzeile brachte: „Was kümmert uns die Zukunft, wir beichten im Gebet:/ Verzeih’ mir Habgier, denn mein ist der Planet.“

Christoph J. Amor, Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen in Südtirol, räumt in seinem Essay „Tiere in der kirchlichen Lehre – Gottes vergessene Geschöpfe?“ (Zeitschrift für Theologie und Philosophie [ztp.jesuiten.org], 143/2021) ein, daß im Zentrum der christlichen Theologie traditionell der Mensch stehe. Denn der Mensch ist „auf Erden das einzige Geschöpf (…), das Gott um seiner selbst willen gewollt hat“ (Genesis 24,3). „Die Erde, mit allem, was in ihr enthalten ist“, hat Gott „zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt“ (Genesis 69,1). Der katholische Häretiker Hans Küng habe diese Anthropozentrik des Christentums prägnant zusammengefaßt: „Gott will nichts anderes als den Vorteil des Menschen, seine wahre Größe, seine letzte Würde. Also das ist der Wille Gottes: das Wohl des Menschen. Gottes Wille, von der ersten bis zur letzten Seite der Bibel, zielt auf das Wohl des Menschen auf allen Ebenen, zielt auf das definitive und umfassende Wohl, biblisch das ‘Heil’ des und der Menschen.“

Dem Menschen ist nur die Verwaltung der Güter anvertraut

Gegen diesen cantus firmus der Theologie und Kirche werden seit geraumer Zeit Stimmen laut, die sich vor allem für eine Rehabilitierung der Tiere stark machen, die im Christentum ein „Mauerblümchendasein“ führen würden. Der Widerspruch hat sich am mangelhaften Engagement der Kirche gegen medizinische Tierversuche entzündet. Was nicht verwundere, denn der „Katechismus der Katholischen Kirche“ (KKK), der seit 1997 das römisch-katholische Verständnis des christlichen Glaubens authentisch und verbindlich formuliert, sei, wie der Moraltheologe Martin M. Lintner moniert, „unter tierethischer Rücksicht unzulänglich und reformbedürftig“.

Dieser Kritik stellt Amor die Behauptung entgegen, daß der pauschale Vorwurf der „Tiervergessenheit“ nicht zutreffe und eine „tiersensible Anthropologie“ kein Fremdkörper für die katholische Dogmatik sei, sondern sie sich sogar aus deren ureigensten Prinzipien entwickeln lasse. Das sei anhand einer Auslegung des KKK relativ einfach zu belegen, und zwar dort, wo man es bei nur flüchtiger Lektüre nicht erwartet, in den Erläuterungen zum 7. Gebot des Dekalogs: „Du sollst nicht stehlen“ (Exodus 20, 15). Bei dessen inhaltlicher Konkretisierung mahnt der Katechismus mit Nachdruck an: „Das siebte Gebot verlangt auch, die Unversehrtheit der Schöpfung zu achten.“ Zugunsten dieser Handlungsmaxime werden theologische und durchaus auch moderne ökosoziale Argumente angeführt. Der Katechismus betont daher, daß Gott als der Schöpfer des Weltalls und der Erde der eigentliche und rechtmäßige Besitzer aller irdischen Güter sei. Dem Menschen hingegen ist nur ihre verantwortungsvolle Verwaltung anvertraut. 

Der Herrschaftsauftrag der Schöpfungsgeschichte sei mit dem Katechismus darum nicht absolut, sondern nur als Bewahrungsauftrag zu verstehen: „Die Bodenschätze, die Pflanzen und die Tiere der Welt dürfen nicht ohne Rücksicht auf sittliche Forderungen genutzt werden.“ Erwähnt werden in diesem Kontext zudem die daraus abzuleitende Sozialpflichtigkeit des Eigentums sowie die Prinzipien der Nachhaltigkeit und der Generationengerechtigkeit. Allein auf dieser Grundlage spricht sich der Katechismus dafür aus, daß der Mensch Tiere zur Ernährung töten und zur Herstellung von Kleidung nutzen darf. Auch gegen den Einsatz von Tieren bei der Arbeit und gegen die Zähmung von Haustieren erhebt der KKK keine moralischen Bedenken. Für sittlich zulässig werden außerdem „medizinische und wissenschaftliche Tierversuche“ erachtet, sofern sie in „vernünftigen Grenzen bleiben und dazu beitragen, menschliches Leben zu heilen und zu retten“. 

Zugeben will Amor anhand so klarer Aussagen, daß der Katechismus Tiere wie Pflanzen primär als Gebrauchsgegenstände behandelt und daher einen „zwiespältigen Eindruck“ hinterlasse. Es sei auch unbestreitbar, daß die katholische Theologie bei der „Würdigung des Nichtmenschlichen“ Nachholbedarf habe. Aber immerhin: Seit 1967, seit der Enzyklika „Populorum progressio“ von Papst Paul VI., noch bevor der Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ markierte, demonstriere der Vatikan „ökologische Sensibilität“. Zuletzt 2015 mit der Umwelt- und Sozialenzyklika „Laudato si’“ von Papst Franziskus, die eine deutliche Absage an die absolute Herrschaft des Menschen über andere Geschöpfe und deren Lebensräume enthalte.

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