© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Im Gefängnis der Gefühle
Familientragödie im Kino: „May, die dritte Frau“ von Ash Mayfair
Claus-M. Wolfschlag

May, die dritte Frau“ ist ein in poetischen Bildern erzählter Film. Er beginnt mit der träumerisch präsentierten Reise einer jungen Braut zu ihrem künftigen Bräutigam und einer in üppiger Natur lebenden Hofgemeinschaft. Doch hinter der in zauberhaft weiches Licht getauchten Idylle nagt der Wurm. 

Die Handlung spielt im Vietnam des 19. Jahrhunderts und führt in eine Welt patriarchaler Traditionen und feudaler Landstrukturen. Die 14jährige May (Nguyen Phuong Trà My) reist als Entschädigung für väterliche Schulden zu ihrem wohlhabenden Ehemann, den sie zuvor noch nicht gesehen hat. Der ältere Großgrundbesitzer Hung nimmt sie zur Drittfrau, und die kindhafte May teilt fortan ihren Platz mit den anderen beiden Ehefrauen Lao und Xuan. Erst langsam wächst sie in die Familienregeln und Abläufe auf der Seidenplantage hinein. Bald wird sie schwanger, und sie erkennt, daß es für sie zur Erlangung von Status wichtig ist, dem Hausherren einen Sohn zu schenken, wozu die anderen beiden Frauen offenbar nicht in der Lage sind.

May entdeckt, daß Xuan eine Affäre mit dem erstgeborenen Sohn ihres Mannes hat. Dieser Sohn wiederum soll eine vom Vater arrangierte Ehe eingehen, was er vehement ablehnt. Zugleich gesteht May Xuan ihre Liebe, was diese aber als Geistesverirrung von sich weist. Eine Tragödie bahnt sich an.

Anschlußfähig an feministische Diskurse

Die in Vietnam geborene Regisseurin und Drehbuchautorin Ash Mayfair (36) erklärte, daß der Film von der Geschichte ihrer Familie inspiriert sei. Es sei „eine Coming-of-Age-Erzählung, eine Geschichte über Liebe und Selbstfindung in einer Zeit, in der Frauen kaum ein Mitspracherecht besaßen. Die weibliche Sexualität, der Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter und der Kampf des einzelnen Menschen in einer konservativen patriarchalischen Gesellschaft sind Themen, die mich immer fasziniert haben.“ Sie zeige deshalb „eine Gesellschaft, in der Traditionen, Geschichte und Gemeinschaft höher wertgeschätzt wurden als persönliche Unabhängigkeit“.

Männer treten in dieser Geschichte meist als autoritäre Besitzverwalter und Heiratsschacherer auf, Frauen werden als Verfügungsmasse dargestellt. Liebe wird den Konventionen untergeordnet, lesbische Liebe ist gar jenseits der Denkbarkeit. So werden Ausbrüche und Rebellion der Frauen aus diesem Gefängnis der Gefühle in verschiedener Weise präsentiert, als Selbstmord, angedeutete Kindstötung und Abschneiden des eigenen Haars.

„May, die dritte Frau“ zeigt eine Welt, in der die Unterordnung unter die Regeln der Tradition eine Notwendigkeit zum Überleben in der Gemeinschaft darstellte. Der Film kommt dabei zwar im Gewand der Historien-Erzählung daher, erweist sich aber bewußt als anschlußfähig an feministische Diskurse unserer modernen Gesellschaft. Das dürfte dem Film viel positive Aufmerksamkeit in den Feuilleton-Spalten einbringen.