© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Ausgefeiltere Zensur
Verschärfungen der NetzDG-Reform in Kraft: Weitere Maßnahmen sind bereits in Arbeit
Ronald Berthold

Droht den Deutschen eine umfangreiche Blockade des Internets? Zwei politische Initiativen sorgen derzeit für Befürchtungen. Zunächst hat die Bundesregierung das ohnehin umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) weiter verschärft. Außerdem arbeiten die Bundesländer an der Einführung von Jugendschutzfiltern. Dies werde laut IT- und Medien-Verbänden „zu einem faktischen Sperren weiter Teile des Internets“ führen – nicht nur für Jugendliche, sondern für alle.

Das Merkel-Kabinett hatte zwar angekündigt, eine Evaluierung des NetzDG abzuwarten, bevor es sich erneut damit beschäftigt. Doch die Regierung entschied sich, die Ergebnisse über die Auswirkungen auf die Freiheit im Internet weitgehend zu ignorieren. Die Novelle, die der Bundestag gegen die Stimmen von AfD und FDP annahm, erleichtert es sogenannten „Meldern“, kritikwürdige Beiträge aus sozialen Netzwerken löschen zu lassen. Seit vergangener Woche gelten nun die Bestimmungen der NetzDG-Reform.

Die Identitäten der Beschwerdeführer dürfen Betreiber wie Facebook, Twitter, Google und Youtube den Betroffenen nicht mehr zugänglich machen – auch nicht „versehentlich mit dem Antrag“. Die Bundesregierung besteht darauf, daß die „Melder“ – anders als bei Gerichtsverfahren – den Schutz der Anonymität genießen.

Außerdem müssen Unternehmen Meldewege „leicht auffindbar“ präsentieren. Ein Klick soll reichen, um vermeintlich strafbare Beiträge anzuzeigen. Die Funktion müsse für jeden Nutzer „einfach zu bedienen“ sein. Die sozialen Medien dürften nun noch mehr Löschanträge erhalten – insbesondere für Beiträge, die dem Mainstream widersprechen.

Bereits zuvor hatte das NetzDG für eine Löschorgie gesorgt. Experten nennen das „Overblocking“. Von hohen Geldstrafen bedroht, entfernten die Netzwerke sogar Links zu kritischen Texten beispielsweise über die Flüchtlingspolitik, die in angesehenen Zeitungen erschienen waren. Es nicht den Gerichten zu überlassen, sondern Unternehmen dazu zu drängen, zulässige Kritik von strafbaren Äußerungen zu unterscheiden, hat sich laut Juristen als Einschränkung der Meinungsfreiheit entpuppt.

Entwurf zum Jugendmedienschutz

Das federführende Bundesjustizministerium sieht das anders: „Nach derzeitigem Stand liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß das NetzDG systematisch unrechtmäßige Entfernungen von Inhalten durch soziale Netzwerke befördert“, heißt es auf der Webseite. Fälle, in denen Nutzer juristisch erfolgreich gegen Löschentscheidungen oder Accountsperrungen von Anbietern vorgegangen seien, „hatten keinen Zusammenhang mit dem NetzDG“, schreibt das Haus von Ministerin Christine Lambrecht (SPD).

Gegen eine noch deutlich stärkere Einschränkung der Freiheit im Netz gehen nun zahlreiche IT- und Medien-Verbände auf die Barrikaden. Die deutsche Politik plant, Anbieter von Betriebssystemen wie Windows oder MacOS dazu zu verpflichten, Jugendschutzfilter einzurichten. Dies würde auf jedem Handy, PC, Laptop oder Tablet eine Voreinstellung nötig machen, die automatisch alle Webseiten blockiert, die nicht für Personen unter 18 Jahren geeignet sein könnten bzw. – und das ist besonders fatal – nicht mit einem Alterslabel, also zum Beispiel einer Freigabe ab 0 Jahren, versehen sind. „Das beträfe die meisten Webseiten der Welt“, schreibt der auf Informations- und Telekommunikationstechnik spezialisierte Nachrichtendienst „heise-online“. Er spricht von „Zensur“.

Die Blockade des größten Teils des Internets käme über eine entsprechende Verschärfung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags, den die Bundesländer aktuell erarbeiten. In einem harschen Brief an die Ministerpräsidenten, aus dem „heise“ zitiert, protestieren die Organisationen Bitkom, eco, Game, Vaunet und ZVEI sowie die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft und die Selbstregulierungsinstanzen FSF, FSK, FSM und USK gegen das Vorhaben, das die Länderregierungen in einem „ersten Arbeitsentwurf“ niedergeschrieben haben. Zwangsläufig entstehe ein weiteres „Overblocking“.

Denn: In Deutschland und weltweit verfügen die wenigsten Internetseiten über Altersfreigaben. Es sei auch nicht zu erwarten, so die Verbände, daß sämtliche Webseiten-Betreiber „in Zukunft nach dem deutschen System labeln werden“. Dies würde Betriebssystem-Anbieter „zu einem faktischen Sperren weiter Teile des Internets verpflichten“.

Außerdem müßte jeder Nutzer, der die wenigen Webseiten mit technischen Alterskennzeichen besuchen möchte, zunächst sein Geburtsdatum nachweisen, um wenigstens dort surfen zu können. Die Blockade würde also nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern jeden betreffen. Folge: Für die Deutschen wären nur noch ausgewählte Portale sichtbar.