© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Waldbrüder überall
Vom Baltikum zur bis Adria: Partisanen kämpften nach 1945
Matthias Bäkermann

Die Einsicht, daß mit dem 8. Mai 1945 die Gewalt in Europa keineswegs endete, setzt sich zunehmend in der historischen Betrachtung durch, Akzente in der Periodisierung setzten auch hier vorwiegend angelsächsische Historiker wie Anne Applebaum („Der Eiserne Vorhang. Die Unterdrückung Osteuropas“, 2013), Keith Lowe („Der wilde Kontinent“, 2014) oder Ian Kershaw („Höllensturz“, 2015).

Aus westlicher Sicht entzogen sich die Vorgänge hinter dem Eisernen Vorhang in den sowjetischen Satellitenstaaten der Beobachtung. So gab es vor 1989 allenfalls schemenhafte Informationen von Exil-Balten über „Waldbrüder“, die nach der „Befreiung“ ihrer estnischen oder lettischen Heimat 1944 den Kampf gegen die sowjetischen Okkupatoren fortsetzten. Daß der „gewalttätige Widerstand“ gegen die kommunistische Herrschaft kein vereinzeltes Phänomen war, weisen 21 Historiker in ihren Aufsätzen über die bis 1956 tätigen Untergrundorganisationen zwischen Estland, Ukraine, Albanien und Bulgarien nach. Die fortschreitende Festigung der Herrschaft der jeweiligen KP, aber vor allem die Zäsur von 1956 mit der Niederschlagung der antisowjetischen Aufstände in Posen und Budapest brachen dieser „Resistance“ letztlich das Genick.

Bereits zuvor wurden lokale Aufstände unterdrückt und die Führer der Rebellion inhaftiert und abgeurteilt. Bis 1958 konnten zum Beispiel Teodor Șușman und seine Söhne, die im Nordwesten Rumäniens den Widerstand gegen die Kollektivierung organisierten und 1950 in Klausenburg von einem Militärtribunal in Abwesenheit zu jahrelanger „schwerer Strafarbeit“ verurteilt wurden, in ihren Rückzugsorten in den Bergen „eliminiert“ werden, wie der Inlandsgeheimdienst Securitate später jubilierte.

Die politische Herkunft und Ausrichtung der Widerstandbewegungen war in den Ländern höchst heterogen. Besonders die wirkungsmächstigsten und quantitativ bedeutendsten Gruppen rekrutierten sich oft aus Nationalisten, die vor 1945 teilweise mit der deutschen Besatzungsmacht kollaboriert (Ukraine) oder als Mitglieder der Waffen-SS sogar auf ihrer Seite gekämpft hatten (Baltikum). In Jugoslawien konnten sich im Osten Bosniens bis Anfang der fünfziger Jahre Gruppen von royalistischen serbischen Tschekniks halten, die die vorherigen Massaker von faschistischer Ustascha und kommunistischen Tito-Partisanen überlebten. Alle diese Gruppen mußten, genauso wie der anti-kommunistische Widerstand in Polen, trotz vielfältiger Hilfe der eigenen Bevölkerung infolge der ausbleibenden logistischen Unterstützung von außen irgendwann aufgeben. Eine umfangreiche Aufarbeitung der danach einsetzenden Verfolgung seitens der „staatlichen Dienste“ steht in den früheren sowjetischen Satellitenstaaten noch aus.

Michael Gehler, David Schriffl (Hrsg): Violent Resistance. From the Baltics to Central, Eastern and South Eastern Europe 1944–1956. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2020, gebunden, 457 Seiten, 78 Euro