© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Über den Atlantik kommt nichts Gutes
Der Schriftsteller Wolfgang Bittner hat eine Streitschrift gegen die „friedensgefährdende“ und zu starke Westorientierung Deutschlands vorgelegt
Rolf Stolz

Angeklagte in einem Hochverratsprozeß erklären selten genug, man habe das Land verraten wollen. So gut wie nie vernimmt man ein solches Bekenntnis von denen, die als Vorkämpfer Europas und wahrhafte Volksvertreter auftreten. Allenfalls fanatische antideutsche Sektierer äußern offen, sie möchten Deutschland ruiniert oder gleich ausradiert sehen. Genausowenig geben Politiker zu, sie seien bereit, für persönliche Vorteile ihr Land auf dem Schwarzmarkt an der Atlantik-Brücke an fremde Mächte zu verkaufen. Aber gerade sie demaskiert Wolfgang Bittner. 

Vorurteilslos beschreibt er, wie Deutschland seit über hundert Jahren „von mißgünstigen, intriganten Drahtziehern aus dem britisch-amerikanischen Establishment“ destabilisiert und niedergehalten wurde. Er konstatiert: „Das Deutsche Reich, nach dem provozierten Ersten Weltkrieg und dem Versailler Vertrag gedemütigt und ausgeplündert, nach dem Zweiten Weltkrieg und der bedingungslosen Kapitulation von den Siegermächten besetzt, wurde durch den Torso Bundesrepublik Deutschland als Einflußgebiet und europäischer Brückenkopf der USA abgelöst.“ Die Verweigerung des Friedensvertrags und der vollen staatlichen Souveränität, die Truppenstationierung, die Feindstaatenklauseln der UN – all das wirkt fort, zusammen mit dem „zivilisatorischen Bruch“ der NS-Zeit.  

Wolfgang Bittner denkt geopolitisch und weist überzeugend nach, wie sehr Deutschland ein Interesse haben muß an einer Kooperation mit Rußland und wie sehr diese machtvolle Brücke zwischen West und Ost zunächst von England und später von den USA bekämpft wurde. Die auf die Dominanz der Seemacht England setzende Herzland-Theorie Halford Mackinders (die Welt beherrscht, wer das Zentrum Europas bestimmt) wurde nach 1918 wiederaufgenommen von den USA. Bittner konstatiert: „Mit ihrem Vorgehen gegen Nordstream 2 demonstrieren die USA in gewohnter Weise despotisch und zutiefst heuchlerisch ihren hegemonialen Anspruch, ohne bei der deutschen Regierung auf ernsthaften Widerstand zu stoßen.“ Ähnlich wird von Washington das Großprojekt der Neuen Seidenstraße, bei dem China und Russland eng zusammenarbeiten, mit aller Entschiedenheit bekämpft. 

Bittner zählt die Namen derjenigen auf, die eine friedensgefährdende rußlandfeindliche Politik in Deutschland flankieren: von Baerbock bis Bütikofer, von Maas bis Röttgen, von Lambsdorff bis Lindner. Sie haben gemeinsam mitgeholfen, das von der Bush-Regierung 1990 Gorbatschow gegebene Versprechen, die Nato nicht nach Osten auszudehnen, zu brechen – mit der militärischen Einkreisung Rußlands und der schrittweisen Machtübernahme in der Ukraine (aktiv einwirkend: Joe Biden und sein Sohn Hunter). Zu Recht weist der Autor darauf hin, daß „sich die Bedrohung Rußlands zugleich gegen Deutschland wendet“. Aus der Nato wurde seit der Osterweiterung aus einem Verteidigungs- zunehmend ein „Aggressionsbündnis“. Konstruktive Vorschläge wie der von Rolf Mützenich zum Abzug der Atomraketen aus Deutschland wurden sofort von den entsprechenden „Falken“ und ihren Lobbyisten wie Heiko Maas ausgebremst. Ähnlich wurde der von Trump begonnene Truppenabzug von Berlin abgelehnt und von Biden sofort zurückgenommen. 

Wolfgang Bittner, ein unabhängiger Linksintellektueller, der sein Volk, seine Sprache und seine Kultur liebt, hat eine informative Streitschrift vorgelegt. Die, die seine Kritik am nötigsten zur Kenntnis nehmen sollten – Nationalallergiker und Selbsthasser, Ultras der Amerikabegeisterung, Nato-Extremisten – werden dieses Buch vermutlich aber gar nicht erst lesen. Wer andererseits eine Detailkritik der Verhältnisse in Rußland oder in China erwartet, kommt nicht auf seine Kosten, denn das ist hier nicht Thema. Vertreter einer unabhängigen und neutralistischen deutschen Friedenspolitik werden hingegen ausreichend mit Argumenten versorgt.

Wolfgang Bittner: Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen. Zeitgeist Verlag, Höhr-Grenzhausen 2021, gebunden, 320 Seiten, 19,90 Euro