© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Mehr als Vögel und Ballons
Erstaunlicher US-Geheimdienstbericht über nicht identifizierte Flugphänomene veröffentlicht
Tobias Albert

Der außerirdische E.T. oder die neue russisch-chinesische „Achse des Bösen“? So könnte man die eigentliche Frage umformulieren, die hinter einem Bericht des US-Geheimdienstes ODNI (Office of the Director of National Intelligence) steckt, der vergangene Woche veröffentlicht wurde. Und obwohl die Untersuchung der Sichtungen von „nicht identifizierten Flugphänomenen“ (Unidentified Aerial Phenomena/UAP) zunächst nach obskuren UFOs und Science-fiction klingt, stellen die Ergebnisse tatsächlich die nationale Sicherheit der größten Wirtschafts- und Militärmacht der Welt in Frage.

Spekulationen über russische und chinesische Militärtechnologien

Schon in den vergangenen Jahren berichteten US-Medien, daß Kampfpiloten des US-Militärs regelmäßig unbekannten Flugobjekten begegnen, deren Manövrierfähigkeit und Geschwindigkeit für US-Technologie unerreichbar seien. Kronzeuge für diese Behauptungen ist Luis Elizondo, bis 2017 Direktor des Advanced Aerospace Threat Identification Program (AATIP), einem Pentagon-Projekt zur Identifikation von fortgeschrittenen Gefahrentechnologien im Luftraum. Elizondos Glaubwürdigkeit wurde zwar in Zweifel gezogen, doch der nun veröffentlichte ODNI-Bericht dürfte seinen Argumenten Auftrieb verleihen.

Das US-Verteidigungsministerium analysierte 145 Sichtungen von UAPs, die seit 2004 hauptsächlich von Militärpiloten gemeldet wurden. Nur eine einzige Sichtung konnte mit hoher Sicherheit als ein großer Ballon identifiziert werden. Die 144 anderen Ereignisse blieben unbekannt, wurden allerdings fünf Gruppen zugeordnet. Als Clutter (Krempel) werden dabei Vögel, Ballons und fliegende Plastiktüten zusammengefaßt, die lediglich einen Störfaktor für das Militär darstellen. Auch Naturphänomene in der Atmosphäre können auf manchen Meßinstrumenten den Eindruck eines Flugobjektes erwecken, etwa Eiskristalle, Feuchtigkeitszonen und Wärmefluktuationen.

Nicht ausgeschlossen ist, daß es sich bei manchen der gesichteten UAPs um geheime Technologien der US-Regierung oder der Industrieforschung handelt, doch der öffentliche Bericht hält sich hierzu bedeckt. Manche Beobachtungen seien diesen Geheimprojekten zuzuordnen, doch dies könne nicht bestätigt werden. Ebenso liegt als vierte Kategorie der Verdacht nahe, daß es sich um geheime Technologien oder Drohnen fremder Staaten handelt, wobei explizit China und Rußland genannt werden. Zuletzt bleibt eine undefinierte Kategorie „Sonstiges“, in die auch Flugobjekte fallen, deren Flugbewegung ungewöhnliche Charakteristika aufweisen.

Trotz aller medialen Aufregung um den Bericht wird die Möglichkeit, es mit außerirdischen Phänomenen zu tun zu haben, nirgends erwähnt. Anders als bei anekdotischen UFO-Sichtungen wurden die hier untersuchten Vorkommnisse meistens durch militärische Sensoren aufgenommen, so daß es keine reinen Augenzeugenberichte sind. Dennoch kritisieren die Autoren die schlechte Datenqualität, da es bis zum März 2019 keine einheitlichen Standards für die Berichte gab. Daher sind die älteren Beobachtungen wohl nur schwer miteinander zu vergleichen, wie auch das kuriose „riesige Tic Tac“, das von Kampfpiloten des Flugzeugträgers „USS Nimitz“ im Jahre 2004 vor der Küste Kaliforniens gesichtet wurde.

Interessant ist allerdings, daß in 18 Fällen die UAPs ungewöhnliche Bewegungsabläufe aufwiesen, die den derzeitigen Stand der Technik zu übertreffen scheinen: Die Flugobjekte konnten „abrupt manövrieren oder sich mit bemerkenswerter Geschwindigkeit bewegen, ohne eine sichtbare Antriebstechnik“, was durchaus zu Elizondos Behauptungen paßt. Da der ODNI-Bericht ausdrücklich russische und chinesische Technologien als Ursachen der UAP-Sichtungen in Betracht zieht, werden unweigerlich Erinnerungen an die ab 1990 entwickelte Hyperschallrakete „Awangard“ wach, die laut russischen Angaben durch ihre Manövrierfähigkeit und hohe Geschwindigkeit jedem Raketenabfangsystem trotze und seit 2019 einsatzbereit sein soll.

Auch Monsterwellen sind kein Seemannsgarn

Falls sich hinter der „Awangard“ mehr als nur ein Propagandatrick befindet, könnten auch weitere russische Geheimprojekte eine im Westen unerreichte Flugfähigkeit verwirklicht haben. Die UPA-Sichtungen seien zudem mehrheitlich in der Nähe von US-Militärobjekten aufgetreten, was einerseits auf gezielte Spionagetätigkeiten hindeuten könnte, andererseits aber ein statistischer Stichprobenfehler sein kann: Wenn hauptsächlich Beobachtungen von Militärpiloten ausgewertet werden, die einen Großteil ihrer Zeit in ihren Basen verbringen, wird auch ein Großteil der Sichtungen in der Nähe davon vorkommen.

Doch bevor die Angst vor russischen, chinesischen oder gar nordkoreanischen „Wunderwaffen“ grassiert, sollte daran erinnert werden, daß die UPA-Sichtungen ebenso US-Geheimprojekte sein könnten, die während ihrer Testflüge beobachtet wurden. Der Bericht hält sich hierzu verständlicherweise bedeckt – und den Verdacht auf den Gegner zu lenken ist ein alter Agententrick. Um die Daten- und Analysequalität zu verbessern, schlagen die Autoren des Berichts vor, die Datenbasis mit Beobachtungen von bekannten Objekten wie etwa Wetterballons zu erweitern. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) sollen dann die bekannten und unbekannten Flugobjekte in Gruppen klassifiziert werden.

So könnten bereits einige UPAs identifiziert werden. Ebenso soll die standardisierte Berichterstattung der US-Marine auf alle Militärzweige ausgeweitet werden, um die künftigen Beobachtungen besser miteinander vergleichen zu können. Auch die Auswertung historischer Radardaten durch KI-Algorithmen wird ins Spiel gebracht, um die Datenmenge zu erweitern. Um all dies durchzuführen, wird natürlich auch eine weitere Milliardenspritze für die Militärforschung angeregt.

Und die Außerirdischen? Die sind vermutlich für die Aufklärung der Phänomene eher schädlich als hilfreich, da UFO-Beobachter seit Jahren mit dem Vorurteil des Science-fiction-Fanatikers stigmatisiert werden. Auch der ODNI-Bericht erwähnt, daß viele Zeugen lieber schweigen, anstatt ihre Glaubwürdigkeit mit UFO-Berichten zu riskieren. Elizondo ist hierbei vielen ein mahnendes Beispiel. Ebenso die vielen Kapitäne und Matrosen, deren Geschichten von Monsterwellen über Jahrhunderte als Seemannsgarn verlacht wurden, bis 1995 die Draupner-Welle bei der gleichnamigen norwegischen Ölbohrplattform auf Fotofilm gebannt wurde. Langfristig ist es daher für die USA das größere Risiko, Eindringlinge in ihren Luftraum wiederholt zu ignorieren – egal, ob es sich um Erdlinge handelt oder nicht.

US-Geheimdienst-Bericht über „Preliminary Assessment: Unidentified Aerial Phenomena“: dni.gov