© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/21 / 09. Juli 2021

Der Flaneur
Nerven im Sommer
Holger Ziehm

Wir genießen herrliche Tage auf der traumhaften Insel Spiekeroog. Die blaue See, die Ruhe, der endlose Strand, der schöne Baumbestand auf der Insel und auch viele hübsche, alte Friesenhäuser. Nie wieder möchte ich auf die Kanaren, denke ich.

Auf der Insel benötigen wir zwischenzeitlich noch einen Corona-Test. Als ich vor der Glasscheibe des mobilen, kleinen Testzentrums die Formulare in Empfang nehmen soll, werde ich von dem jungen Mann, geschätzt Anfang 20, penetrant geduzt. Ich frage ihn freundlich, ob wir eventuell bei einem entspannten „Sie“ bleiben können und führe an, daß ich als Pensionär vermutlich nicht nur sein Vater, sondern sogar sein Großvater sein könnte.

Was motiviert ihn und was sieht er in mir, daß er mich provoziert und beleidigt?

Der Jüngling, er könnte Abiturient sein und ist keinesfalls Insulaner, fragt mich, ob ich hier frech werden will. „Ich sehe vor allem einen, der hier frech ist“, antworte ich. Aber auch das stimmt ihn nicht friedlich, der junge Mann provoziert und beleidigt dermaßen, daß es schließlich sogar mir reicht. Ich reiße die Sperrholzklapptür des Kastens auf und stehe in der Bude. 

Hinter mir weiß ich die Augen und vermutlich Handys all der Wartenden. Ich sage dem Mann, er soll mal vor die Tür kommen und das draußen wiederholen. Er wirkt relativ ruhig, ich habe so etwas noch nicht erlebt. Was motiviert ihn und was sieht er in mir? Vermutlich einen alten Querulanten, dem jetzt ganz dringend gezeigt werden muß, wo der Hammer hängt. 

Seine junge Kollegin schimpft mit ihm: „Sag mal spinnst du, hör jetzt sofort auf damit!“ Der Jüngling macht tatsächlich Anstalten, mein Angebot anzunehmen und will nach draußen. Von meinem jahrelangen Ju-Jutsu und Krav-Maga-Training kann er nichts ahnen. Auch ich denke jetzt keine Sekunde daran. Nur in meinem Kleinhirn springt nun vermutlich etwas in den automatischen Verteidigungsmodus. 

Das Mädchen hält den Jungspund in der Bude fest und drängt ihn von der Tür weg. Einer der Wartenden spricht mich von hinten an, ich solle endlich aufhören, hier Theater zu machen. „Schlimmer Choleriker“, sagt er zu den anderen. Das Mädchen lehnt sich an der Scheibe vorbei und überreicht mir schnell die Papiere. 

Ich gehe zurück zu meiner Frau. „Einmal tief durchatmen“, denke ich.