© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Patriotismus
Die Flagge ist unnötig?
Dieter Stein

Braucht Deutschland mehr Patriotismus? Eine von der Bundesregierung im Frühjahr 1989 eingesetzte Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ hatte sich tatsächlich dieser Frage gewidmet. Der im Dezember 2020 vorgelegte Abschlußbericht stößt dabei zu verblüffenden Erkenntnissen vor.

Es wird die Notwendigkeit formuliert, daß ein erfolgreiches „freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen“ auf positive „Identifikation“ der Bürger angewiesen sei und hierfür „Gewißheiten über gemeinsam Geleistetes und Errungenes, Erduldetes und Überwundenes“ dienten. Am Ende komme man nicht darum herum – „wie andere Nationen auch“ –, ausdrücklich „nationale Symbole“ zu nutzen: „Symbole und Rituale schaffen Bindung und ein Identitätsgefühl.“

Im Kern muß es darum gehen, eine Nation als Schicksalsgemeinschaft       zu begreifen.

Das sind gleich mehrere Triggerpunkte für alle, die die Nation als „Konstrukt“ historisch abgehakt glaubten. Die Kommission unter Leitung des ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck fordert auf, sich mit „patriotischem Stolz“ nach 30 Jahren Einheit „heiterer Grundstimmung“ zu besinnen.

Im Kern muß es darum gehen, eine Nation als Schicksalsgemeinschaft zu begreifen, deren Solidarität nur dann aktivierbar ist, wenn im kollektiven Unterbewußten verankert ist, daß es eine besondere Zusammengehörigkeit gibt. Hierfür reicht es eben nicht, nur an den Verstand zu appellieren, sondern vor allem müssen auch Gefühle angesprochen werden. Man mußte nur italienischen Spielern während der EM beim Singen ihrer Hymne zusehen, um das zu begreifen.

Deutschland hat unverändert ein Problem damit. In erster Linie hadern wesentliche Teile seiner Elite damit, daß das Land überhaupt existiert. Nationale Gefühle sind suspekt. Symbolträchtig eingebrannt hat sich hier das Bild einer Bundeskanzlerin Merkel, wie sie ihrem Generalsekretär am Wahlabend 2013 eine deutsche Flagge entwindet, die dieser zu euphorisch schwenkte.

Zurück zur Kommission. Sie empfiehlt eine stärkere Sichtbarkeit von Schwarz-Rot-Gold, um die Nationalfarben nicht „antidemokratischen Kräften“ zu überlassen und in den „Fokus der Erinnerungspolitik“ zu stellen. Sie riet, Schülern von Abschlußklassen ein Exemplar des Grundgesetzes und eine Nationalflagge zu überreichen. Das Grundgesetz hätte den Verstand, die Flagge die Gefühle angesprochen. Eine charmante Idee. Es hätte den Eintritt ins Erwachsenenleben in einen größeren Rahmen gebettet.

In einer jetzt veröffentlichten Stellungnahme verwarf das Bundeskabinett diesen Vorschlag. Lediglich das Grundgesetz soll verschenkt werden. Von der Nationalflagge wird abgeraten.