© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

„Patriotismus und Pietismus“
Nur wenige haben gleich zwei NS-Widerständler in der Familie: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Wilhelm von Gottberg gehört dazu. Der Offizier der Wehrmacht Helmut und die Christin Anni von Gottberg erhoben sich für Land und Glauben gegen Hitler
Moritz Schwarz

Herr von Gottberg, wie kommt man zu gleich zwei Widerstandskämpfern in der Familie?

Wilhelm von Gottberg: Unser Geschlecht, 1246 erstmals erwähnt, brachte Offiziere und Diplomaten im Dienste Schwedens, Polens, des deutschen Kaisers und später vor allem des Hauses Hohenzollern hervor: Preußische Beamte, Politiker und Soldaten – allein zwischen 1871 und 1945 fünf Generäle. Einer wurde nach seiner Bewährung im Deutsch-Französischen Krieg, und dekoriert mit dem Pour le Mérite, gar zum Erzieher der Kronprinzen Heinrich und Wilhelm bestellt, des späteren Kaisers Wilhelm II. Und in der Zeit des Nationalsozialismus gab es auch zwei Widerständler: Helmut von Gottberg und Klementine Elsbeth Anna von Gottberg, genannt „Anni“.

Um ehrlich zu sein, noch nie gehört. 

Gottberg: Das wundert mich nicht, denn die Liste des deutschen Widerstands liest sich teilweise fast wie ein nationalkonservatives „Who is who“ jener Zeit, mit vielen Hunderten von Namen. So viel also zum Mythos, bis auf eine Handvoll um Stauffenberg hätte es keinen rechten, sondern nur linken Widerstand gegen Hitler gegeben. Helmut von Gottberg war Offizier und mein Vetter dritten Grades – sein Urgroßvater und mein Ur-Urgroßvater waren Brüder. Ich habe ihn trotz 26 Jahren Altersunterschied sehr gut gekannt, durch die Gottbergschen Familientage, und gelegentlich war er auch zu Gast in meinem Haus. Anni dagegen kannte ich nicht, weiß aber einiges über sie, vor allem aus Jeanette Toussaints Biographie. Als eine Geborene von Selchow stammte sie ebenfalls aus märkischem Uradel, der auch auf eine Reihe preußischer Offiziere, Generäle, Kammerherren, Beamte und Politiker zurückblickt. Ihr Großvater etwa war preußischer Landwirtschaftsminister unter Bismarck. Sie heiratete 1926 ihren Cousin Wolf von Gottberg, Helmuts Onkel. 2012 hielt unser Familienverband eine Tagung zu Anni ab und trug in diesem Zusammenhang Sorge dafür, daß ihr Grab auf dem Bornstädter Friedhof in Potsdam in Ordnung gebracht wurde. Ein würdiger Ort, an dem sie seit 1958 ruht, von dem es heißt, er sei „wie ein aufgeschlagenes Buch preußischer Geschichte“ und über den Fontane sagte: „Was in Sanssouci stirbt, wird auch in Bornstedt begraben.“

Sie war im kirchlichen, Helmut im militärischen Widerstand. 

Gottberg: Ja, Toussaints Buch „Ich bin für Potsdam das rote Tuch“ beschreibt, wie aus der preußischen Leutnantstochter eine vehemente, 1937 gar kurzzeitig verhaftete, Kämpferin für die Bekennende Kirche wurde. Die sich, im April 1934 gegründet, gegen die Gleichschaltung der evangelischen Kirche und die Uminterpretation des Evangeliums im nationalsozialistischen Sinne wehrte. Anni lud im Mai zu jenem Treffen in ihrem Haus ein, durch das die Bekennende Kirche auch in Potsdam entstand, und gehörte als einzige Frau zum Leitungsgremium der Bekennenden Kirche in Brandenburg – neben etwa dem später bekannten Otto Dibelius. Übrigens war es für die damalige Zeit etwas Besonderes, daß es überhaupt Frauen in einer solchen Position gab! 

Warum war sie „für Potsdam ein rotes Tuch“?

Gottberg: Weil die Bekennende Kirche von vielen damals natürlich als Unruhefaktor betrachtet wurde. Das ist zwar absurd, denn sie hielt ja treu am guten Alten fest, während es die Nationalsozialisten waren, die alles umstürzen. Aber diesen psychologischen Effekt können Sie noch heute beobachten, wenn ebenfalls jene, die für unsere bewährte freiheitliche Grundordnung eintreten und die Unterwanderung der Gesellschaft durch Gender- und „Antirassismus“-Ideologie zurückweisen, attackiert, mitunter zu einer Art Staatsfeind stilisiert werden, statt jener, die alles umstürzen wollen.  

Anders als Anni mit ihrem friedlichen Widerstand war Helmut von Gottberg an Attentatsversuchen auf Hitler und dem 20. Juli 1944 beteiligt. Warum ist er heute dennoch fast niemandem bekannt?

Gottberg: Der nationalkonservative Widerstand und der 20. Juli umfaßten, wie gesagt, Hunderte Beteiligte, doch bis auf wenige Köpfe, Stauffenberg, Tresckow etc., sind diese leider nur Historikern noch ein Begriff. Helmut von Gottberg war Oberleutnant und Adjutant des Kommandeurs des Ersatzbataillons des Infanterieregiments No. 9 in Potsdam. In dieser Position konnte er die Anbahnung des 20. Julis unterstützen, etwa durch Erteilen von Urlaub, Freistellungen und Marschbefehlen, was anderen Offizieren ermöglichte, unbemerkt für den Widerstand unterwegs zu sein und zu organisieren. Als es soweit war, stellte er seinen Dienstwagen zum Transport zur Verfügung, kommandierte drei jüngere Offiziere zur Verstärkung der Aufständischen nach Berlin und ließ später einen flüchtenden Kameraden mit seinem Wagen in Sicherheit bringen, wie Mainhardt Graf Nayhauß anläßlich seines Todes 1998 in einem Nachruf in der Bild-Zeitung schrieb.

Was hat Helmut Ihnen denn über diesen Tag erzählt?

Gottberg: Nichts. 

Wie, „nichts“?

Gottberg: Er hat nie mit mir darüber gesprochen, weshalb ich auch seine Motive nur im Groben kenne. 

Die waren? 

Gottberg: Eine christliche Prägung, in der besonderen Ausformung des preußischen Pietismus. Dann natürlich Patriotismus, wie damals selbstverständlich, und die Judenverfolgung, wozu sich ja vor allem sein enger Freund Hauptmann Axel Freiherr von dem Bussche eindeutig geäußert hat. Gemeinsam waren sie der Überzeugung, einen Tyrannen dürfe man nicht gewähren lassen, sondern müsse ihm in den Arm fallen, selbst wenn es das höchste Opfer fordert. Folgendes Motto zeigt Helmuts Haltung treffend: „Im Glück nicht stolz sein, im Leid nicht klagen, das Unvermeidliche mit Würde tragen.“

Woher kam diese Prägung?

Gottberg: Sein Vater war General und er genoß eine Erziehung im preußisch-monarchistischen Sinne, wobei das Militärische unbedingt dazugehörte. So meldete er sich nach dem Abitur 1932 freiwillig zur Reichswehr, als Offiziersanwärter des Infanterieregiments 9 in seiner Vaterstadt Potsdam. 1934 aber wurde er entlassen, weil sein „Ariernachweis“ nicht eindeutig war. 

Zählen die Gottbergs nicht zum märkischen Uradel? 

Gottberg: Ja, doch erinnere ich mich recht, war seine Großmutter Halbjüdin. So begann er eine kaufmännische Ausbildung bei Maschinenbau Schwarzkopf in Berlin. 1940 wurde er wieder eingezogen und kämpfte in Rußland, bevor er wohl 1942 wegen eines schweren Leberleidens an die Heimatfront abkommandiert und zunächst als Ausbilder im Ersatzbataillon des Infanterieregiments 9 eingesetzt wurde, das neue Rekruten fronttauglich zu machen hatte. Hier kam er in Kontakt zum Widerstand, in dessen Kreise er tief eintauchte und schließlich gehörte er zu dessen wesentlichen Kern.

Er war bereits an einer frühen Planung der Erhebung beteiligt, die eigentlich nicht erst am 20. Juli 1944, sondern schon am 23. November 1943 beziehungsweise nochmal verschoben am 16. Dezember stattfinden sollte. 

Gottberg: Ja, der Termin eines Frontbesuchs Hitlers. Helmuts Seelen- und Regimentskamerad Axel von dem Bussche war wild entschlossen, sich selbst zu opfern, um Hitler zu töten, nachdem er an der Front zufällig Augenzeuge einer Judenerschießung geworden war. Er sprach mit Stauffenberg und bot sich als Attentäter an. Um sicherzugehen, daß Hitler nicht entkommt, war von dem Bussche bereit, mit einem Sprengkörper unter der Uniformjacke den Diktator anzuspringen und umklammert zu halten, bis die Explosion beide zerreißen würden. Helmut besorgte die Mine, die zu diesem Zweck mit einem Handgranatenzünder umgerüstet wurde. Da von dem Bussche aber Frontoffizier war, war die einzige Gelegenheit zuzuschlagen dieser Frontbesuch, bei dem Hitler neue Uniformentwürfe vorgeführt werden sollten. Doch ein Luftangriff vernichtete kurz vorher die Uniformen, so daß der Besuch bis zur Herstellung neuer auf 1944 verschoben wurde. Kurz darauf aber zerschmetterte eine Granate Bussche ein Bein. 

Schließlich mußte Stauffenberg selbst das Attentat ausführen, weil es, nach weiteren fehlgeschlagenen Versuchen, keinen anderen mehr gab, der noch Zugang zu Hitler hatte – was zum Grund für das Scheitern wurde. Wie konnte Ihr Vetter danach der Gestapo entkommen? 

Gottberg: Wäre seine wahre Rolle ruchbar geworden, hätte er wohl wie viele der anderen aufgehängt an den Fleischerhaken des Gefängnisses von Berlin-Plötzensee geendet. Zwar wurde er mehrfach verhört, konnte den Verdacht aber zerstreuen und sogar andere Beteiligte decken, indem er angab, sie seien an diesem Tag ganz harmlos in seinem Auftrag unterwegs gewesen. Allerdings verlor er seinen einflußreichen Posten und wurde als Vize-Quartiermeister in den Stab der 1. Armee versetzt. 1945 geriet er in US-Gefangenschaft, aus der er im Sommer heimkehrte. Später wurde er Oberregierungsrat in Düsseldorf, übte wohltätige Ehrenämter aus und war Mitbegründer sowie zehn Jahre Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. 

Weshalb hat Ihr Vetter später nie mit Ihnen über den Widerstand gesprochen? 

Gottberg: Es gab Dinge, über die schwieg er einfach. Da war er ganz Preuße, machte kein Aufhebens um seinen Einsatz. Auch gegenüber den Medien hat er nie etwas dazu gesagt. 

Sie waren aber nicht die Medien, sondern Familie.

Gottberg: Dennoch, wir sprachen über Persönliches, Familie etc. Auch Politik war tabu. Ich nehme an, er wählte konservativ, aber diese Dinge waren kein Thema. Nur einmal hörte ich ihn etwas sagen, nämlich daß er mit Sorge sehe, wie die Wehrmacht bei der jungen Bundeswehr-Generation immer mehr Ansehen verliere. Und nach der Wiedervereinigung unterstützte er die Initiative von Max Klaar zum – leider an linkem Widerstand gescheiterten – traditionellen Wiederaufbau der Garnisonkirche. 

Heute ist nach Anni in Potsdam eine Straße benannt und ihr Wohnhaus dort ziert eine Gedenktafel, im Internet gibt es, gefördert von der Landeszentrale für politische Bildung, eine Gedenkseite, und 2011 erschien ein Buch über sie sowie Beiträge in mehreren Sammelbänden. Für Helmut dagegen gibt es nichts, obgleich sein Risiko größer war. Wieso?

Gottberg: Natürlich ist die Erinnerung wenigstens an Anni schön und richtig. Doch darf man nicht blind sein gegenüber der Absicht derer, die sie betreiben: auf keinen Fall die – in der Tat schrecklichen – zwölf Jahre vergehen zu lassen, um sie politisch zu instrumentalisieren! Das sieht man etwa daran, wer die Internet-Gedenkseite für Anni betreibt: ein „Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in Potsdam“. Aber auch daran, an wen erinnert wird, obwohl beide es verdient haben: nicht an den Mann, Konservativen und Militär, sondern an die Frau und Christin. Was natürlich perfekt zur Tendenz unserer Zeit paßt, den Widerstand entweder weiblich und links umzuinterpretieren, um sich in seine angebliche Tradition zu stellen und ihn so zu vereinnahmen. Oder, wo das nicht möglich ist, auszublenden und totzuschweigen, wenn nicht als rechts-reaktionär oder gar rassistisch-antisemitisch zu delegitimieren, um es Konservativen und Rechten unmöglich zu machen, sich auf eine Widerstandstradition zu berufen – und diese damit leichter in einen Topf mit Hitler werfen zu können. Von all dem nehme ich allerdings das von Tendenzen freie Buch von Jeanette Toussaint aus, von dessen Fairneß ich trotz zunächst üblicher Befürchtungen positiv überrascht worden bin.






Wilhelm von Gottberg, der Historiker und Mathematiker wurde 1940 auf Gut Woopen in Groß Klitten/Bartenstein im heute von Rußland annektieren Nordostpreußen geboren. Ab 1977 lehrte er Staats- und Verfassungsrecht sowie Psychologie an einer Polizeifachschule des Bundesgrenzschutzes. Von 1992 bis 2010 war er Vorsitzender der Landsmannschaft Ostpreußen. 1971 bis 2011 gehörte er der CDU an, seit 2013 der AfD, für die er seit 2017 im Bundestag sitzt. Zu seiner Familie gehören Helmut (1914–1998) sowie Klementine Elsbeth Anna von Gottberg (1885–1958), über die 2011 das Buch erschien: „Ich bin für Potsdam das rote Tuch. Anni von Gottberg und die Bekennende Kirche“

Foto: Ehrung der Gefallenen des 20. Juli in Berlin: „Der Widerstand wird heute links uminterpretiert, damit sich Rechte nicht auf ihn berufen können, um sie leichter mit Hitler in einen Topf zu werfen“