© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Klein – aber oho
Bundestagswahl: Über vierzig „sonstige“ Parteien zugelassen
Christian Vollradt

Viele möchten, nicht alle dürfen. 87 sogenannte „nicht-etablierte“, meist kleinere oder gar kleinste Parteien hatten angezeigt, an der kommenden Bundestagswahl am 26. September teilnehmen zu wollen. Rund die Hälfte nahm vergangene Woche die erste Hürde dafür – den Bundeswahlausschuß. Jeweils mehrere Stunden am Donnerstag und Freitag dauerten die Sitzungen des elfköpfigen Gremiums, das extra dafür im Berliner Marie-Elisabeth-Lüders-Haus neben dem Reichstag zusammenkam – wie immer vor einer Bundestags- oder Europawahl.

Es besteht aus zwei Vertretern der CDU, je einem von SPD, CSU, AfD, FDP, Linkspartei und Grünen. Zudem gehören ihm zwei Richter des Bundesverwaltungsgerichts an – und als Vorsitzender der Präsident des Statistischen Bundesamts, Georg Thiel, in seiner Funktion als Bundeswahlleiter. Der Ausschuß prüft die formellen Kriterien, die das Parteiengesetz vorgibt: liegen Protokolle von Vorstandswahlen, Rechenschaftsberichte und beglaubigte Unterschriften der Vorstände vor; sodann, ob die betreffenden Gruppierungen „eine ausrei­chen­de  Gewähr für die Ernst­haf­tig­keit ihres Willens bieten, an der poli­ti­schen Willens­bil­dung mitwir­ken und das Volk vertre­ten zu wollen“. Voraussetzung dafür ist unter anderen eine ausreichende Zahl von Mitgliedern sowie der Nachweis von Versammlungen, Pressemitteilungen, Flugblättern oder ähnlichem. 

Die Prozedur läuft dann im Prinzip immer gleich ab: Thiel nennt die Partei oder politische Vereinigung und erwähnt das Ergebnis der Vorprüfung seines Hauses. Dann bekommt ein Vertreter der betreffenden Partei, sofern anwesend, die Gelegenheit zu einer Stellungnahme oder zu Ergänzungen. Anschließend können die Ausschußmitglieder Fragen stellen, bevor der Bundeswahlleiter seinen Beschlußantrag zur Abstimmung stellt, um am Ende das Ergebnis zu verkünden. Und bei jeder Nicht-Zulassung erfolge der Hinweis auf den möglichen Rechtsweg, der Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht. In dem Fall gilt die Partei – bis zu einer anderslautenden Entscheidung in Karlsruhe – als zugelassen. Das alles geschieht in öffentlicher Sitzung, übertragen vom Parlamentsfernsehen des Bundestags. Wer zugelassen wird und wer aus welchen Gründen nicht, das solle eben nicht in Hinterzimmern, sondern transparent und nachvollziehbar sein, betonte Wahlleiter Thiel: „Die Öffentlichkeit kann alles kontrollieren.“

Zu denen, die es geschafft haben, gehören die Etablierten unter den Nicht-Etablierten: die linksliberale Europa-Partei Volt, die bereits in einigen Kommunen verankert ist; die Satire-Truppe Die Partei, die ÖDP, Tierschutzpartei, die Piraten, die Familienpartei oder Die Grauen. Auch die AfD-Abspaltung LKR darf antreten, genauso wie das Team Todenhöfer (JF 18/21). Zudem die Querdenker-Parteien Die Basis und Wir2020. Wobei es bei dieser Gruppierung einen kuriosen Disput über die Schreibweise gibt: Sowohl Wir2020 als auch WIR2020 reichte einen Antrag ein; die eine bestreitet jedoch, daß die andere dazu ein Recht hat. Für den Ausschuß eine Herausforderung – die man an die zuständigen Landeswahlleiter weiterreichte. Sie hätten zu gewährleisten, daß keine Verwechslungsgefahr besteht. „Bei unklarer Rechtslage soll der Wähler an der Urne entscheiden“, so Thiel, sie darf den Parteien nicht zum Nachteil gereichen.Grundsätzlich gehe es um eine „parteifreundliche Auslegung“ der Formalien.

„Was hier versucht wird, das ist ein kaltes Parteiverbot“

Überhaupt pflegt der Bundeswahlleiter einen sehr empathischen Führungsstil in den Sitzungen. Niemand soll sich offenbar wie vor einem Richtergremium fühlen. Thiel spricht mit der gebotenen Sensibilität denen gegenüber, die erkennbar keine Profis im politischen Geschäft sind. „Sie sollen sich hier im Ausschuß gut aufgehoben fühlen“. Den Gescheiterten gibt Thiel einen Trost mit: „Auch manche großen Parteien hätten schließlich mal klein angefangen. 

Zweifel hatte der Ausschuß etwa bei den „Natürlichen“. Ihr Vertreter, ein Mann mit lila gefärbtem Haarschopf, verweist auf seine erfolgreiche Tätigkeit im Vertrieb von Naturheilprodukten und die immensen Besucherzahlen bei seinen Seminaren. zum Vitamin-D-Mangel der Deutschen. Die Partei finanziere er allein mit seinem Geld. Darin sahen die Prüfer eine Verquickung von unternehmerischer Tätigkeit und Parteiarbeit. Zu denen, die ebenfalls schon an Hürde Nummer 1 scheiterten, gehören nicht nur Neugründungen, sondern auch Parteien, die qusasi zum Traditonsbestand der „Sonstigen“ auf dem Wahlzettel zählen. Etwa die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), gegründet 1968. Weil sie sämtliche Rechenschaftsberichte in den vergangenen sechs Jahren immer wieder verspätet und nicht innerhalb der vorgegebenen Fristen vorgelegt habe, wurde ihr der Parteistatus aberkannt. Die Genossen reagierten empört und witterten ein Foul des Klassenfeinds. „Was hier versucht wird, das ist ein kaltes Parteiverbot“, meinte der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele und kündigte Rechtsmittel gegen die Entscheidung an.

Auch das Zentrum, die laut Eigenbezeichnung „älteste Partei Deutschlands, gegründet 1870“, darf nicht dabei sein. Und weil sie es versäumt hatten, ihre Bewerbungsunterlagen fristgerecht einzureichen, scheiterten auch die Republikaner in der Frühphase. Und das, obwohl die Behörde des Bundeswahlleiters die Partei sogar noch telefonisch vor der drohenden Terminverstreichung gewarnt habe. Daß der Ausschuß weder die Programme noch die Verfassungsmäßigkeit bewertet, zeigt sich an der klaren Zustimmung für die Zulassung von NPD oder des rechtsextremen Dritten Wegs. Anders als die DKP schaffte die trotzkistische MLPD die erste Hürde. 

Bis zum kommenden Montag müssen die Parteien nun ihre jeweiligen Landeslisten bei den zuständigen Landeswahlleitern einreichen. Diese entscheiden dann am 30. Juli über die Zulassung der Wahlvorschläge, wobei auch geprüft wird, ob genügend Unterstützungsunterschriften vorliegen. Sie müssen alle Parteien, „die derzeit weder im Bundestag noch in einem Landtag seit dessen letzter Wahl ununterbrochen aufgrund eigener Wahlvorschläge mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten sind“, schriftlich vorweisen. Die notwendige Anzahl variiert von Bundesland zu Bundesland. In der Regel sind es 0,1 Prozent der Wahlberechtigten, höchstens aber 2.000 Personen. 

Aufgrund der besonderen Pandemie-Situation wurde die benötigte Zahl für die kommende Bundestagswahl ausnahmsweise auf ein Viertel der sonst üblichen – also höchstens 500 – reduziert. Dennnoch wird diese nächste Hürde das Starterfeld höchstwahrschenlich noch weiter verkleinern. Gute Aussichten hat indes der Südschleswigsche Wählerverband (SSW). Er wurde vom Wahlausschuß als Minderheitenpartei der Dänen deutscher Staatsangehörigkeit anerkannt und bleibt von der Fünfprozenthürde ausgenommen.