© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Ça, ça geschmauset
Bundesverfassungsgericht: Ein Abendessen mit der Bundeskanzlerin bringt die Roten Roben in Bedrängnis / Vorwurf der Befangenheit
Hermann Rössler

Daß Besuch aus Karlsruhe in Berlin für Schlagzeilen sorgt, ist eher ungewöhnlich. Doch dieser hat es in sich. Ende Juni empfing Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Delegation des Bundesverfassungsgerichts, Abendessen inklusive. Unter den eingeladenen Richtern des Ersten und des Zweiten Senats befand sich neben dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth, auch dessen Vize Doris König, Vorsitzende des Zweiten Senats. 

Pikant daran ist nicht das Menü, sondern der Umstand, daß vor diesem Zweiten Senat unter Leitung Königs am kommenden Mittwoch zwei Organklagen der AfD mündlich verhandelt werden.  Und diese Klagen richten sich – gegen Kanzlerin Merkel und die von ihr geführte Bundesregierung. Es geht – wieder einmal – um die „Äußerungsbefugnisse von Regierungsmitgliedern“ (JF 25/20). Konkret um die Äußerung Merkels während einer Dienstreise nach Südafrika Anfang Februar 2020. Die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen von CDU und AfD hatte die Kanzlerin „unverzeihlich“ genannt, das Ergebnis müsse „rückgängig gemacht“ werden. „Es war ein schlechter Tag für die Demokratie“, so Merkel am Rande des Staatsempfangs von Südafrikas Präsidenten Cyril Ramaphosa. 

Kemmerich trat bekanntlich kurz danach zurück, eine Mitschrift von Merkels Äußerungen wurde später auf der Internetseite der Kanzlerin und der Bundesregierung veröffentlicht. Die AfD sieht damit das Neutralitätsgebot verletzt. Es sei eine unzulässige amtliche Einmischung in den politischen Wettbewerb.

Die AfD hat nun mit Blick auf die anstehende Verhandlung in Karlsruhe einen Befangenheitsantrag gestellt. Wenn die Richter drei Wochen vor dem Termin mit der Gegenseite „auf deren Einladung und faktisch auf deren Kosten“ zu Abend speisten, werfe das die Frage auf, „ob sie in diesem Verfahren weiterhin als unbefangen betrachtet werden können“, begründete der stellvertretende Bundesvorsitzende Stephan Brandner den Schritt. Das Bundesverfassungsgericht teilte mit, bei der betreffenden Zusammenkunft seien diese Organklagen nicht Gesprächsgegenstand gewesen. Und auch Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert hob am Montag hervor, diese Gespräche dienten „dem allgemeinen Austausch von Gedanken und Erfahrungen“ und es seien „niemals anhängige Gerichtsverfahren Gegenstand dieses Gedankenaustauschs“. Beide Verfassungsorgane, „die Bundesregierung wie auch das Bundesverfassungsgericht, sind sich ihrer hohen Verantwortung bewußt“, betonte Seibert. 

„Jeder Anschein der Parteilichkeit muß vermieden werden“

Auf die Frage, wie lange solche Treffen bereits üblich sind, teilte die Bundesregierung mit: „Die informellen Treffen zwischen dem Bundeskabinett und dem Richterkollegium des Bundesverfassungsgerichts finden seit 2004 regelmäßig statt. Ein erstes Treffen dieser Art gab es bereits im Jahr 1986 unter Bundeskanzler Kohl.“ Auch der Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts, Pascal Schellenberg, bestätigte auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT, der erste dieser „in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Besuche, der in Unterlagen verzeichnet ist, fand im Jahr 1986 statt“. Dies gehe auf eine Einladung des damaligen Bundeskanzlers zurück.

Wenn diese Art der Kontaktpflege zwischen obersten Verfassungsorganen in Deutschland also bereits eine längere Tradition hat, ließe dies zwar nicht auf eine Befangenheit im konkreten Fall der Organklagen der AfD gegen die Kanzlerin schließen, meint der Verfassungsjurist Dietrich Murswiek. „Es handelt sich allerdings um eine sehr fragwürdige Tradition, die mit der Unabhängigkeit der Justiz und der Neutralitätspflicht der Richter schwer vereinbar ist“, sagte der emeritierte Freiburger Staatsrechtslehrer der jungen freiheit. Für Murswiek hat der Termin bei der Kanzlerin Ende Juni ganz klar mindestens ein Geschmäckle: „Wenn Richter sich kurz vor einer Verhandlung mit einer der Prozeßparteien zum Abendessen treffen, ist das schwer mit dem Grundsatz vereinbar, daß jeder Anschein der Parteilichkeit vermieden werden muß.“