© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Ländersache: Thüringen
Gleichung mit vielen Unbekannten
Paul Leonhard

In Thüringen soll am 26. September zeitgleich mit der Bundestagswahl auch eine vorgezogene Landtagswahl stattfinden. Voraussetzung dafür ist, daß die Abgeordneten am Montag einer Auflösung des Parlaments in Erfurt mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Der Antrag ist eingereicht. 

Alle gegen die Alternative für Deutschland lautet das Motto, seitdem der demokratisch gewählte Ministerpräsident Thomas Kemmerich auf Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel Platz für den Linken Bodo Ramelow machen mußte. Seitdem herrscht im Freistaat eine rot-rot-grüne Minderheitskoalition, gestützt von den Christdemokraten. Letztlich regieren genau diejenigen, die die Mehrheit der Wähler nicht mehr an der Spitze des Landes sehen wollte.

Um die AfD von der Regierung fernzuhalten, ging die CDU Anfang 2020 einen „Stabilitätspakt“ mit der linken Koalition ein, was viele Thüringer an die Nationale Front zu DDR-Zeiten erinnerte. Deswegen lautete der Deal: Neuwahlen so schnell wie möglich. Die 42 Stimmen der Abgeordneten der drei Koalitionsparteien plus die 21 der CDU wären mehr als genug (63 von 90), damit sich das Parlament mit Zweidrittelmehrheit selbst auflösen kann.

Aber die Rechnung geht nicht mehr auf. Und das bereitet den Spitzen der Thüringer Parteien derzeit Kopfschmerzen und schlaflose Nächste. Die neue Gleichung lautet aktuell 42+21-4+1=60. Zwar hat sich die Abgeordnete Ute Bergner, die noch der FDP-Fraktion angehört, entschlossen, dem Auflösungsantrag zuzustimmen. Dafür legt sich aber bei den Christdemokraten „Mikes Fanclub“ quer. So werden die vier Abgeordneten Michael Heym, Jörg Kellner, Maik Kowallek und Christine Tasch bezeichnet, die als Getreue des bei der Landtagswahl 2019 gescheiterten CDU-Spitzenkandidaten Mike Mohring gelten, und die entgegen den Beschwörungsversuchen ihres Fraktionschef Mario Voigt darauf beharren, für fünf Jahre gewählt worden zu sein. Zwar reichen auch noch 60 Stimmen für die Zweidrittelmehrheit, aber allen ist plötzlich klargeworden, daß hinter den Zahlen in der Gleichung konkrete Menschen stecken, und nicht alle Landtagsabgeordnete brave Parteisoldaten sind, sondern es unter ihnen auch eigensinnige Persönlichkeiten gibt. In der Gleichung stecken plötzlich Unbekannte. Dazu dürften Abgeordnete gehören, die ihren bis 2024 sicher geglaubten, gut dotierten Job verlieren könnten und nicht qualifiziert oder gut vernetzt genug sind, um noch schnell einen Verwaltungsposten abzubekommen.

Es gibt aber auch noch ganz andere Befindlichkeiten. Denn FDP-Frau Bergner soll der Querdenker-Bewegung nahestehen, und mindestens zwei Abgeordnete der Linken wollen die Zustimmung verweigern, falls es AfD- oder FDP-Stimmen für die Parlamentsauflösung gibt. Das hängt wiederum davon ab, ob die Abstimmung offen oder namentlich – dann spielt das Alphabet eine Rolle, und Bergner steht hier ganz vorn – stattfindet. Oder AfD- und FDP-Fraktion erklären, die Auflösung des Parlaments mitzutragen, was wohl bedeuten würde, daß die Antragsteller gegen ihren eigenen Antrag stimmen oder diesen kurzfristig zurückziehen müßten. Thüringer Verhältnisse eben.