© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Mitten wir im Leben sind
Christian Vollradt

Vergangene Woche erlag der Bundestagsabgeordnete Martin Hebner (AfD) einem Krebsleiden. In seiner Fraktion war die schwere Erkrankung des 61jährigen Politikers, der 2017 als Spitzenkandidat der bayerischen AfD ins Parlament eingezogen war, schon länger bekannt. Hebner, von Haus aus Informatiker und IT-Unternehmer, gehörte dem Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union an und hatte sich vor allem als Kritiker des UN-Migrationspakts einen Namen in der AfD gemacht. Auch Fehlentwicklungen in den eigenen Reihen sprach er offen an. Noch kurz vor seinem Tod hatte sich Hebners Familie an die Öffentlichkeit gewandt und angesichts von mutmaßlich linksextrem motivierten Schmierereien am Haus darum gebeten, in Ruhe von dem Todkranken Abschied nehmen zu können.

Hebner ist das dritte Mitglied des Bundestags, das während dieser 19. Legislaturperiode verstarb. Zuerst traf es unerwartet im Oktober vergangenen Jahres den Göttinger SPD-Abgeordneten und Bundestagsvizepräsidenten Thomas Oppermann. Im März dann starb überraschend Karin Strenz (CDU) aus Mecklenburg-Vorpommern. 

Zur unsentimentalen Wahrheit gehört: Der Tod macht auch vor den Reihen der Volksvertreter nicht halt. In der vorherigen, der 18. Wahlperiode, verstarben drei Abgeordnete, alle gehörten der Unionsfraktion an: Andreas Schockenhoff (2014), Philipp Mißfelder (2015) und Peter Hintze (2016). Im ersten gesamtdeutschen Bundestag starben zehn seiner Mitglieder, sechs waren es in der anschließenden 13., sieben in der 14., sechs in der 15. und lediglich zwei in der 16. Wahlperiode. In der ersten Legislaturperiode von 1949 bis 1953 starben 28 Abgeordnete. Die höchste Anzahl von verstorbenen Parlamentariern gab es in der vierten Wahlperiode: von 1961 bis 1965 verstarben 35 MdB.

Während für Angehörige und Freunde wie bei jedem Todesfall selbstverständlich Trauer und Schmerz ob des Verlusts im Vordergrund stehen, nimmt der politische Betrieb auf Pietät wenig Rücksicht. Mit einer Schweigeminute im Plenum wird des Verstorbenen kurz gedacht, in der Regel liegt im Reichstag ein Kondolenzbuch aus. Ansonsten stehen die Zeichen ganz auf Klärung der Nachfolgefrage. Das Hohe Haus muß vollzählig sein. Dazu wendet sich der Bundestagspräsident an den Wahlleiter des Bundeslandes, aus dem der verstorbene Abgeordnete kommt. Der Landeswahlleiter wiederum informiert den in Frage kommenden Nachrücker der jeweiligen Landesliste, daß er ein Mandat übernehmen kann. 

Auch im Fall des nun verstorbenen Martin Hebner muß ein Abgeordneter nachrücken – selbst wenn die Legislaturperiode schon fast zu Ende und die letzte Sitzungswoche bereits vorbei ist. Als erster in Frage kommt Florian Jäger aus Fürstenfeldbruck, der auf der bayerischen AfD-Landesliste des Jahres 2017 Platz 15 innehatte. Er kann nun für gut zwei Monate noch Mitglied des Bundestags werden. Wahrscheinlich dürfte er dann bei der geplanten Sondersitzung Anfang September auch noch einmal im Plenum Platz nehmen.