© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Geht’s raus und spielt’s Fußball
Lobbyismus: Aktivisten nehmen den mächtigen Deutschen Fußball-Bund ins Visier. Er soll grüner und „diverser“ werden
Hinrich Rohbohm

Sie nutzen die Gunst des Augenblicks. Eine feministische Initiative unter dem Namen „Fußball kann mehr“ greift angesichts des verheerenden Führungschaos beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) und einer frisch verkorksten Europameisterschaft nach der Macht. Gemeinsam mit weiteren Frauen-Netzwerken will man den DFB zu einem Systemwandel zwingen. Der Verband soll grüner, diverser und weiblicher werden. Mit der ehemaligen Torhüterin und Nationalspielerin Katja Kraus könnte eine von ihnen nun möglicherweise für das Amt des DFB-Präsidenten kandidieren. „Die Voraussetzungen dafür sind jetzt natürlich sehr günstig“, sagt ein DFB-Insider der JUNGEN FREIHEIT. Denn: „Die Führungsriege zerlegt sich ja leider zunehmend selbst“, läßt der Mann resigniert durchblicken. Zudem fehle es derzeit an dringend benötigter Fachkompetenz. Er spricht von Frust, von Eitelkeiten unter den Funktionären und einer zunehmenden Politisierung, die den Fußball lähme.

Die Initiative „Fußball kann mehr“ mit ihren Forderungen nach Quoten und Diversität sei „einmal mehr der Versuch, den Sport zu ideologisieren. Aber genau das hatten wir in den letzten Jahren mehr als genug. Und ich bin überzeugt davon, daß auch viele Fans sich gerade deshalb abwenden.“

Fans sind genervt  von „Gender-Aktionismus“

Und das auch verbandsintern. Das Klima habe sich beim DFB im Laufe der Jahre immer weiter verschlechtert. Viele Mitarbeiter, Spieler, Trainer und Vereinsfunktionäre seien von der übertriebenen Zurschaustellung politischer Botschaften wie Regenbogen- oder Kniefall-Aktionen nur noch genervt. Aus Furcht davor, als Gegner von Vielfalt und Toleranz abgestempelt zu werden würden die meisten jedoch schweigen. „Mir paßt auch nicht, was der Orban in Ungarn so alles macht, aber müssen politische Konflikte denn immer auf dem Rücken des Sports ausgetragen werden?“

Nach Meinung des DFB-Insiders habe eine „verbandsinterne Vergiftung des Klimas“ bereits 2006 begonnen, als Theo Zwanziger das Präsidentenamt übernommen hatte. Dies sei „auch der Beginn einer zunehmenden Politisierung und abnehmenden Fachkompetenz gewesen. Es folgten erbitterte Grabenkämpfe, begleitet von Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen Zwanziger und seinen Nachfolger Wolfgang Niersbach, die erschwerend hinzugekommen seien.

Niersbachs Nachfolger Reinhard Grindel mußte seinen Hut nehmen, nachdem herausgekommen war, daß er eine Luxusuhr als Geschenk von einem ukrainischen Finanzoligarchen angenommen hatte. Und im Mai dieses Jahres mußte mit Fritz Keller der nächste DFB-Präsident zurücktreten, nachdem dieser seinen Vize Rainer Koch mit dem einstigen NS-Richter Roland Freisler verglichen hatte. Wenige Tage später folgte zudem der Rücktritt von DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius, dem zuvor wie bei Keller die Landes- und Regionalverbände das Vertrauen entzogen hatten.

Mit der für die Amtsnachfolge in steter Regelmäßigkeit von Medien ins Spiel gebrachten Vize-Weltmeisterin und Europameisterin Katja Kraus könnte einerseits wieder mehr Fußballkompetenz in die DFB-Führung einziehen. Andererseits werden mit ihr Politisierung und Ideologisierung des Fußballs wohl noch deutlich zunehmen. Denn Kraus ist Teil der neunköpfigen feministischen Initiative „Fußball kann mehr“, die zeitgenau zum Keller-Rücktritt mit Forderungen nach Frauenquoten in den Sportgremien und Fanorganisationen auf den Plan tritt und eine „geschlechtergerechte, diskriminierungsfreie Sprache“ sowie eine „Sanktionierung jeder Form von Sexismus und Diskriminierung, auch außerhalb des Platzes“ einfordert.

Zwar betont Kraus offiziell, sie strebe kein Amt an, fügt jedoch stets hinzu, daß es ihr um eine „Änderung des Systems“ beim DFB gehe und mehr Frauen dafür jetzt Verantwortung übernehmen müßten. Nach Absage klingt das nicht. Der DFB müsse sich „radikal verändern“, der Gewinn durch „Diversität“ sei „nachgewiesen.“

So will die 50jährige, die mit der ehemaligen Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium, Katrin Suder, zusammenlebt, dem DFB ein „Diversity-Programm“ auferlegen, das „Teil des Lizenzierungsverfahrens der Deutschen Fußball Liga (DFL) werden“ soll, wie sie der Zeit in einem Interview Ende Mai dieses Jahres erzählt. Deutlicher ausgedrückt: Bundesligaklubs, die sich nicht gendergerecht aufstellen oder die Frauenquote nicht erfüllen, könnten demnach vom Spielbetrieb ausgeschlossen werden.

„Sie macht da weiter, wo sie beim HSV aufgehört hat“, erzählt uns ein Aktivist des HSV Supporters Club. Kraus war von 2003 bis 2011 Marketing-Vorstand des damals noch erstklassigen Bundesliga-Vereins. „Dieser ganze Gender-Aktionismus deutete sich damals schon an und sportlicher Sachverstand war immer weniger gefragt. Ich erinnere nur an die Nummer mit Kloppo.“ Statt die sportliche Kompetenz als maßgebendes Kriterium zu bewerten hatte die damalige HSV-Führung sich einst gegen eine Verpflichtung des heutigen Erfolgstrainers Jürgen Klopp entschieden, weil ihm dessen persönliches Auftreten mißfallen habe.

In einem gemeinsamen Gastbeitrag mit der Geschäftsführerin der Sponsorenvereinigung S20, Jana Bernhard, in der Wirtschaftswoche machte Kraus für die zunehmende Distanz der Fans vom Fußball in Deutschland hingegen nicht etwa dessen Politisierung verantwortlich, sondern kehrt die wachsende Kritik daran in ihr Gegenteil um. So brauche „es für Verbundenheit längst mehr (...) als Tradition und den Tabellenstand. Sondern eine Haltung, mit der sich die Menschen identifizieren können – und wollen. Bekenntnisse zu Nachhaltigkeitszielen, Diversität und der Achtung von Menschenrechten.“ Diese Entwicklung werde geprägt durch junge Menschen, die Fridays for Future gestartet hätten oder für den „Veggieboom“ verantwortlich seien.

Neben Katja Kraus gehört auch Mitautorin Jana Bernhard zur Initiative „Fußball kann mehr.“ Ebenso die ZDF-Reporterin Claudia Neumann, ran-Moderatorin Gaby Papenburg, die Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb, die Aufsichtsratsvorsitzende des FC St. Pauli Sandra Schwedler sowie die ehemalige Nationalspielerin Almuth Schult. Letztere wird von einigen Journalisten inzwischen ebenfalls für das Amt des DFB-Präsidenten ins Spiel gebracht.

Eine weitere Vertreterin der Gruppe: die Bundesvorsitzende der Fanvereinigung  „Unsere Kurve“, Helen Breit. Die Erziehungswissenschaftlerin und ihre Fanvereinigung sind eng vernetzt mit dem Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF). Das 1993 ins Leben gerufene BAFF ist aus dem Bündnis antifaschistischer Fanclubs und Faninitiativen entstanden und Teil des Netzwerks Football Against Racism in Europe (FARE). Beide Vereinigungen sind eng in die Gremien der Fußballverbände eingebunden, üben mittlerweile beträchtlichen Einfluß auf die Entscheidungen von DFL und DFB aus. Beide Fangruppen sind zudem mit der Gruppierung  „F_in Netzwerk Frauen im Fußball“ verbunden, einem Zusammenschluß zumeist feministischer weiblicher Fans, Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen. Zentrale Figur in diesem Netzwerk ist Antje Hagel, eine Aktivistin aus der radikalen Feministenbewegung der achtziger Jahre und Mitautorin des im linkslastigen Papyrossa Verlag erschienenen Buches „Tatort Stadion: Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball“, das vom langjährigen BAFF-Bundessprecher Gerd Dembowski herausgegeben wurde.

Ein weiteres auf den DFB einwirkendes Netzwerk ist die jüngst von der Fußballerin Chantal Hoppe und dem ehemaligen Bundessprecher der Grünen Jugend Andreas Gebhard gegründete Female Football Academy, die als weitere Lobbygruppe für Frauenquoten und Gender-Strukturen fungiert. Seinen Sitz hat das Projekt in der Schönhauser Allee in Berlin. Unter derselben Adresse findet sich auch die Newthinking Communications GmbH des einstigen Grünen-Funktionärs und sogenannten Netzaktivisten Markus Beckedahl. Der 45jährige hatte das Unternehmen gemeinsam mit Andreas Gebhard im Jahre 2003 gegründet, ist zudem Gründer von Netzpolitik.org, einem Blog, den er selbst als „Mischung zwischen Greenpeace und taz“ bezeichnet. Wie Gebhard gehörte auch er dem Bundesvorstand der Grünen Jugend an.

Unterstützung in ihren Forderungen erhalten die Netzwerke zudem von Grünen-Politikerin Claudia Roth. Die Bundestagsvizepräsidentin ist in zahlreiche DFB-Projekte eingebunden, ist unter anderem Mitglied der DFB-Kulturstiftung. Bereits vor zwei Jahren forderte sie eine Frau an der Spitze des DFB. Roth gilt übrigens als enge Vertraute des einstigen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, in dessen Amtszeit die bis heute währende Dauerkrise des Verbandes einst ihren Anfang nahm. 

Foto: Kapitänsbinde des deutschen National-Torhüters Manuel Neuer in den Regenbogenfarben: „Bekenntnisse zu Diversität