© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

People of Acker
Viel Kritik erntet der Bericht von Merkels Zukunftskommission Landwirtschaft: Die JF hat einen Hof besucht, mit Bauern gesprochen und deren Enttäuschung vernommen
Paul Leonhard / Martina Meckelein, Harald Melzer / Christian Rudolf

Mario Ortlieb ist im Streß. Der Zeitplan ist eng getaktet. Seinen 170.000 Euro teuren und 60 Stundenkilometer schnellen 240-PS-Trecker muß er noch mit Luftballons und Buchenzweigen schmücken. Mittags ist er von einer Frauengruppe für eine Kremserfahrt gebucht. Der Bauer sprüht vor Ideen, um sich neue Geschäftsfelder zu eröffnen. Einen Hofladen hat er schon, außerdem in der wunderschönen Feldsteinscheune einen riesigen Gastraum mit Ausschank. Demnächst wird er Ferienwohnungen im Dachstuhl der Scheune des Vierseitenhofes bauen. Außerdem plant er noch eine Schaubäckerei. Nur das Altenteil seiner Eltern bleibt unverändert. Bald will er auf Fleischrinder wie Uckermärker umstellen  – und Sonnenkollektoren anbringen.

Darunter picken dann seine Hühner, „das ist nachhaltig“, sagt der Mittvierziger. Wann ihm die ganzen Ideen kommen? „Wenn ich nachts nicht schlafen kann“, sagt der Landwirt aus der Prignitz.

Ruhe finden und Däumchen drehen – für deutsche Bauern ist das undenkbar. Existenzangst, EU-Bürokratie und die Festsetzung der Preise für ihre Produkte durch den Handel setzen ihnen zu. Nach ihren aufsehenerregenden deutschlandweiten Demonstrationen vor zwei Jahren versprach die Regierung Hilfe. Wie die aussehen soll, ist jetzt im Abschlußbericht „Zukunft Landwirtschaft“ zu lesen. Der Plan hat den tiefgreifenden Umbau der Landwirtschaft zum Ziel. Die JUNGE FREIHEIT sprach mit Betroffenen – eben den Bauern.

In dem Bericht kommen „Bauer“  und „Bäuerin“ nicht vor

„Und wenn ich nicht mehr weiterweiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis“, wettert Reinhard Jung, Politikreferent der 2020 neugegründeten Freien Bauern, einer Interessenvertretung der bäuerlichen Familienbetriebe in Deutschland mit über 1.300 Mitgliedern, gegenüber der JF. „So kommt mir das Ergebnis dieser Zukunftskommission vor.“ Deren Abschlußbericht liegt der Bundesregierung seit dem 29. Juni vor. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Kommission eingesetzt, nachdem sie durch landesweite Bauernproteste gegen zunehmende Regulierungen 2019 massiv unter Druck geraten war. Zehntausende Trecker fuhren in 17 Großstädte in Deutschland. Einer, der damals in Berlin demonstrierte, war Mario Ortlieb. „Ich fuhr direkt als erster hinter einem Polizeiwagen“, erinnert er sich. „Ich dachte, die Leute wären sicherlich alle sauer auf uns – und dann war es genau andersherum. Die hupten und winkten uns zu.“

Die Bauern demonstrierten damals, wie sie selbst sagten, gegen eine sinnlose Verschärfung der Düngeverordnung, einen unverhältnismäßigen Insektenschutz und gegen zusätzliche Billigimporte von Agrarprodukten durch das geplante Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten (Gemeinsamer Markt Südamerikas mit Mitgliedern wie Brasilien, Argentinien und Paraguay u. a.). Das neue Agrar-Umweltpaket stelle gerade für kleine, familiengeführte Betriebe ein Problem dar. „Das Ergebnis ist: Die Umsetzung der meisten politischen Forderungen dürfte das Höfesterben und den strukturellen Wandel in der Landwirtschaft erheblich beschleunigen“, schätzte die Fachzeitschrift agrarheute die Situation damals ein. In Deutschland schrumpft laut Umweltbundesamt die landwirtschaftliche Fläche seit Jahren: Von 2004 bis 2019 sank der Anteil um 8.045 Quadratkilometer von 53 auf 50,7 Prozent der Gesamtfläche. Laut Statistischem Bundesamt sank die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe und Bauernhöfe im Jahr 2005 mit damals noch 396.600 Betrieben auf 263.500 Betriebe im Jahr 2020. Und genau dieser Schrumpfungsprozeß wird durch den Abschlußbericht noch befördert.

Lob für das Papier gibt es hingegen, nicht überraschend, von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Diese bezeichnet die ihr von dem Mediävisten Peter Strohschneider, dem Vorsitzenden der 31köpfigen Expertenkommission aus den Bereichen Landwirtschaft, Wirtschaft und Verbraucher, Umwelt und Tierschutz sowie aus der Wirtschaft, übergebene Handlungsempfehlung als „historische Leistung eines breiten Interessenausgleichs“. Zum einen gebe es das klare Bekenntnis für eine nachhaltigere, wirtschaftlich erfolgreiche und gesellschaftlich anerkannte Landwirtschaft. Zum anderen stelle der Bericht heraus, daß diese Transformation des Agrar- und Ernährungssystems nicht ohne gesamtgesellschaftliche Anstrengungen möglich sei.

Die Umgestaltung der Landwirtschaft zu mehr „Nachhaltigkeit“ wird nicht billig: fünf bis acht Milliarden Euro kostet sie die Betroffenen im Jahr – also die Bauern und die Endverbraucher. Im Grunde hängt damit die Landwirtschaft am Subventions-Tropf und wird durch politische Bedingungen geknebelt. Damit ist klar: Durch die Vorschläge der Kommission werden die Produktivität der Landwirtschaft sinken und die Kosten für den Verbraucher steigen. Dies ist politisch auch so gewollt.

In der von Lobbyisten ausgearbeiteten Handlungsempfehlung ist zwar von „Landwirt:innen“, „Produzent:innen“, „Weiterverarbeiter:innen“, „Hofnachfolger:innen“, „Umweltakteur:innen“, Einsteiger:innen usw. die Rede, die Worte „Bauer“ und „Bäuerin“ kommen auf 187 Seiten aber nicht ein einziges Mal vor. Lediglich auf Seite 11 tauchen die Worte „Bauernproteste“ und „bäuerliche Strukturen“ auf, später einmal auch „bäuerliche Familien“ . Dafür beklagen die Autoren wortreich, daß es in der Landwirtschaft an „Diversität“ fehle – und damit ist nicht Kritik an Monokulturen gemeint. Nein: „Traditionelle Rollenbilder“ würden sich in der Agrarbranche besonders hartnäckig halten: „Dies benachteiligt insbesondere Frauen und Angehörige marginalisierter Gruppen (unter anderem sexuelle und geschlechtliche Minderheiten, People of Colour, Geflüchtete, Eingewanderte und ihre Nachkommen sowie Menschen mit Behinderung).“

Sind das wirklich die Probleme, für die Tausende von Traktoren nach Berlin rollten? Merkels Kommission empfiehlt unverdrossen „eine gender- und diversitätssensible Sprache und Bildgestaltung“ bei Verbänden, Kammern und Marketing und fordert übergriffig eine „Sensibilisierung für Geschlechterrollen und -vorbilder und für Diversität in allen ihren Dimensionen in der eigenen Familie“ sowie im Agrarbereich insgesamt.

Ortliebs Familie wohnt seit Generationen in dem Dörfchen Sarnow in der Prignitz. Seit 1864 bewirtschaftet sie den Vierseitenhof mit dem Feldsteingebäude. Auf 300 Hektar, ein Drittel davon Pachtland, pflanzt Ortlieb Kartoffeln, Roggen, Raps, Mais, Gerste, Rüben und Hafer an. Ortlieb ist zwar vom Fach, doch leider war seine Expertise bei der „Zukunftskommission Landwirtschaft“  (ZKL) nicht gefragt. Wäre sie es gewesen, hätte er den Experten folgendes gesagt: „Mein Vater ist Rentner und arbeitet noch voll mit auf dem Hof, meine Mutter ist Rentnerin und macht die Buchhaltung. Ich bin hier der Geschäftsführer. Ich habe eine Regionalvermarktung mit zwei Mitarbeiterinnen, und auf dem landwirtschaftlichen Betrieb arbeite ich mit einem Festangestellten, einem Praktikanten und zwei Aushilfen. Unser Tag beginnt um fünf Uhr morgens. Mein Fuhrpark hat mich 2,5 Millionen Euro gekostet. Doch die letzten drei Jahre kann ich von der Landwirtschaft nicht mehr leben, bisher haben wir das mit Krediten überbrückt.“

„Nach allen Abzügen bleibt nicht mehr viel für die Familie“

Ortlieb rechnet vor: „Ein fairer Pachtpreis pro Hektar wären 60 Euro. Wir zahlen allerdings 200 bis 500 Euro. Die Preise treibt übrigens die staatliche Landverwertungsgesellschaft hoch. Ein Hektar bringt bei einer guten Ernte sechs Tonnen Roggen. Für eine Tonne bekomme ich 140 Euro brutto, sind also 840 Euro brutto. Minus der Pacht, und das ist schlank gerechnet, bleiben noch 450 Euro übrig. Aber dazu kommen ja noch die Saatkosten, der Maschineneinsatz, Dünger und Pflanzenschutz, wenn ich es noch ordentlich mache mit Fungizid, kostet es insgesamt 650 Euro. Dann bleiben mir brutto von einem Hektar 200 Euro – und davon geht die Krankenkasse, Berufsgenossenschaft, Alterskasse und Kapitaldienst für die Banken ab. Da bleibt nicht mehr viel für die Familie.“

Aus Sicht der Freien Bauern als Interessenorganisation der bäuerlichen Familienbetriebe hat dieser Bericht der Zukunftskommission nichts mehr mit den Bauernprotesten von 2019 zu tun. Der jetzt geforderte grundlegende Umbau der Landwirtschaft aus „angeblich ökologischen oder ethischen Gründen ist Unsinn“, so Jung von den Freien Bauern. Für neunzig Prozent der deutschen Landwirtschaft bestehe überhaupt kein Umbaubedarf: „Unsere bäuerlichen Familienbetriebe gehen nachhaltig mit dem Boden und verantwortungsbewußt mit den Tieren um, weil wir in Generationen denken.“

Am 4. September 2019 beschloß die Bundesregierung das Agrarpaket. In einem offenen Brief an einige vertretungsstarke Mitglieder der ZKL, darunter den Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied, beklagen jetzt Land- und Tierwirte familiengeführter Betriebe, „daß sämtliche Punkte des von den Landwirten kritisierten Agrarpaketes mittlerweile gesetzlich verankert wurden“, ohne daß wesentlich auf die Belange der vielen demonstrierenden Landwirte eingegangen worden sei. Das Gesetzespaket sieht unter anderem vor, daß die EU-Agrarsubventionen künftig stärker an Auflagen zum Umwelt- und Klimaschutz gebunden werden. Das aber habe mehr Bürokratie und weniger Planungssicherheit zur Folge, kritisiert der Berufsstand. Dies war der Auslöser für das Aufstellen der „Grünen Kreuze“ auf vielen Äckern und Feldrainen seit Herbst 2019. Mitinitiator war der Agrarwissenschaftler und Autor Willi Kremer-Schillings, besser bekannt als „Bauer Willi“.

„Uns ist nicht klar, wie die Bedenken und Ängste, die seit dem Herbst 2019 zu den Demonstrationen geführt haben, mit diesem Papier ausgeräumt werden sollen“, heißt es in dem von „Bauer Willi“ mitunterzeichneten offenen Brief. „Der Tenor des gesamten Berichtes erweckt bei uns den Eindruck, als sei die Bereitstellung von Lebensmitteln zunehmend unwichtiger. Bezahlte Tätigkeiten für Klima-, Natur- und Artenschutz bestimmen zunehmend die Agenda und sollen so zu einer ‘Transformation’ der Landwirtschaft führen. Es ist ziemlich genau das Gegenteil dessen, worauf wir mit den Grünen Kreuzen aufmerksam machen wollten und was uns nach wie vor Sorgen bereitet.“

Ortliebs Hofladen: https://landgourmet.wordpress.com

Interessenvertretung bäuerlicher Familienbetriebe: www.freiebauern.de