© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Schimpf und Schande
Kanada: Der Streit um die unmarkierten Gräber indigener Kinder eskaliert
Liz Roth

Der Skandal um die unmarkierten Gräber von indigenen Kindern auf Schulgeländen spaltet Kanada weiterhin. Innerhalb weniger Wochen fanden Aktivisten der „First Nations“, der Nachkommen der Ureinwohner des Landes, drei Massengräber mit den sterblichen Überresten Hunderter Kinder im Alter zwischen drei und 15 Jahren. Auf dem Gelände der Saint Eugene’s Mission School im westkanadischen Cranbrook wurden vermutlich 182 Kinder verscharrt. 215 anonyme Gräber waren bereits Ende Mai, ebenfalls in der Provinz Britisch Columbia, in der Ortschaft Kamloops gefunden worden, sowie 751 in einem anderen katholischen Internat in Marieval in der Provinz Saskatchewan. 

Konservativer Parteichef kritisiert indigene Aktivisten  

Premierminister Justin Trudeau verkündete daraufhin, daß Kanada den „Schmerz und die Verantwortung für diese Taten“ tragen müsse und diese „Schande“ niemals vergessen dürfe. „Die Regierung wird weiterhin indigene Gemeinden im ganzen Land mit der Finanzierung und den Ressourcen versorgen, die sie brauchen, um dieses schreckliche Unrecht ans Licht zu bringen. Während wir diejenigen, die starben, nicht zurückbringen können, können und werden wir die Wahrheit über diese Ungerechtigkeiten erzählen, und wir werden ihr Andenken für immer ehren“, so der Premier in seiner Presseerklärung. 

Zwischen 1870 und 1996 nahm die kanadische Regierung mehr als 150.000 Kinder mit indigener Abstammung aus ihren Familien und brachte sie in kirchlich geführten Internaten unter, die sie assimilieren sollten, indem sie ihnen ihre eigene Sprache und Kultur nahmen. 

Erst 2015 hatte die kanadische Wahrheits- und Versöhnungskommission Beweise dafür gefunden, daß in den Heimen mindestens 4.100 Kinder an Krankheiten oder Unterernährung gestorben waren – manche hatten auch Selbstmord begangen. Die Kommission geht allerdings davon aus, daß die wahre Zahl wahrscheinlich viel höher ist. Viele dieser Kinder sind nach wie vor unauffindbar.  Der damalige Premier Stephen Harper hatte sich bereits 2008 bei den indigenen Völkern für die Schulen entschuldigt und 1,9 Milliarden kanadische Dollar bereitstellen lassen, um die überlebenden Opfer zu entschädigen. 

Da die meisten Anstalten von der katholischen Kirche geführt wurden, verlangt Trudeau nun eine persönliche Entschuldigung und Wiedergutmachung des Papstes. Das wiederum löste eine Welle von Brandstiftungen katholischer Kirchen im ganzen Land aus. „Brennt sie alle nieder“, verkündete Harsha Walia, die Leiterin des Vereins für Bürgerrechte in Britisch Columbia auf Twitter. 

Parallel dazu wurden Rufe laut, den Nationalfeiertag „Canada Day“ am 1. Juli abzuschaffen. Am 1. Juli trugen Aktivisten bei Protesten daher die indigene Farbe Orange anstatt das traditionelle Rot-Weiß. Einer Statue von Königin Viktoria wurde dabei der Kopf abgetrennt und die Statue des britischen Entdeckers James Cook vom Sockel gerissen und ins Hafenbecken geworfen, „Wenn Sie den Canada Day feiern wollen, sollten Sie verstehen, was Sie feiern. Sie feiern die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung. Das ist die eigentliche Geschichte Kanadas“, erklärte Aktivistin Nakuset, Organisatorin der Protestaktion in Montreal, gegenüber dem Sender CBC. 

Demgegenüber zeigte sich der Vorsitzende der Konservativen Partei, Erin O’Toole, „besorgt darüber, daß Ungerechtigkeiten in unserer Vergangenheit oder in der Gegenwart zu oft von einer kleinen Gruppe von Aktivistenstimmen aufgegriffen werden, die sie benutzen, um das Fundament Kanadas anzugreifen“. „Als jemand, der Kanada gedient hat und bald um das Vertrauen bitten wird, unser Land zu führen, kann ich nicht schweigen, wenn Leute den Canada Day abschaffen wollen. Ich bin sehr stolz darauf, Kanadier zu sein“, schrieb O’Toole in einem Facebook-Post.