© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Dorn im Auge
Christian Dorn

Mein kanadischer Nachbar aus dem Vorderhaus, dessen Vater beim Geheimdienst gearbeitet und seinerzeit in Nordamerika die Telefonate der Stasi abgehört hatte, berichtete mir unlängst, sein Dad habe ihm schon vor Jahrzehnten das Geheimnis anvertraut, wie er und seine Kollegen unzweifelhaft Ufos gesichtet hätten, und das mehrfach. Mit „Hey Man“ hält er mir Wochen später triumphierend den aktuellen Spiegel-Titel vor die Nase. Sehnlichst erwartet er die baldige Ankunft der „Aliens“ auf der Erde, da sich dann endlich die Menschheit zusammenschließe, weil sie dazu gezwungen sei, sich gemeinsam gegen die Außerirdischen zu verbünden, so daß „all distinctions disappear“, wie er mir verheißungsvoll verkündet. 

Mir reichen bereits die Verrückten in Berlin – auf den Straßen und Gehwegen, in den Parks, den U- und S-Bahnen, kurz: in der wohl größten Freiluft-Klapse Deutschlands. Dagegen strahlt der Keimzeit-Song „Irrenhaus“ eine eigenartige Idylle aus, geschrieben 1986 in der Zone, 1990 Soundtrack zur Wende mit Zeilen wie „Irre ins Irrenhaus, die Schlauen ins Parlament! / Selber schuld daran, / Wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt“. So enerviert heute in der S-Bahn ein sich unter die eigene Hüfthöhe krümmender Mann, der mit unverständlichen Wortfetzen bettelt – als er auf meiner Höhe ist, attestiere ich ihm, daß er wirklich ein hervorragender Schauspieler sei. Ich denke mir, daß er vermutlich auch unter den identitätspolitischen Maßgaben des Zeigeists seine Figur korrekt besetzt hat. Zudem bietet er im wörtlichsten Sinn Unterhaltung (mit Betonung der ersten Silbe). 

Der Stich des Albaners verfehlte den Herzmuskel des Familienvaters nur um zwei Zentimeter.

Der Übergang von dieser Reflexion müßte jetzt in den „aufrechten Gang“ münden – und tatsächlich treffe ich in meiner Heimatstadt vor dem Haus unsere Nachbarn, die seit dem Mauerfall erfolgreich einen Bioladen betreiben, aber inzwischen als „Rechte“ von manchem Stammkunden der ersten Stunde boykottiert werden, seit ein außerhalb Deutschlands gelistetes Antifa-Portal in Sachsen-Anhalt die junge Familie diffamiert hat. K., die Ehefrau, sagt, daß sie in bezug auf Corona keine Verschwörungstheoretiker seien, sondern – so laute immer ihre Erwiderung – „Ursachenforscher“. Dabei wäre R., der Ehemann, bei seiner „Ursachenforschung“ vor etwa eineinhalb Jahren beinahe ermordet wurden: Als er sah, wie nebenan ein Junge von zwei Asylanten bedroht wurde und er dazwischenging, um das Kind zu schützen, wurde er hinterrücks vom Albaner umfaßt, der ihm mit dem anderen Arm die Messerklinge in den Oberkörper rammte mit einem Stich, der von eindeutiger Mordabsicht zeugte – und den Herzmuskel des Familienvaters nur um zwei Zentimeter verfehlte. Nach den brutalen mörderischen Attentaten von Würzburg kommt mir unwillkürlich – geschuldet der Ohnmacht, mit der wir diese „Willkommenskultur“ und „Bereicherung“ erleiden müssen – die Status-Angabe „subsidiärer Schmutz“ in den Sinn. Das würde ich jetzt der zynischen Figur eines noch nicht geschriebenen zeitgenössischen Dramas in den Mund legen. Das ist die gegenwärtige Lage. Wer gibt mir als nächstes einen aus?