© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Gestützt auf Schwert und Helm
Zahlreiche Grabinschriften und Gedenktafeln in Schlesien erinnern an die deutsche Geschichte
Paul Leonhard

Der Kirchhof der einsamen Kirche der Mutter Gottes von den Engeln birgt ein Geheimnis. Hinter hochgewachsenem Gesträuch verstecken sich an der Außenmauer des im 15. Jahrhundert erbauten, 1721 barock überformten Gotteshauses ein halbes Dutzend edle Herren. In Stein gehauene Grabtafeln, die an die einstigen Herrschaften von Nieda und den zu ihm gehörenden sieben Dörfern erinnern. Die meisten davon existieren nicht mehr. Sie sind Anfang der 1950er Jahre in dem von den neuen polnischen Herrschern angelegten Stausee verschwunden. So ist die 13 Kilometer südlich von Görlitz gelegene Kirche, auf einer Anhöhe des Tales der Wittig, der letzte steinerne Zeuge eines Ortes, der 1815 in Preußisch und Sächsisch Nieda geteilt wurde, den die Nationalsozialisten von 1937 bis 1945 Wolfsberg nannten, die ihnen folgenden Polen Niedów, und der bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ein Wallfahrtsort war.

Wer die Herrschaften auf den Epitaphien sind, könnten Historiker heute vielleicht noch anhand der Reste der Familienwappen, die um die Darstellungen der Gewappneten noch zu erkennen sind, entschlüsseln. In ein paar Jahren wird der Verfall zu weit fortgeschritten sein. Das erste Wappen links oben stellt die väterliche Linie dar, die auch der Verstorbene trug. Das Wappen daneben ist das der Mutter. Es folgen die Wappen der Großmutter väterlicherseits und mütterlicherseits. Die der Großväter werden meistens nicht dargestellt, da sie sich ja schon aus den ersten beiden Wappen ergeben und nicht wiederholt werden.

Erinnerung an die deutsche Besiedlung dieses Landstrichs

Diese Gedächtnismale, wie sie noch überall in Schlesien zu entdecken sind, erinnern heute nicht nur mit ihrem religiösen oder allegorischen Bildwerk und Inschriften an die Verstorbenen, sondern auch an die Besiedlung dieses Landstrichs vor mehr als 800 Jahren durch deutsche Siedler und Adelsgeschlechter. Mehr als eintausend ganzfigürliche Grab- und Gedächtnisplatten aus Sandstein haben sich erhalten, teilweise noch farbig gefaßt und in schmuckvollen Rahmen aufgestellt. Die meisten stammen aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Und die sind nicht nur genealogisch aufschlußreich, sondern geben auch einen Einblick in die Mode der Renaissance. Während die Männer entweder in Kutten oder Harnischen abgebildet sind, wurden die Frauen und Kinder in Festkleidern dargestellt.

Unter der Überschrift „Schlesische Grabkunst“ stellt das Haus Schlesien in Königswinter zwei Routen zu den bedeutendsten steinernen Epitaphien durch Niederschlesien vor, die einmal abzufahren allen zu empfehlen ist, die sich für die Geschichte dieser einzigartigen Region interessieren.

Die erste Route beginnt in Glogau und führt über Leubus in Richtung Breslau. Die Westroute hilft bei der Spurensuche im Umfeld des Sudetengebirges. In Groß Kauer (Kurów Wielki), an den Ausläufern des Katzengebirges gelegen, sind insgesamt 39 ganzfigurige Grabplatten und Epitaphien zu bewundern. Sie erinnern unter anderem an Mitglieder der Familien von Kittlitz und von Glaubitz, die zwischen 1592 und 1710 starben. Durch diese Kontinuität wird auch die künstlerische Entwicklung von der Renaissance bis zum Barock sichtbar, die in ihrer Vielfalt als einzigartig in Schlesien gilt.

Als besonderes Prunkstück gilt der lebensgroße barocke Figurengrabstein für den von 1635 bis 1707 lebenden Franz Karl Bronne, Vicecomes de Montagne, Kürassieroberst und Generalwachtmeister in der Armee des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs. Auch in Jacobskirch (Jakubów), am seit 2005 ausgeschilderten, bis nach Görlitz führenden Niederschlesischen Jacobsweg gelegen, gibt es rund um die Kirche zahlreiche bedeutende Grabplatten aus den Jahren zwischen 1555 und 1796, vor allem aus protestantischer Zeit.

An der barocken Wallfahrtskirche von Hochkirch (Grodowiec) befinden sich außen neun lebensgroße Figurenepitaphien aus dem 16. Jahrhundert. Als besonders wertvoll gelten die Grabmäler zu beiden Seiten des Hochaltars in der Kirche St. Petrus und Paulus in Ober-Gläsersdorf (Szklary Górne). In je acht Nischen stehen die lebensgroßen Reliefs der Familien Stössel und Schindel. Wickelkinder zeigen einige Todgeburten an. Ein Doppelepitaph in der Schloßkirche der Kleinstadt Parchwitz (Prochowice) gedenkt des Zedlitzschen Patronatsherren Otto IV. (1490–1562) und seiner Gattin Helena, geborene Talckenberg. Sein Vater Otto III. († 1510) wird den Helm am Visier haltend präsentiert. In Mondschütz (Mojęcice) sind in der Dorfkirche von 1530 lebensgroße farbige Figuren in muschelförmigen Nischen zu sehen. Beim Doppelgrab von Ladislaus II. von Storch († 1587) und seiner Ehefrau Helena, geborene von Berge († 1619), ist sogar bekannt, wer sie schuf: Steinmetz Caspar Berger aus Liegnitz.

Epitaphien aus Sandstein erinnern in der Landstadt Prausnitz (Prusice) an die Familie von Kurzbach, eine Liegefigur mit Rüstung, Allianzwappen und einer Stadtansicht von Krakau an den kaiserlichen Feldmarschalls Melchior von Hatzfeld (1593–1658). Die Familie von Schweinitz hatte über Jahrhundere das Patronat über das an der mittelalterlischen Handelsstraße Via Regia gelegene Seifersdorf (Rosochata). Ihre Geschichte spiegelt sich in 29 Grabplatten, die unterschiedlich gestaltet sind. Ist hier der 1558 verschiedene Gristuf Schweinitz in mittelalterlicher Tradition als ganzfigürlicher Ritter dargestellt, so sind in der kleinen Pfarrkirche von Tillendorf (Bolesławice), einem Ortsteil von Bunzlau, die Adligen in spanischer Tracht gekleidet.

Vom Selbstbewußtsein des Adels in der Renaissance

Ebenfalls in spanischer Tracht mit Kniestrümpfen, Hosen und bequemem Mantel ist Hans von Tschirnhaus (1542–1609) auf einem der 21 erhaltenen Grabsteine in der Kirche von Nieder Baumgarten (Sady Dolne) dargestellt. Der Vorfahre des Universalgelehrten und europäischen Porzellanerfinders Walther von Tschirnhaus (1651–1708) stützt sich auf Schwert und Helm. Seine Frau Magdalena, geborene von Czettritz, ist in einen weiten Mantel gehüllt und hält ein Gebetbuch in den Händen. Der älteste Sohn Georg ist in Ritterrüstung dargestellt, sein Bruder Hans, der als Rittmeister des Fürsten von Teschen neun Jahre gegen die Türken kämpfte, stemmt den Offiziersstab in die Hüfte. In festlichem Gewand mit breiter Halskrause wird der Enkelsohn Hans Georg porträtiert.

Vom Selbstbewußtsein des Adels in der Renaissance kündet die Darstellung Melchior von Hobergs († 1545) in der nördlich von Schönau (Swierzawa) an der Katzbach gelegenen Saalkirche aus dem 13. Jahrhundert. Der Grundbesitzer trägt einen als besonders stoßfest geltenden Brustpanzer. In der rechten Hand hält er einen großen Schild mit dem Familienwappen. Außerdem sind eine geschlossene Sturmhaube und ein Zweihänderschwert abgebildet. Ähnlich gearbeitet ist der Epitaph des Ritters Lassel von Hoberg († 1516) im Stil der späten Gotik.

Im kleinen, nahe Görlitz gelegenen Greiffenberg (Gryfów) sind in einer prächtigen Grabanlage zehn vollplastische Figuren zu sehen. Ein sächsischer Steinmetz hat das Ensemble aus zehn vollplastischen Figuren im Renaissancestil Ende des 16. Jahrhunderts geschaffen. Es erinnert an ein Unglück, das der Familie Schaffgotsch widerfuhr, als binnen kurzer Zeit fünf Angehörige verstarben: Hans Schaffgotsch und seine Frau Magdalena von Zedlitz, Sohn Hans Ulrich, Tochter Magdalena und deren Mann Christoph. Außerdem befinden sich in der Kapelle die Gräber von Christophs zweiter Frau, Eleonore von Promnitz, in zweiter Ehe verheiratet mit dem Grafen Johann Georg von Hohenzollern, und seiner 1631 verstorbenen Schwiegertochter Barbara Agnes Schaffgotsch, der Tochter des Herzogs Joachim Friedrich von Liegnitz und Brieg und Gemahlin des geköpften unglücklichen Generals Hans Ulrich Schaffgotsch.

Besonders reiche Grabmäler dieser Familie befinden sich in der Filialkirche von Reußendorf (Raszów). In der 1575 erbauten Kapelle stehen zwei Tumbengräber, die an „Hans Schof Gotsch genannt vom Kinast auf Kreppelhof“ († 1565), Kanzler des Fürstentums Schweidnitz-Jauer, und seine Gemahlin Salome, geb. von Nimptsch († 1567) erinnern. Im Stil hochherrschaftlicher mittelalterlicher Grabplatten ruhen die Füße auf sitzenden Löwen und sind die Köpfe auf dicke Kissen gebettet. Beide lebensgroße Figuren tragen schlichte einteilige Gewänder der Renaissance. Die Seiten der Tumben schmücken Flachreliefs mit vier Szenen aus dem Paradies. Auf der zweiten Tumba liegt Hans II. († 1572) in Ritterrüstung. Die Wände der Kapelle zieren figürliche Epitaphien aus Sandstein von 1590 bis 1621.

Die im Kirchhof der ehemaligen Propsteikirche in Bad Warmbrunn zu sehenden Steingrabplatten stellen zwischen 1530 und 1633 verstorbene Angehörige einer Schaffgotschen Nebenlinie dar, die 1849 aus dem an der Neiße gelegenen Radmeritz hierher gelangten. Zu dem Ort gehörte einst auch Preußisch Nieda, womit sich der Kreis wieder schließt.

Wer sich scheut, sich auf eigene Faust durch Niederschlesien auf Entdeckungsreise zu begeben, dem sei zumindest die Siedlung Silbitz empfohlen. Hier sind 28 wertvolle, zumeist figürliche Epitaphien aus vier Jahrhunderten aufgestellt. Sie stammen aus allen Teilen Schlesiens, denn im 19. Jahrhundert hatte Rudolph Graf Stillfried von Alkántara und Rattonitz (1804–1882), Experte für genealogisch-dynastische Forschungen und Oberzeremonienmeister am preußischen Hof, die Grabsteine seiner weitverzweigten Familie aufgekauft, um sie in der Kapelle in Silbitz zu präsentieren. „Der gute exemplarische Querschnitt weist viel durchschnittliche Qualität auf“, heißt es auf der Internetpräsentation: „Alle Sandsteinplatten sind nebeneinander angebracht, in gutem Zustand und farbig gefaßt.“ Die östlich der Ansiedlung im Wald gelegene Kapelle ist am besten von Nimptsch (Niemcza) in Richtung Arboretum Woislawice und der Straße weiter folgend erreichbar.

Adressen und weitere Hinweise im Internet:  www.hausschlesien.de