© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Filmkritik 1900
Zweierlei Leben im Faschismus
Werner Olles

Bernardo Bertolucii zählt neben Vittorio de Sica, Roberto Rossellini, und Federico Fellini zu den wichtigsten Regisseuren des italienischen Films. Mit „Der große Irrtum“(1969) und „Der letzte Tango in Paris“ (1972) erlangte er Weltruhm. In seinem Fünf-Stunden-Epos „1900“ (1976) widmet er sich der Geschichte Italiens seit dem Todestag Giuseppe Verdis bis zum „Tag der Befreiung“ 1945.

Der Film erzählt das Leben zweier am gleichen Tag im Januar 1900 geborenen Jungen. Alfredo Berlinghieri (Pavolo Paesi als Kind und Robert de Niro als Erwachsener) und Olmo Dalcò (Roberto Maccannti/Gérard Depardieu). Alfredo ist der Sohn des Großgrundbesitzers (Burt Lancaster), Olmos Vater (Romolo Valli) ist Landarbeiter. Olmo wird als Jugendlicher in der Sozialistischen Partei aktiv, Alfredo ein Dandy, der den Faschismus verachtet, aber den Gutsverwalter Attila (Donald Sutherland) und seine Geliebte (Laura Betti), die fanatische Schwarzhemden sind, gewähren läßt. Alfredo und Olmo lieben beide die schöne Ada (Dominque Sanda), die politisch mit Olmo sympathisiert und mit ihm flieht, als die Faschisten an die Macht kommen.

Während sich der alte Berlinghieri aus Gram über seiner Impotenz im Stall erhängt, streiken die Arbeiter, doch die herbeigerufene Polizei greift nicht ein. Attila und seine Schwarzhemden setzen die Arbeiter mit Gewalt unter Druck, Alfredo und Ada heiraten, die Alliierten vertreiben die Wehrmacht, die Partisanen verüben unter den Faschisten Selbstjustiz. Die gebrechlichen Alten Olmo und Alfredo raufen sich wie in ihrer Jugend, Alfredo erinnert sich an eine Mutprobe aus ihrer Kindheit und legt sich auf die Gleise …

„1900“ ist gleichermaßen symbolistisch, politisch ambivalent und vordergründig bis zum ironisch gebrochenen Schluß. Hervorragend sind die lyrischen Bilder von Kameramann Vittorio Storaro, die ebenso nachwirken wie die Musik von Ennio Morricone mit Melodien aus Verdi-Opern.

Mediabook: 1900. KochMedia 2021, Laufzeit etwa 318 Minuten