© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Von Drachen, Helden und schönen Frauen
Archetypische Muster: Ein großformatiger opulenter Prachtband präsentiert die Welt der Fantasy-Kunst
Karlheinz Weißmann

Kommen Raketen vor, ist es Science-fiction, kommen Drachen vor, ist es Fantasy. Die Faustformel stammt von Dian Hanson, der Herausgeberin eines opulenten Bildbandes, der sich mit den „Meisterwerken“ der Fantasy Art beschäftigt. Ohne Zweifel trifft sie einen entscheidenden Sachverhalt. Aber zu ergänzen wären noch zwei Elemente: muskulöse Männer und ansehnliche Frauen – fast unbekleidet.

Das Auftreten des Drachen, des Heros und der Schönen findet seine Rechtfertigung darin, daß Fantasy-Erzählungen in einer barbarischen Alternativwelt oder einer sehr fernen Vergangenheit spielen. Die verfügen allerdings über hochentwickelte Techniken der Bikiniherstellung und müssen sich auch sonst nicht an Plausibilität oder Naturgesetze halten. So spielt Magie eine wichtige Rolle, aber auch das Gewimmel zahlloser Chimären aus Mensch und Tier, Mensch und Pflanze, Mensch und Mechanik. Das alles zusammengenommen macht deutlich, daß Fantasy den Breitengeschmack bedient, und zwar den von Männern. Was man wahlweise sexistisch nennen kann oder so gelassen quittiert wie Rowena Morrill: „Ich finde die Dynamik von männlich / weiblich in der Fantasykunst … großartig. So etwas sehen die Leute gerne.“

Ein Produkt der modernen Konsumgesellschaft

Rowena Morrill stellt als Frau eine Ausnahme unter den Fantasy-Künstlern dar. Normalerweise handelt es sich wie bei den Fans um Männer, und auch von denen haben es nur wenige zu größerer Bekanntheit gebracht. Der vorliegende Band verzeichnet ein Dutzend prominente Namen und weitere 99 mit lexikalischem Eintrag. Denn auch wenn die Werke eines Frank Frazetta – des „Gottes“ der Fantasy-Art – oder eines Boris Vallejo heute hohe Preise erzielen, ist festzuhalten, daß es sich um Gebrauchskunst handelt: das heißt, das Brot wird mit dem Entwerfen von Umschlägen für Bücher oder Hefte, von Plattenhüllen oder der Verpackung von Computerspielen, von Plakaten oder Werbeblättchen, mit dem Zeichnen von Comics oder der Konzeption von Filmkulissen und Videospielen verdient.

Die Arbeitsfelder zeigen deutlich, daß Fantasy ein Produkt der modernen Konsumgesellschaft ist. Man kann zwar im Hinblick auf Motive und Stil Vorläufer ausmachen, vor allem soweit es sich um Maler und Zeichner handelte, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert Kinderbücher illustrierten. Aber nach Hanson kam die Geburtsstunde von Fantasy Art mit dem ersten Erscheinen der amerikanischen Weird-Tales-Magazine im Jahr 1923. Eine Hochkonjunktur erlebte sie im Amerika der Depression, als Woche für Woche eine ganze Flut von Heftchen mit Science-fiction-, Horror- und Sensationsgeschichten auf den Markt kam. Der Konkurrenzkampf zwischen den Anbietern war hart, weshalb die Cover möglichst knallig und reißerisch aufgemacht wurden: von Bestien bedrohte Frauen in Pin-up-Pose, im Hintergrund der Retter, machten sich dabei besonders gut. Aber schon der Zweite Weltkrieg bedeutete einen Rückschlag für Fantasy Art, und dann schien die Zeit für das Genre schon wieder vorbei zu sein, als das Fernsehen begann – wenngleich dezenter – das Unterhaltungsbedürfnis der meisten zu stillen. Fantasy verschwand zwar niemals ganz, führte aber ein Schattendasein. Das änderte sich erst mit dem Umschlag des kulturellen Klimas in den 1960er Jahren. Zwar galt Fantasy dem progressiven Zeitgeist als „reaktionär“, aber sie bediente auch antibürgerliche und antizivilisatorische Affekte, konnte sich mit Psychedelic oder Pop Art verbinden und sowohl auf die Esoterikwelle wie das neu erwachte Interesse an ökologischen Fragen Bezug nehmen.

Für Hanson werden die wichtigsten Einschnitte mit dem Auftauchen der ersten Version des Spiels „Dungeons & Dragons“ 1974, der Veröffentlichung des Films „Star Wars“ 1977 und der Trickfilmversion des „Herrn der Ringe“ markiert, der ein Jahr später in die Kinos kam. Bei allen technischen Mängeln dieser Umsetzung des Werkes von J. R. R. Tolkien erinnerte sie doch auch daran, daß Fantasy nicht nur ein „Pulp-Publikum“ ansprach, sondern daß es auch anspruchsvolle Fantasy-Literatur gab. Hanson verweist in dem Zusammenhang neben Tolkien auch auf dessen Freund C. S. Lewis, der die „Chroniken von Narnia“ verfaßt hat.

Allerdings interessiert ihn das nur am Rande. Hanson wie ihrem Co-Autor Zak Smith geht es in erster Linie um das, was Breitenwirkung entfaltet hat. Das führt auch dazu, daß der Text sich manchmal in spezialistischen Betrachtungen verliert. Was aber schwerer wiegt, ist, daß die wichtige Frage unbeantwortet bleibt, wie die dauerhafte Resonanz von Fantasy Art zu erklären ist, die im Normalfall abschätzig betrachtet wird und den üblichen Kriterien zeitgenössischer Kunst kaum genügt.

Es sei deshalb auf eine Bemerkung Mircea Eliades hingewiesen, daß der „Unempfindlichkeit für Kritik … etwas ‘Religiöses’“ anhaften kann. Er bezog sich damit auf den „neuen Irrationalismus“, der die westlichen Industriegesellschaften am Ende der Nachkriegszeit überraschend erfaßt hatte. Eliades Meinung nach kam in dieser Strömung ein „spiritueller“ Hunger zum Ausdruck, der weder durch das traditionelle Christentum noch durch politische Ideologien noch durch Konsum gesättigt wurde.

Wahrscheinlich muß man in diese Richtung gehen, wenn man verstehen will, was die bleibende Faszination von Fantasy Art ausmacht: Sie erklärt sich aus der archetypischen Struktur der Erzählungen wie deren optischer Umsetzung. So bunt das Personal, so bizarr das Aussehen und die Szenerien auch erscheinen, im Kern werden immer bestimmte Muster wiederholt. Die Stereotypie der Geschichten ist gewollt und sie spiegelt sich in den Bildern. Das Alptraumhafte am Werk eines Hans Rudolf „H.R.“ Giger oder Michael Whelan ist ebenso Ausnahme wie das Subtil-Verstörende in den Illustrationen von Moebius (Jean Henri Gaston Girard) oder das Idyllische bei Tim und Greg Hildebrandt. Das, was jeder sofort mit Fantasy und Fantasy Art assoziiert, ist Frazettas „Conan“, der eben nicht nur das Ideal des Bodybuilders abgibt, sondern auch den ewigen Mythos des Helden ausdrückt, der sich gegen eine feindliche Welt behauptet und die Seine(n) mit der Waffe in der Hand verteidigt.

Dian Hanson: Masterpieces of Fantasy Art. Taschen, Köln 2021, 532 Seiten, gebunden, 150 Euro