© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/21 / 16. Juli 2021

Verborgene Quelle eines Kolonialkriegers
Die wiederentdeckten Tagebuchnotizen des Leutnants Franz Reuter aus Deutsch-Südwest und Kamerun
Matthias Bäkermann

Vergilbte 63 Blätter in einem Schnellhefter, bereits in den siebziger Jahren von der deutschen in die lateinische Schrift transkribiert, bilden als Schubladenfund eine bisher unerschlossene Quelle zur Kolonialzeit. Bettina Gruber, Ehefrau des Großneffen, hat sich dieses Fundes angenommen und nun als „Tagebuch des Leutnants Franz Reuter“ über seinen „Einsatz in Afrika“ 1907 bis 1908 herausgegeben. 

Seitdem in den vergangenen Jahren die bis dahin eher ein historiographisches Nischendasein fristende Kolonialgeschichte unter dem Aspekt eines weiteren Teils deutscher Schuld in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt wurde, haben diese Tagebücher eine ungeahnte Brisanz gewonnen. Nicht ganz ohne Grund bittet die Herausgeberin darum, „sein Leben in dem gesellschaftlichen Hintergrund der damaligen Zeit zu lesen und zu verstehen“ und nicht bei den Klagen über das „fürchterliche Negerenglisch“ oder abfällige, aus dem Jiddischen stammende Bemerkungen über die „Kaffer“ sofort in Schnappatmung zu verfallen.

Tatsächlich dokumentiert das Tagebuch des 1881 in einer westfälischen Juristenfamilie geborenen Franz sehr gut das Denken seiner Zeit und sein Selbstverständnis als Schutztruppenoffizier. Anders als der Sozialdemokrat Gustav Noske noch 1914 pauschal urteilte, waren diese in der Regel nämlich keine „mißratenen Söhne hochstehender, einflußreicher Herren“ oder „abenteuerlich und gewalttätig veranlagte Naturen“. Da die Anzahl der Anwärter den Bedarf an Offizieren in den Kolonien um ein Vielfaches überstieg, war eine einwandfreie und überdurchschnittliche Beurteilung in der Ausbildung bis zum Leutnant eine Grundvoraussetzung. Dabei wurde nicht nur auf körperliche Leistungsfähigkeit und Charakterfestigkeit Wert gelegt, sondern auch auf Sprachgewandtheit. Auch das Seminar für orientalische Sprachen für die Vorbereitung war zu Reuters Zeiten mittlerweile verpflichtend. Waren diese Klippen überwunden, stand einer prestigeträchtigen Militärkarriere mit gesellschaftlich hohem Status kaum etwas im Weg – und natürlich konnten die jungen Bürgersöhne dann auch ihre Abenteuerlust und die Sehnsucht nach fernen Ländern stillen.

Streitigkeiten mit Vertretern der französischen Nachbarkolonie  

Leutnant Franz Reuter führt seine erste Station 1907 nach Deutsch-Südwestafrika. Dort hatten die Schutztruppen in den letzten drei Jahren immer wieder Feldzüge gegen die aufständischen Herero und Nama unternommen. Auf seiner Tour durch die Provinz nimmt er außer einiger zerstörter Farmhäuser kaum Spuren des Krieges wahr, einige Offiziere berichten aber, daß die Herero unter Führung Jacob Morengas und die Hottentotten (Nama) unter ihrem „Kaptein“ Simon Copper im Norden „ihren Feldzug wieder aufgenommen“ hätten und deshalb erneut mobil gemacht würde. Doch der Leutnant wird diesen Krieg nicht mitmachen, da er eine Beorderung in eine andere deutsche Kolonie in Afrika erhält.

Mit der Woermann-Linie wird er von Swakopmund nach Duala in Kamerun verschifft. Dort hat er neben der Ausbildung einheimischer, „durchweg schlanker und gut gewachsener“ Soldaten Muße, die tropische Umgebung zu erkunden. Im Sommer 1907 wird er mit einigen weißen Unteroffizieren und etwa 150 Trägern und Soldaten in den Süden Kameruns geschickt, wo er allerlei Patrouillen unternimmt, um auch den Schmuggel zur Nachbarkolonie Französisch-Kongo zu kontrollieren. Immer wieder gibt es dort auch Konflikte mit französischen Kolonialbeamten, die ihren Einfluß nach Kamerun ausdehnen wollen. Er stößt bei seinen Märschen in von Europäern kaum berührte Gebiete vor, in denen einzig die Grenzvermessungskommission nach der Kongokonferenz 1885 tätig war. 

Anfang September 1908 erhält er dann den Auftrag, im Gebiet der Baturi an der deutsch-französischen Grenze im Osten der Kolonie inmitten Afrikas die deutsche Flagge zu hissen. Mit 17 schwarzen Soldaten vollführt er seinen Auftrag, bemerkt aber, daß die sonst freundschaftlich gesinnten Leute vom Baturi-Stamm eine drohende Haltung einnehmen. Sie hatten, wie sich später herausstellen sollte, geglaubt, es handele sich um eine Strafexpedition, weil sie vor kurzem zwei deutsche, schwarze Deserteure erschlagen hatten. Beim sofort eingeleiteten Rückmarsch gerät die Patrouille im Busch in einen Hinterhalt der Stammeskrieger, in dem auch der deutsche Leutnant durch eine Gewehrkugel schwer verletzt wird. Zwei Monate später wird er der Verwundung schließlich erliegen.

Bettina Reuter: Einsatz in Afrika. Tagebuch des Leutnants Franz Reuter 1907–1908. Books on Demand, Norderstedt 2020, 190 Seiten, broschiert, Abbildungen, 11,50 Euro